Was bringt der EU-Krisengipfel?
23. April 2015 Im Vorfeld des EU-Sondergipfels anlässlich der jüngsten Flüchtlingstragödien im Mittelmeer formuliert EU-Ratspräsident Donald Tusk eher bescheidene Ziele. "Wir wollen weitere Menschen vor dem Ertrinken im Mittelmeer bewahren", sagte Tusk und forderte zum Kampf gegen Menschenhändler auf und die Solidarität der EU-Mitgliedsländer ein. Schon an diesem Punkt dürfte es politisch schwierig werden, spätestens aber dann, wenn Tusk über einen "ersten Schritt zur Entwicklung eines umfassenden EU-Ansatzes für Migration in der Zukunft" spricht.
Denn bereits vor dem Krisengipfel am Donnerstagnachmittag in Brüssel sind so viele widersprüchliche Äußerungen und Forderungen zu hören, dass kaum davon auszugehen ist, dass die europäischen Staats- und Regierungschefs in der Kürze der Zeit auf einen Nenner kommen werden. Von dem Zehn-Punkte-Plan, der seit Anfang der Woche zur Diskussion steht, werden wohl nur einige wenige Punkte tatsächlich umsetzbar sein.
Mission zur Seenotrettung
Am wahrscheinlichsten ist noch, dass ziemlich zügig eine Seenot-Rettungsmission gestartet wird. Unter anderem Deutschland hat dafür Schiffe angeboten, Großbritannien will gar sein größtes Kriegsschiff bereitstellen, Frankreich weitere Hilfe beisteuern und Italien ist sowieso noch im Einsatz - am Material dürfte eine solche Mission nicht scheitern. Ebenso wenig am Geld: Der deutsche Innenminister Thomas de Maizière sprach im Bundestag bereits von einer Verdreifachung der europäischen Mittel für die Seenotrettung.Niemand will sich vorwerfen lassen, aus Geiz die Ertrinkenden im Mittelmeer nicht zu retten. Der moralische Druck auf die EU ist längst zu hoch. Sogar der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat inzwischen in den Chor der EU-Kritiker eingestimmt.
Geplant ist die verbesserte Seenotrettung allerdings unter dem Befehl des "Triton"-Einsatzes der Grenzschutzagentur Frontex. Wenn die EU-Schiffe jedoch insbesondere vor der libyschen Küste patrouillieren sollen, von wo derzeit die meisten Flüchtlinge in Richtung Europa starten, müsste dieses Mandat erweitert werden.
Etwas Geld und Hilfe für Italien
Auch ein gewisses Maß an solidarischer Unterstützung für die Erstaufnahmeländer Italien, Griechenland und Malta wird wohl zustande kommen. Deutschland bietet personelle Hilfe bei der Registrierung der Flüchtlinge an. Daran hat Berlin ein besonderes Interesse, weil die meisten Flüchtlinge illegal in den europäischen Norden weiterreisen.Die EU-Asylagentur auf Malta könnte bei der Aufnahme von Asylanträgen helfen, die Verfahren sollen vor allem beschleunigt werden. Auch finanzielle Unterstützung aus dem EU-Haushalt unter anderem für Italien sollte möglich sein. Dem italienischen Regierungschef Matteo Renzi dürfte das aber kaum genügen. Er verlangt eine umfassende Strategie der EU im Umgang mit der Flüchtlingsproblematik, und die wird er bei diesem Sondergipfel kaum bekommen. Seit mindestens 15 Jahren sind Versuche, eine gemeinsame EU-Flüchtlingspolitik auf den Weg zu bringen, regelmäßig gescheitert.
Hohe Hürden vor Millitäreinsatz
Auch die Forderung von Renzi und vielen anderen europäischen Regierungschefs, die Menschenhändler in Nordafrika zu bekämpfen, lässt sich schwer umsetzen. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini soll prüfen, wie eine Mission aussehen könnte, deren Auftrag es wäre, die Boote der Schlepper aufzufinden und noch vor der Abfahrt zu zerstören. Dabei könnten Informationen über die Schleuserbanden genutzt werden, die zum Beispiel der italienische Geheimdienst haben soll.
Aber die rechtlichen und politischen Hürden für einen solchen Einsatz sind hoch und die Idee einer EU-Mission, die auf fremdem Territorium Schiffe zerstört oder gar in Schießereien verwickelt wird, schwer vorstellbar. Unter deutschen Politikern ist zudem umstritten, ob für einen militärischen Einsatz nicht ein UN-Mandat notwendig wäre. Unterdessen erwägt Italien, gezielte Militärschläge an der libyschen Küste in eigener Regie durchzuführen.
EU uneinig bei Aufnahme von Flüchtlingen
Vollends unübersichtlich wird die Interessenlage in der EU, wenn es um die Aufnahme von Flüchtlingen geht. Manche Länder wie beispielsweise Ungarn und Tschechien haben bereits abgelehnt: Die Regierung in Prag will keine Verteilungsquote und erklärt, Europa solle sich auf den Kampf gegen illegale Zuwanderung konzentrieren. Der britische Premier David Cameron ist ebenfalls gegen einen Verteilungsschlüssel und bietet ersatzweise Hilfe aus dem britischen Entwicklungshilfeetat in den Herkunftsländern an. In Großbritannien ist Wahlkampf und das Thema Migration spielt dabei eine wichtige Rolle.Deutschland dagegen hat bereits die Aufnahme eines Teils von 5000 anerkannten Kriegsflüchtlingen zugesagt, allerdings dürften sich nur zehn Bundesländer an dieser Aktion beteiligen. Frankreichs Präsident François Hollande wird vermutlich Bundeskanzlerin Angela Merkel persönlich bitten müssen - die Regierung in Paris hat Angst vor den Antiflüchtlings-Parolen des Front National. Aus den Niederlanden melden sich schon die Rechtspopulisten zu Wort: Geert Wilders fordert, alle Flüchtlinge zurückzuschicken und ihnen die Einreise nach Europa zu verwehren. Auch andere europäische Regierungen fühlen sich bei der Flüchtlingspolitik durch rechtspopulistische Parteien in ihren Ländern unter Druck. Vor diesem Hintergrund dürften Forderungen nach legalen Migrationswegen und "humanitären Visa" für die EU kaum durchsetzbar sein.
Streit dürfte es auch über den Vorschlag geben, für den vorübergehenden Aufenthalt der Flüchtlinge Lager in Nordafrika einzurichten. Wie kann die Rechtsstaatlichkeit in diesen Lagern gewahrt werden? Wer soll sie kontrollieren, wie die Rückführung der Menschen organisiert werden, die kein Asyl in Europa erhalten? Die Idee für solche Flüchtlingslager ist rund zehn Jahre alt und seitdem immer wieder gescheitert.
Amnesty International kritisiert EU-Pläne
Doch nun ist schnelle praktikable Hilfe gefragt. Inzwischen warnt die Internationale Seeschifffahrts-Organisation vor bis zu einer halben Million Flüchtlingen, die sich in diesem Jahr über das Mittelmeer in Richtung Europa aufmachen werden. Amnesty International (AI) will während des Sondergipfels vor dem EU-Ratsgebäude in Brüssel mit Särgen demonstrieren, um auf die Todesopfer im Mittelmeer hinzuweisen.
Die geschäftsführende Direktorin des EU-Büros von Amnesty, Iverna McGowan, kritisierte die Pläne der EU in der Flüchtlingspolitik bereits als "allein motiviert von Sicherheitspolitik und Kriminalitätsbekämpfung und nicht von Menschenrechtspolitik". Die EU brauche aber "ein umfassendes Flüchtlings- und Zuwanderungskonzept", sagte McGowan der "Berliner Zeitung". "Sonst werden sich solche Tragödien im Mittelmeer immer wieder ereignen."