1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
KonflikteIsrael

Flüchtlingshilfe: Israel verbietet UNRWA-Aktivitäten

28. Oktober 2024

Trotz Warnungen von UN-Generalsekretär Antonio Guterres: Israel hat die Zusammenarbeit mit dem Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) verboten. Mit drastischen Folgen.

Beschädigter UNRWA-Hauptsitz in Gaza-Stadt
Der beschädigte Hauptsitz des Hilfswerks der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Gazastreifen (UNRWA) im Februar 2024 Bild: AFP/Getty Images

Das israelische Parlament hat zwei Gesetze verabschiedet, die staatlichen israelischen Behörden jeglichen Kontakt zur UNRWA, dem Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten, verbieten. Außerdem muss das UNRWA seine Arbeit in Israel im kommenden Jahr einstellen. Dies soll binnen 90 Tagen nach Veröffentlichung des Gesetzes geschehen.

Das Abkommen zwischen Israel und dem Hilfswerk von 1967, das die Tätigkeit und den Austausch der Organisation mit den Regierungsbehörden erleichtert hatte, wird damit aufgehoben. 

Der Grund: Israel wirft Mitgliedern des Hilfswerks der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten vor, zu den Drahtziehern des Hamas-Terroranschlags vom 7. Oktober 2023 gehören.

Politik der Kontaktsperre

Eine Folge der Reform wird voraussichtlich die Schließung des UNRWA-Hauptquartiers im annektierten Ost-Jerusalem sein. Das Büro diente bisher als Management- und Verwaltungszentrum für alle Aktivitäten in den palästinensischen Gebieten. Israelischen Medienberichten zufolge sollen die Räumlichkeiten in Wohnraum umgewandelt werden.

Angesichts der Hungerkrise teilt das UNRWA-Hilfswerk in Gaza Mehl und andere Lebensmittel ausBild: Ashraf Amra/Anadolu/picture alliance

Die Politik der Kontaktsperre könnte bedeuten, dass Israel den internationalen und lokalen UNRWA-Mitarbeitern keine Arbeits- und Einreisegenehmigungen mehr erteilt und keine Koordination mit dem israelischen Militär zulässt.

Gerade diese Absprachen sind aber unter anderem für die Lieferung von Hilfsgütern über die Grenzübergänge nach Gaza, die derzeit vollständig von Israel kontrolliert werden, unerlässlich.

Droht Israels Ausschluss aus der UN?

Kritik an dem neuen Gesetz wiederholte ein Sprecher des US-Außenministeriums noch während der Parlamentsdebatte. Die USA seien zutiefst besorgt über das Vorhaben und hätten dies auch der israelischen Führung mitgeteilt.

Auch Vertreter des israelischen Außenministeriums sollen Medienberichten zufolge Bedenken gegen das Vorhaben geäußert haben. Im schlimmsten Fall drohe der Ausschluss Israels aus den Vereinten Nationen.

"Die Aktivitäten der UNRWA in den besetzten palästinensischen Gebieten sind in allen Aspekten ihrer Tätigkeit in hohem Maße von der laufenden Abstimmung mit den israelischen Behörden abhängig", schrieb die israelisch-palästinensische Menschenrechtsorganisation Adalahin einem Brief an den israelischen Generalstaatsanwalt und den Rechtsberater der Knesset.

"Diese Koordination umfasst die Einrichtung von Einsatzzentralen, die Beschaffung von Visa, Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigungen für die Mitarbeiter sowie die Koordination mit den Militärbehörden in operativen Fragen."

Zerstörtes Klassenzimmer in einer UNRWA-Schule im Lager Nuseirat im GazastreifenBild: Evad Baba/AFP

Welches Mandat hat das UNRWA?

Das UNRWA-Hilfswerk wurde 1949 ursprünglich mit einem befristeten Mandat gegründet, um palästinensischen Flüchtlingen zu helfen, die während und nach dem arabisch-israelischen Krieg von 1948 vertrieben wurden. Am 15. Mai 1948, unmittelbar nach der israelischen Unabhängigkeitserklärung, hatten arabische Staaten Israel angegriffen.

In der Folge wurden Hunderttausende Palästinenser aus ihrer Heimat vertrieben - ohne Aussicht auf Rückkehr. 1950 nahm das Hilfswerk der Vereinten Nationen seine Arbeit auf. Bis heute gibt es keine politische Einigung über die Rückkehr der vertriebenen Palästinenser.

Das UNRWA stellt die Grundversorgung für Millionen registrierter palästinensischer Flüchtlinge und deren Nachkommen in Gaza, im besetzten Westjordanland einschließlich des annektierten Ostjerusalems, in Jordanien, Syrien und im Libanon sicher. Es betreibt Flüchtlingslager, Schulen und Krankenhäuser und ist ein wichtiger Arbeitgeber für Tausende Palästinenser.

Geber setzen Zahlungen aus

Israelische Beamte und Lobbygruppen üben jedoch seit Jahren Druck auf das UNRWA aus. Nachdem Israel behauptet hatte, einige Mitarbeiter der Organisation seien an den Terroranschlägen vom 7. Oktober beteiligt gewesen, stoppten Anfang 2024 mehrere Staaten ihre Zuweisungen an das Hilfswerk.

Nach einer eigenen Untersuchung der Vereinten Nationen wurden schließlich neun Mitarbeiter des Hilfswerks entlassen. Die meisten internationalen Geberländer haben die Finanzierung inzwischen wieder aufgenommen - Israel hingegen will die Arbeit der Organisation vollständigen beenden.

Während des gesamten Krieges griffen die israelischen Streitkräfte UNRWA-Schulen an, in denen vertriebene Palästinenser Zuflucht gesucht hatten. Nach israelischer Überzeugung dienten diese Schulen der Hamas als Kommandozentralen und zum Schutz ihrer Kämpfer, die sich unter Zivilisten versteckten.

Im Februar wurde unter dem UNRWA-Hauptquartier in Gaza-Stadt ein angebliches unterirdisches Computerzentrum der Hamas entdeckt. Das UNRWA wies die Anschuldigungen zurück.

Israel gegen Recht auf Rückkehr

Am vergangenen Freitag (25.10.) gab das israelische Militär bekannt, dass ein hochrangiger Hamas-Kommandeur, der für die Entführung und Ermordung von Israelis am 7. Oktober 2023 in einem Bombenschutzbunker am Straßenrand in der Nähe des Kibbuz Re'im verantwortlich war, seit 2022 beim UNRWA angestellt war. Die Organisation bestätigte, dass der Mann zu ihren Mitarbeitern gehörte.

Die israelische Regierung hat das Hilfswerk zudem wiederholt beschuldigt, in seinen Bildungseinrichtungen und in den Lehrbüchern, die in den von der Organisation betriebenen Schulen verwendet werden, Hass gegen Israel zu schüren.

Die Gewährung des Flüchtlingsstatus durch die UNRWA, nicht nur für die erste Generation der Flüchtlinge, sondern auch für deren Nachkommen, habe den Konflikt aufrechterhalten und die Idee eines Rechts der Palästinenser auf Rückkehr in ihre Heimat genährt.

Beobachter sagen, dass es nicht die UNRWA ist, die den Konflikt am Leben erhält, sondern das Fehlen eines Friedensprozesses und einer politischen Lösung, die eine gerechte Lösung für die palästinensischen Flüchtlinge und ihre Nachkommen bietet.

Palästinenser trauern um einen UN-Mitarbeiter, der bei einem israelischen Luftangriff in der Nähe eines UNRWA-Lagers im Al-Najjar-Krankenhaus in Rafah getötet wurdeBild: Abed Rahim Khatib/dpa/picture alliance

"Verheerende Folgen" des Gesetzes

Die Pläne der Knesset wurden von den meisten Geberländern der UNRWA, der Europäischen Union, den USA und zahlreichen Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen scharf kritisiert. Am Sonntag veröffentlichten die Außenminister Kanadas, Australiens, Frankreichs, Deutschlands, Japans, Südkoreas und Großbritanniens eine gemeinsame Erklärung, in der sie ihre tiefe Besorgnis" über den Gesetzesentwurf der Knesset zum Ausdruck brachten.

UN-Generalsekretär Antonio Guterres sagte, die Verabschiedung des Gesetzes sei eine Katastrophe.

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell erklärte, die Europäische Union "teilt die Sorge, dass dieser Gesetzesentwurf, sollte er verabschiedet werden, verheerende Folgen haben wird".

Die unabhängige Menschenrechtsorganisation Adalahmit Sitz in Haifa argumentierte, dass die Reform auch gegen internationales Recht verstoßen würde, das UN-Mitgliedsstaaten wie Israel dazu verpflichtet, die Vereinten Nationen in ihrer Arbeit zu unterstützen.

Sie erklärte auch, dass eine Einschränkung der Aktivitäten des UNRWA im Gazastreifen gegen die vorläufigen Maßnahmen verstoßen würde, die der Internationale Gerichtshof im Januar 2024 und erneut im März 2024 angeordnet hatte, um die Bereitstellung grundlegender Dienstleistungen und humanitärer Hilfe zu ermöglichen.

Die Knesset-Abgeordneten stimmten am Montag in zweiter Lesung mit der überwältigenden Mehrheit von 92 Ja-Stimmen für den Gesetzentwurf, zehn Abgeordnete sprachen sich dagegen aus. Obwohl ein zusätzlicher Gesetzentwurf, der das UNRWA als "terroristische Organisation" einstufen wollte, wieder vom Tisch ist, bleibt unklar, wie die grundlegenden Dienste der Hilfsorganisation in naher Zukunft ersetzt werden sollen.

Unter Mitarbeit von Andreas Noll. Dieser Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert und am 28. Oktober um 21.30 Uhr aktualisiert. 

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen