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Flüchtlingskrise: Merkel unter Druck

Kay-Alexander Scholz, Berlin23. Oktober 2015

Bereits am Wochenende treten die neuen Asylgesetze in Deutschland in Kraft. Damit könnte die im großen Stil geplante Abschiebung von Asylbewerbern beginnen. Die Bundesregierung steht unter Zugzwang.

Angela Merkel im Bundestag (Foto: Reuters)
Bild: Reuters/H.Hanschke

Die Flüchtlingskrise gewinnt weiter an politischer Brisanz in Deutschland. Denn in der Bevölkerung droht die Stimmung zu kippen. Die Hälfte der Befragten macht sich laut Umfrage der Demoskopen vom Institut in Allensbach inzwischen große Sorgen, wie der Zustrom von Flüchtlingen zu bewältigen sei. Bei der Mehrheit rücken, das ergab die Umfrage auch, die Risiken der Entwicklung gegenüber den Chancen in den Vordergrund.

In dieser Woche schrieben 200 Bürgermeister aus dem besonders stark von der Flüchtlingskrise betroffenen Bundesland Nordrhein-Westfalen an Merkel, sie solle die Zuwanderung begrenzen. Die Sorgen der Basis kriegen auch die Bundestagsabgeordneten in ihren Wahlkreisen zu hören. Bei der jüngsten Fraktionssitzung von CDU/CSU ließen sie entsprechend Dampf in Berlin ab. Erste Gerüchte kursieren im Regierungsviertel, Merkel werde die Krise politisch nicht überleben.

Nur eine Geduldsfrage?

Die rechtspopulistische AfD, die das Flüchtlingsthema zu einem Kernthema gemacht hat, gewinnt von Woche zu Woche an Zustimmung - und liegt nun bundesweit zwischen sieben und acht Prozent. Die Unionsparteien verlieren an Zustimmung. Und das obwohl die anderen Parteien vor der AfD und ihren radikalen Tendenzen warnen.

Angesichts weiterhin zehntausender Flüchtlinge auf der Balkanroute erhöht sich der Druck auf die Regierung. Doch Geduld hat Merkel angemahnt, denn sie will die nationale und europäische Asylpolitik grundlegend neu ordnen. Allerdings: richtig schnell voran kommt sie damit in Europa derzeit nicht. Ein dauerhafter Verteilungsmodus der Flüchtlinge über alle EU-Staaten hat jedenfalls noch keine Mehrheit. Am Sonntag soll beim inzwischen dritten EU-Sondergipfel angesichts der Situation im Westbalkan auch darüber beraten werden. Selbst aus dem in Flüchtlingsfragen als Vorzeigeland geltenden Schweden kommt inzwischen - von Regierungschef Stefan Löfven persönlich - die Botschaft, die Grenze der Kapazität sei erreicht. Ähnlich wie in Deutschland werden in Schweden immer wieder geplante Flüchtlingsunterkünfte in Brand gesetzt.

Die angedachte Eindämmung oder Bekämpfung der Flüchtlingsursachen in den europäischen Nachbarregionen, die Merkel ebenfalls auf die Agenda gesetzt hat, ist eine noch wesentlich längerfristige Herausforderung als das, was sich Merkel in Deutschland und Europa vorgenommen hat.

Diese Stimmungslage ist wohl der Grund, warum das im Eiltempo in der vergangenen Woche vom Bundestag und Bundesrat beschlossene Gesetzespaket zur Verschärfung des Asylrechts nun nicht erst am 1. November, sondern einige Tage früher als geplant in Kraft treten soll, wie ein Sprecher des Bundesinnenministeriums am Freitag bestätigte. Das klingt ein wenig nach Aktionismus, andererseits ist eine Woche in diesen Tagen auch kein zu unterschätzender Zeitraum. Das Signal, etwas zu tun, soll die Stimmung beruhigen. Genau davon sprach am Freitag auch Kanzleramtsminister Peter Altmaier, der auch Flüchtlingskoordinator der Bundesregierung ist, in einem ARD-Interview. Die raschere Umsetzung der schärferen Asylregelungen sei ein gutes Signal, so Altmaier.

Verschärfungen im Asylrecht

Das Gesetzespaket enthält in der Tat wesentliche Änderungen. Unter der Überschrift "Schutz für politische Flüchtlinge aber nicht für Wirtschaftsmigranten" werden alle Länder des Westbalkans zu sicheren Herkunftsländern erklärt. Noch immer strömen von dort tausende Menschen - zuletzt vor allem aus Albanien - nach Deutschland. Sie sollen nun keine Aussicht auf Asyl mehr haben.

Parallel dazu soll die Abschiebung abgelehnter Asylbewerber forciert und nun auch konsequent umgesetzt werden. 190.000 Abgelehnte leben derzeit in Deutschland, wovon 140.000 geduldet sind, 50.000 aber eigentlich sofort abgeschoben werden müssten. Nun können Asylbewerber länger - nicht mehr drei, sondern sechs Monate - in den sogenannten Erstaufnahme-Einrichtungen festgehalten werden, um sie gegebenenfalls direkt von dort abschieben zu können. Denn jeder Platz in den Heimen wird dringend für die anderen Flüchtlinge mit sogenannter Bleibeperspektive gebraucht.

Warten auf die Erstregistrierung -Flüchtlinge in BerlinBild: Reuters/F. Bensch

Zusätzlich abschreckende Wirkung erhofft sich die Bundesregierung dadurch, dass die Asylbewerber möglichst kein Bargeld mehr in die Hand bekommen, sondern nur noch Verpflegung, Kleidung und andere Sachleistungen. Wenn das neue Gesetz schon an diesem Wochenende in Kraft treten sollte, heißt es, dass sofort mit Abschiebungen begonnen werden könne.

Probleme mit der Bearbeitung der Anträge

Doch es gibt noch andere große Baustellen. Die Bearbeitung der Asylanträge geht noch immer nicht so zügig voran, wie sie sollte. Hunderttausende Anträge warten auf Bearbeitung. Im zuständigen Bundesamt für Migration sollen tausende neue Stellen eingerichtet werden, doch das dauert. In einigen Bundesländern wie in Berlin klappt noch nicht einmal die Erstregistrierung der Flüchtlinge. Damit ist noch nicht der eigentliche Antrag auf Asyl gemeint, sondern nur eine erste Erfassung. Schon darauf müssen Flüchtlinge teilweise monatelang warten.

Unterstützung erhielt Merkel inzwischen von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Er schätze sehr, dass sich Merkel "nicht von Meinungsumfragen von ihrem Kurs abbringen" lasse, berichten Agenturen. Er sei froh, in Merkel eine Verbündete zu haben, die "über einen ausreichend langen Atem und die Tatkraft verfügt, sich solchen Herausforderungen zu stellen".

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