Flaue Konjunktur hinterlässt bei Siemens erste Bremsspuren
10. August 2023
Zuletzt liefen die Geschäfte bei Deutschlands führendem Industriekonzern Siemens glänzend - aber jetzt schlägt die flaue Weltkonjunktur doch durch. Auch die Milliarden-Verluste bei Siemens Energy belasten die Bilanz.
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Im Kerngeschäft von Siemens zeigen sich erste Bremsspuren der mauen Konjunktur. Der Auftragseingang in der Automatisierungs-Sparte Digital Industries sei im dritten Quartal 2022/23 (April bis Juni) um 35 Prozent eingebrochen, teilte der führende deutsche Technologiekonzern am Donnerstag mit. Vor allem im kurzzyklischen Geschäft mit Fabrik-Automatisierung, und dort besonders in China, hielten sich die Kunden zurück, die viele Bestellungen vorgezogen hätten, erklärte Vorstandschef Roland Busch. Er sprach von einer "Normalisierung der Nachfrage". Siemens nahm die Umsatz- und Gewinnerwartungen für das Geschäftsjahr 2022/23 (per Ende September) für die Sparte zurück, die als Aushängeschild gilt.
Entsprechend verlässt sich Siemens in den nächsten Monaten nicht mehr so stark auf die Nachfrage aus China. "In China erholt sich der Markt für die industrielle Produktion langsamer als erwartet. Wir gehen daher von einer abgeflachten Entwicklung aus", sagte der Vorstandschef des Technologiekonzerns, Roland Busch, am Donnerstag laut Redetext. Die Entwicklung hänge auch von den erhofften staatlichen Konjunkturprogrammen ab, "wann sie kommen und wie sie umgesetzt werden". Finanzvorstand Ralf Thomas ergänzte mit Blick auf die Automatisierungs-Sparte Digital Industries, es gebe nur wenige Stornierungen, Lieferungen seien aber verschoben worden. Für die nächsten Quartale - bis in das Geschäftsjahr 2023/24 hinein - erwarte Siemens "eine Verlangsamung der Wachstumsdynamik auf hohem Niveau".
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Windgeschäft "bleibt eine Enttäuschung"
Im Siemens-Konzern bleibt es gleichwohl bei den Prognosen: ein vergleichbares Umsatzwachstum von neun bis elf Prozent und ein bereinigtes Ergebnis je Aktie von 9,60 bis 9,90 Euro. Die Effekte aus der Beteiligung an Siemens Energy, die die operativen Ergebnisse erneut überschattete, klammert der Konzern nun aber ausdrücklich aus.
Wegen der verschärften Probleme im Windkraft-Geschäft hat die abgespaltene Energietechnik-Sparte im dritten Quartal drei Milliarden Euro Verlust erwirtschaftet. Auf Siemens entfallen davon anteilig 647 Millionen Euro, so dass der Nettogewinn im Konzern mit 1,41 Milliarden Euro etwas hinter den Erwartungen der Analysten zurückblieb. Siemens hält 25,1 Prozent an Siemens Energy und plant, diese Anteile weiter zu reduzieren. Die anhaltenden Verluste und Qualitätsmängel im Windgeschäft seien "eine schwere Enttäuschung", sagte Siemens-Chef Busch
Im Kerngeschäft machten die Gebäudetechnik-Sparte Smart Infrastructure und die Zug-Sparte Mobility die Schwäche bei Digital Industries wett. Der Auftragseingang schnellte im dritten Quartal um 15 Prozent auf 24,2 Milliarden Euro, vor allem wegen einiger Milliardenaufträge für Züge. Der Umsatz stieg um zehn Prozent auf 18,9 Milliarden Euro, von Siemens befragte Analysten hatten aber mehr erwartet. Das Ergebnis aus dem industriellen Geschäft blieb mit 2,8 (2,9) Milliarden Euro ebenfalls hinter dem Vorjahresniveau und hinter den Prognosen der Analysten zurück. "Wir sind erneut profitabel gewachsen und haben unsere Wettbewerbsstärke in allen unseren Geschäften unter Beweis gestellt", resümierte Vorstandschef Busch.
Siemens: Vom Zeigertelegrafen zum Internet der Dinge
Vor 200 Jahren wurde der Siemens-Gründer Werner von Siemens geboren. Von Industrierobotern und vernetzten Autos hat der Erfinder damals wohl kaum geträumt. Eine Zeitreise durch die Unternehmensgeschichte in Bildern.
Bild: picture-alliance/dpa/J. Stratenschulte
Alles begann mit dem Zeigertelegrafen
Hiermit fing alles an: 1846 und 1847 baut Werner Siemens seinen ersten Zeigertelegrafen, gewissermaßen der Vorläufer des Faxgeräts. Um ihn in Serie herstellen zu können, gründet der Erfinder zusammen mit dem Feinmechaniker Johann Georg Halske die "Telegraphen-Bauanstalt von Siemens & Halske". In einer Berliner Hinterhauswerkstatt fertigen zehn Handwerker die ersten Zeigertelegrafen.
Bild: Siemens AG
Aus der Werkstatt in die Fabrik
In den folgenden Jahrzehnten wird aus dem Handwerksbetrieb eine Fabrik mit normierter Serienfertigung. Siemens & Halske baut Dampfmaschinen und entwickelt den ersten Generator. Die Entdeckung des elektrodynamischen Prinzips gilt als eine der wichtigsten Leistungen Siemens: Er schuf damit die Voraussetzung, Strom in größerem Umfang zu erzeugen.
Bild: Siemens AG
Ferngespräche in die USA
1864 scheitert die Verlegung eines Seekabels durch das Mittelmeer, was dem Unternehmen empfindliche Verluste beschert. 1874/75 verlegen die Siemens-Brüder Werner, William und Carl mit Hilfe des eigens gebauten Kabeldampfers Faraday dann aber erfolgreich ein Telegrafenkabel zwischen Europa und den USA - weitere Transatlantik-Kabel folgen.
Bild: Siemens AG
Vorreiter bei der E-Mobilität
Auf der Berliner Gewerbeausstellung 1879 präsentiert Siemens & Halske die erste elektrische Eisenbahn der Welt mit Fremdstromversorgung. Es folgt die erste elektrische Straßenbahn (Bild), die im Jahr 1881 in Lichterfelde bei Berlin den Betrieb aufnimmt. Auch der erste Vorläufer des modernen Oberleitungsbusses stammt von Siemens.
Bild: picture alliance/akg-images
Unternehmer mit sozialer Agenda
Neben seinen technischen Innovationen und seinem Unternehmergeist macht sich Werner Siemens (seit 1888 "von Siemens") auch mit sozialpolitischen Initiativen einen Namen. 1872 etabliert er eine Pension-, Witwen- und Waisenkasse als betriebliche Altersversorgung. 1890 scheidet er offiziell aus dem Geschäft aus. Zwei Jahre später erliegt von Siemens im Alter von 75 Jahren einer Lungenentzündung.
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Ein neuer Stadtteil entsteht
Die Firma wird derweil größer und größer: Mit dem Ziel, die Expansion am Traditionsstandort abzusichern, erwirbt Siemens & Halske 1897 ein nahezu unbesiedeltes Gelände nordwestlich von Berlin. Nach und nach werden hier alle betrieblichen Aktivitäten räumlich konzentriert und Werkswohnungen gebaut. Bis 1914 entsteht ein völlig neuer Stadtteil - die "Siemenssstadt".
Bild: Siemens AG
Zwangsarbeit im Siemenswerk
Während des Zweiten Weltkriegs beschäftigt Siemens auch Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge in seinen Werken. Im Siemenslager Ravensbrück setzt das Unternehmen tausende weibliche Häftlinge zum Wickeln von Spulen und zum Bau von Telefonen ein. Nach dem Krieg sind die meisten Gebäude und Werksanlagen zerstört, das Firmen-Vermögen wird konfisziert.
Bild: Dr. Karl-Heinz Hochhaus
Umzug nach München
Teile der Unternehmensführung werden noch im Februar 1945 nach München, Mülheim a.d. Ruhr und Hof verlagert. Siemens & Halske bekommt den Hauptsitz in München, Berlin bleibt zweiter Firmensitz. Zum ersten Oktober 1966 wird die Siemens Aktiengesellschaft gegründet.
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Mehr Produkte, mehr Fabriken, mehr Länder
Turbinen, Automatisierungstechnik, Eisenbahnen, Kraftwerke, private Kommunikationssysteme, Medizintechnik, Waschmaschinen - es gibt kaum etwas, das Siemens nicht baut. Anfang der 1980er produziert das Unternehmen bereits in 37 Ländern. In den 1990er-Jahren lag der Anteil der nicht-deutschen Konzernumsätze bei zwei Drittel.
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Untreue, Bestechung, schwarzer Kassen
2006 fliegt ein schwerwiegender Korruptionsskandal bei Siemens auf: Über Jahre sollen rund 1,3 Milliarden Euro in dunkle Kanäle geschleust worden sein, um lukrative Auslandsaufträge zu ergattern. Den Elektrokonzern kostet die Aufarbeitung 2,5 Milliarden Euro. Etliche Beteiligte verlieren ihren Job; auch die Führungsspitze wird ausgetauscht.
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Radikaler Umbau
Im Mai 2014 stellt der neue Konzernchef Joe Kaeser seine Pläne für einen radikalen Konzernumbau vor. Die Aufteilung des Geschäfts in Sektoren wird aufgehoben, um den Konzern schlanker und wettbewerbsfähiger zu machen. Siemens soll auf Elektrifizierung, Automatisierung und Digitalisierung ausgerichtet werden. Durch den Umbau verlieren Tausende ihren Arbeitsplatz.
Bild: picture-alliance/dpa
Milliardenaufträge und Übernahme-Poker
Mehr als sechs Milliarden Euro zahlt die Deutsche Bahn Siemens für den Bau der neuen ICE-Flotte - der bis dahin größte Auftrag in der Konzerngeschichte. Ähnlich viel Geld gibt es nur von Ägypten, für das Siemens momentan das größte Gaskraftwerk der Welt baut. 2014 will Siemens den französischen Konkurrenten Alstom übernehmen, doch der entscheidet sich für das Angebot von General Electric.
Bild: picture-alliance/dpa
Vernetzt in die Zukunft
Industrie 4.0 und das "Internet der Dinge" versprechen eine intelligentere und weltweite Vernetzung von Maschinen, Lagersystemen und Betriebsmitteln. Die zunehmende Digitalisierung und Vernetzung verändert die komplette industrielle Produktionskette - eine neue Herausforderung für den Siemens-Konzern.