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Politik

Flaschenpost für Nordkorea

Fabian Kretschmer
8. Mai 2018

Mit freien Informationen wollen nordkoreanische Flüchtlinge in Südkorea das Regime von Kim Jong Un stürzen. Über die innerkoreanische Seegrenze schmuggeln sie USB-Sticks ins Heimatland. Fabian Kretschmer aus Seongmodo.

Flüchtlingsaktivisten schmuggeln USB-Sticks nach Nordkorea
Bild: DW/F. Kretschmer

Es ist ein nebelverhangener Morgen, als Park Jeong-oh seinen blauen Pritschenwagen am Ende eines matschigen Trampelpfades parkt. Von hier aus, dem nördlichsten Zipfel der südkoreanischen Insel Seongmodo, ist die innerkoreanische Seegrenze nur mehr wenige Kilometer entfernt. Park ist ein Aktivist. Gemeinsam mit seinen geflüchteten Landsleuten aus Nordkorea will er das Regime vom Diktator Kim Jong Un zu Fall zu bringen.

Park steigt auf die Ladefläche des Fahrzeugs, die mit gelben Plastiksäcken gefüllt ist. Er reicht die Fracht an seine Aktivistengruppe weiter. "Wir haben nach Wegen gesucht, wie wir die Leute direkt erreichen können", sagt Park. Seit zwei Jahren fährt er alle paar Wochen von der Hauptstadt Seoul an die koreanische Westküste, um die Gezeiten für seine politische Agenda zu nutzen.

Aktivist ParkBild: DW/F. Kretschmer

Reis, Bibel und Trump-Reden

Ältere Frauen sitzen am Wasser und holen die Fracht aus den Säcken heraus: herkömmliche Plastikflaschen, die mit jeweils 700 Gramm Reis gefüllt sind. Darin sind jedoch noch weiter Objekte versteckt:  ein USB-Stick mit acht Gigabyte Datenvolumen, auf dem südkoreanische Fernsehserien zu sehen sind, aber auch politische Reden von US-Präsident Donald Trump mit koreanischen Untertiteln sowie die Bibel.

Ebenso haben die Aktivisten eine Salbe gegen Parasiten in die Flaschen gefüllt, nachdem im letzten November ein nordkoreanischer Soldat an der entmilitarisierten Zone Richtung Süden geflohen ist. Chirurgen entdeckten später einen 27 Zentimeter langen Wurm in seinem Magen.

Manchmal kommen auch Informationen mit der "Luftpost"Bild: picture-alliance/dpa/ Kim Chul-Soo

Ein Hinweis darauf, dass in Nordkorea Dünger noch immer Mangelware ist und die Bauern auf menschliche Fäkalien zurückgreifen müssen. Die Eier der Parasiten haften zum Beispiel an Gemüse. Wird dieses nicht ausreichend gekocht, infiziert man sich mit den Würmern. "Der Reis ernährt dich für ein, zwei Tage", sagt Aktivist Park, "aber der USB-Stick kann dein ganzes Leben verändern."

Der lebende Beweis ist Frau Lee, 70 Jahre, riesiger Strohhut, von Falten gegerbte Haut. Ihren richtigen Namen möchte sie nicht preisgeben, denn sie habe ihre Familie in Nordkorea zurückgelassen. Die Pensionärin erinnert sich noch gut daran, wie sie in den Bergen ihres Heimatdorfes ein Flugblatt fand. "Ich habe mich nicht getraut, es vorzulesen, weil ich wusste, dass mich das in Schwierigkeiten bringen könnte", sagt sie. Doch mit ihren Füßen habe sie den Flyer vorsichtig gewendet, bis sie die Botschaft darauf entziffern konnte: Karikaturen, die den damaligen Staatsführer Kim Jong Il als korrupten Autokraten zeichneten.

Noch viel mehr als der Inhalt hat sie jedoch das Hochglanzpapier beeindruckt. In Nordkorea habe es damals nur ganz vergilbtes Papier von miserabler Qualität gegeben. "Das hat mir zu denken gegeben, dass die Regierung uns nicht die Wahrheit erzählt. Damals hieß es nämlich, dass Südkorea bettelarm sei", sagt sie.

Grenzpropaganda

Bereits im Kalten Krieg hat das südkoreanische Militär seine Grenzpropaganda als Teil der psychologischen Kriegsführung perfektioniert. Per Heißluftballons wurden jedes Jahr Hunderttausende politische Botschaften in den Norden geschickt. Manchmal waren es auch nur Flugblätter mit leicht bekleideten Badenixen. "Kamerad! Lass uns zusammenleben! Ich warte auf dich in Seoul", stand auf einem Motiv während der neunziger Jahre. Während der Hungersnot in Nordkorea galten randvolle Supermarktregale als vorrangiges Motiv.

Später jedoch beschränkte sich die Grenzpropaganda auf akustische Beschallung. Am 10. August 2015 baute das südkoreanische Militär die Anlagen nach einer langen Sendepause wieder auf, nachdem eine nordkoreanische Landmine zwei Soldaten schwer verletzt hatte. Damals stand die Armee - wie so oft - vor dem Dilemma, die feindlichen Handlungen des Nordens nicht tatenlos hinnehmen zu können, gleichzeitig jedoch die innerkoreanischen Spannungen nicht zu stark eskalieren lassen zu wollen.

Lautsprecheranlagen inzwischen komplett abgebautBild: Getty Images/Chung Sung-Jun

Ob scheinbar harmlose Nachrichten oder einfach nur koreanische Popmusik: Nordkoreas Regime wertete die akustische Beschallung regelmäßig als Kriegserklärung. In der Vergangenheit waren die Propagandalautsprecher daher stets ein verlässlicher Gradmesser für die politischen Beziehungen zwischen Nord- und Südkorea.

Seit dem innerkoreanischen Gipfeltreffen Ende April wurden die Lautsprecher nun endgültig abgebaut. Südkoreas Präsident Moon Jae In und Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un haben bei ihrer gemeinsamen Stellungnahme nicht nur ihren Willen zur Denuklearisierung bekundet, sondern auch versprochen, sämtliche Propaganda entlang der Grenze einzustellen. Auch von der Zivilgesellschaft erhofft sich Südkoreas linksgerichteter Präsident, den Friedensprozess nicht durch provokativen Aktivismus zu gefährden.

Aktivisten in AktionBild: DW/F. Kretschmer

Südkoreaner trauen Kim Jong Un

"Ich habe mir das Gipfeltreffen nicht mal angeschaut. Allein bei dem Gedanken, dass Kim Jong Un im Süden zum Bankett eingeladen wurde, kocht mir schon das Blut in den Adern", sagt Jung Gwang-il. Der 56-Jährige saß einst selbst im politischen Gefangenenlager in Nordkorea, nachdem ihn sein Nachbar wegen angeblicher Spionage angezeigt hatte. Nach zehn Monaten Haft stellten die Behörden zwar seine Unschuld fest und ließen ihn frei, doch Jung war da bereits auf 40 Kilogramm abgemagert. Die tägliche Zwangsarbeit von 16 Stunden hatte seine körperliche Gesundheit ruiniert. Zwei Wochen später floh er über den Grenzfluss Tumen nach China.

"Jetzt reden viele über Frieden, dabei sollten wir uns fragen: Frieden mit wem? Wir wollen Frieden mit dem Volk, nicht mit dem Regime", sagt er. Für die Aktivisten sei das Gipfeltreffen eine reine Show, die das Kim-Regime nur weiter legitimieren würde.

In der Tat hat das Treffen zwischen Moon und Kim die Einstellung der Südkoreaner geradezu diametral verändert. Vor anderthalb Monaten gaben laut einer Gallup-Umfrage nur etwa 10 Prozent aller Befragten an, dass sie Nordkoreas Staatschef Kim Jong Un über dem Weg trauen würden. Nach dem Gipfeltreffen waren es über 78 Prozent.

Das innerkoreanische Gipfeltreffen Ende AprilBild: Reuters

Informationsrevolution

Davon ist Aktivist Park noch nicht überzeugt, genau wie andere Flüchtlinge aus Nordkorea. Studien unter den rund 30.000 nordkoreanischen Flüchtlingen in Südkorea belegen, wie sehr der Schmuggel mit USB-Sticks die Außenwahrnehmung der Bevölkerung verändert hat.

Eine Umfrage des Washingtoner Marketinginstituts InterMedia ergab, dass im Jahr 2010 bereits rund ein Viertel aller geflüchteten Nordkoreaner mit USB-Datenträgern in Berührung kamen. 2017 sollen es bereits über 90 Prozent gewesen sein. Auf den Schwarzmärkten des Landes gibt es oftmals südkoreanische Kinofilme nur wenige Monate später zum Verkauf.

USB-Sticks sind deshalb so beliebt, weil sie auf günstigen chinesischen Geräten abgespielt werden können. Zudem sind sie handlich und können leicht versteckt werden. Früher haben die Behörden bei Razzien ganzen Dörfern den Strom abgestellt, um illegale DVDs zu beschlagnahmen, die ohne Strom nicht aus den Lesegeräten entfernt werden konnten - mit USB-Sticks ist das möglich.

Jedes Jahr führt das Seouler Vereinigungsministeriums Umfragen zu den Fluchtursachen der neu ankommenden Nordkoreaner durch. Während der Wunsch nach Freiheit eine immer größere Rolle spielt, nehmen die Fluchtursachen Armut und Hunger langsam ab. Jener Freiheitswunsch, so glauben viele Experten, wird durch gesteigerten Informationszugang ausgelöst.

Als der Wasserstand an der Seongmodo Insel die nötige Höhe erreicht hat, werfen die Aktivisten Hunderte von Plastikflaschen in die Strömung. Dabei singen sie und rufen Freudenschreie aus. Wie sie sich sicher sein können, dass ihre Flaschenpost auch tatsächlich Nordkoreaner erreicht? "Die südkoreanische Küstenwache hat es selbst schon mehrfach beobachtet, wie nordkoreanische Küstenbewohner unsere Flaschen vom Strand auflesen", sagt Park. "In spätestens sechs Stunden kommt unsere Fracht an."

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