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Alltagsrassismus hält sich

Wolfgang Dick21. September 2016

Der aktuelle Jahresbericht zum Stand der deutschen Einheit beklagt einen verfestigten Fremdenhass, vor allem in Ostdeutschland. Was das konkret bedeutet, erleben etliche Flüchtlingsräte in ihrem Alltag.

Deutschland Flüchtlinge kommen an der ZAA in Berlin an
Bild: Getty Images/S. Gallup

Wer Flüchtlingen und Migranten hilft, sich in Deutschland einzuleben, muss mit Anfeindungen rechnen, die nicht mehr nur von polizeibekannten organisierten rechtsradikalen Organisationen kommen, sondern inzwischen aus rassistisch eingestellten Teilen der Bevölkerung, aus der Mitte der Gesellschaft.

"Es gibt Pöbeleien, es wird geprügelt, Menschen werden zu Boden gestoßen, es wird mit Füßen getreten, Knallkörper oder Brandbomben werden in Briefkästen gesteckt oder in Hausflure geworfen" berichtet Ulrike Seemann-Katz, die Vorsitzende des Flüchtlingsrates Mecklenburg-Vorpommern. "Die körperliche Gewalt hat zugenommen." Nicht nur Flüchtlinge werden an ihren Wohnorten und Unterkünften bedroht und angegriffen, auch ihre Helfer und Unterstützer erleben, wie die Hemmungen fallen.

"Es gibt neben hässlichen Mails und Sachbeschädigungen Schlägereien und konkrete Morddrohungen", weiß Ali Moradi vom sächsischen Flüchtlingsrat. Er schildert, dass sich besonders junge Leute unter den Flüchtlingen nur noch in Gruppen in die Öffentlichkeit trauten, weil sie Angst hätten, angegriffen zu werden. "Mit jedem Aufmarsch fremdenfeindlicher Bürger erhalten Flüchtlinge das Signal 'Ihr seid nicht willkommen'."

Ali Moradi bewundert alle Flüchtlingshelfer, die sich nicht einschüchtern lassenBild: Sächsischer Flüchtlingsrat

Aber es bleibt nicht bei Aufmärschen. Im Landkreis Wittenberg sei eine Unterkunft, die lediglich für die Aufnahme von Flüchtlingen vorgesehen war, schon vor ihrer Eröffnung innerhalb von drei Monaten sechs Mal Anschlagsziel geworden. Zunächst sei das Gebäude unter Wasser gesetzt worden, dann seien Scheiben eingeworfen und schließlich mit scharfer Munition auf das Gebäude geschossen worden. Nur ein Vorfall von vielen. Die polizeilichen Statistiken weisen bei den rassistisch motivierten Taten einen Anstieg um 120 Prozent gegenüber dem ersten Halbjahr 2015 aus. Der Jahresbericht zum Stand der deutschen Einheit nimmt diese Entwicklung auf.

Alltagsrassismus

Flüchtlingsräte bestätigen, dass sich eine Art Alltagsrassismus in vielen Lebensbereichen in Form von Widerstand gegen Flüchtlinge breitmacht. Zum Beispiel gebe es bei der Aufnahme von Flüchtlingskindern in Schulen immer wieder Vorurteile und Bestrebungen, Klassen zu teilen, oder es werde darum gebeten, einzelne Personen mit Migrationshintergrund zum Unterricht nicht zuzulassen wegen vermeintlicher integrationsfeindlicher Einstellungen wie zum Beispiel einer "Vollverschleierung". Ulrike Seemann-Katz versucht in Mecklenburg-Vorpommern, mit ihrem Flüchtlingsrat zu vermitteln und eine Lösung zu finden.

Anschlag im August 2016auf eine Flüchtlingsunterkunft in KasselBild: picture-alliance/dpa/B. Schoelzchen

Ein großes Problem sei die offene Zurückweisung von Wohnungssuchenden. Flüchtlinge werden, selbst wenn sie mit unterstützenden Personen auftreten, in acht von zehn Fällen abgelehnt, bestätigt der Dachverband unabhängiger Anti-Diskriminierungsstellen auch die Erfahrung des sächsischen Flüchtlingsrates. Inzwischen würden nicht einmal mehr Ausreden vorgeschoben, sondern offen gesagt, dass man an Migranten nicht vermiete, weil man vermeintlich nur Ärger gehabt habe.

Vorbehalte in den Behörden

Ali Moradi vom Flüchtlingsrat beklagt, verantwortliche Politiker und Behördenvertreter in Sachsen unterstützten ihn zuwenig. "Die bestehenden NGO-Strukturen zur Hilfe von Flüchtlingen können sich nicht entwickeln", sagt Moradi.

Verloren im Fremdenhass - oft verweigern Vermieter Flüchtlingen Wohnungen mieten zu lassenBild: DW/R. Shirmohammadi

Es mangele an offizieller Hilfe. Er kenne zum Beispiel viele Fälle von Menschen, die seit 15 Jahren immer noch in Wohnheimen festsäßen. "Von Integration und all dem, über das in den Medien berichtet wird, kann hier keine Spur gefunden werden." Die Vorfälle in Bautzen seien auch kein gutes Zeichen gewesen. Wieder seien einseitig von offizieller Seite eher Vorwürfe gegen junge Flüchtlinge geäußert worden.

Zivilgesellschaftliches Engagement müsse weiter verstärkt werden. Die öffentliche Hand hätte hier Vorbildfunktion. "Integration muss von beiden Seiten kommen, sonst zieht sich eine Seite zurück", fürchtet Moradi.

Erfolgreiche Ansätze im Kampf gegen Fremdenhass

"Wir versuchen, Begegnungsereignisse zu schaffen", erläutert Ulrike Seemann-Katz vom Flüchtlingsrat Mecklenburg-Vorpommern ihre Strategie. Nur im persönlichen Kontakt zwischen der Bevölkerung und den Flüchtlingen könnten Vorurteile abgebaut werden. So habe es ein älteres Ehepaar gegeben, das zunächst Befürchtungen hatte, als eine Flüchtlingsfamilie in ihre Wohnanlage einzog. Nach einer persönlichen Begegnung sei das ältere Ehepaar sofort in den Keller gegangen und habe Spielzeug für die Kinder der Flüchtlingsfamilie gesucht.

"Es protestieren meist die Leute, die Flüchtlinge nicht kennen", berichtet Seemann-Katz aus ihren Erfahrungen. Nach vielen Begegnungen mit Flüchtlingen hätten sich besonders Sportvereine und private Gruppen sehr für eine Integration engagiert. Seemann-Katz räumt aber auch ein, dass Bürger mit fremdenfeindlichen Einstellungen nicht für Argumente oder Begegnungschancen zugänglich seien. Dennoch dürfe man die Arbeit daran nicht aufgeben.

Ulrike Seemann-Katz engagiert sich im Flüchtlingsrat Mecklenburg-VorpommernBild: Flüchtlingsrat Mecklenburg-Vorpommern e.V.

Vertreter mobiler Beratungen für Opfer rechtsradikaler Gewalt sowie Aktionsbündnisse gegen Rechtsextremismus äußern immer wieder, womit sie gute Erfahrungen gegen Fremdenhass gemacht hätten. Das seien vor allem öffentliche Aktionen, die zeigen, dass sich viele Menschen für Flüchtlinge engagierten. Mit einer Menschenkette rund um ein Flüchtlingsheim in Sachsen-Anhalt sei so verhindert worden, dass rechtsextreme Kräfte gegen die Unterkunft vorgingen.

Die von der DW befragten Flüchtlingsräte bestätigen, dass es neben dem verfestigten Fremdenhass eben auch diese Entwicklung gebe: mehr Bürgerinitiativen, die sich für Flüchtlinge und Migranten engagieren. Nur wenige hätten sich aufgrund von Bedrohungen komplett zurückgezogen.

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