Fliegen oder nicht fliegen?
24. Juni 2019Klimaaktivistin Greta Thunberg aus Schweden fliegt nie. Selbst zum Klimagipfel der Vereinten Nationen in New York im September möchte sie den Atlantik überqueren, ohne in ein Flugzeug zu steigen - stattdessen wird sie vermutlich per Schiff anreisen.
Greta setzt mit ihrem Verhalten zwar neue Maßstäbe für nachhaltiges Reisen, doch der allgemeine Trend ist bisher ein anderer: Der Flugverkehr wächst stetig. Um ein Drittel nahm der weltweite Passagierverkehr allein zwischen den Jahren 2009 und 2014 zu. Mehr als 3 Milliarden Menschen stiegen in diesem Zeitraum jedes Jahr ins Flugzeug. Den grössten Zuwachs gab es in Asien.
Grün wählen und in den Urlaub fliegen?
Und der Trend setzt sich fort: Für Deutschland allein prognostiziert das Deutsche Luft- und Raumfahrtzentrum bis 2030 einen Zuwachs auf 175 Millionen Passagiere pro Jahr - wenn alles so weitergeht wie bisher. Zum Vergleich: 2014 waren es noch 105 Millionen.
Das ist bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass jeder fünfte Deutsche bei den Europawahlen im Mai für die Grünen stimmte, undlaut einer aktuellen Studie des Bundesumweltministeriums mehr als zwei Drittel der Berfragten den Umwelt- und Klimaschutz für eine sehr wichtige Herausforderung halten. Beim Thema Reisen aber scheint das Klima-Gewissen zu schweigen.
"Wir fliegen nur alle zwei, drei Jahre"
Vormittags auf dem Flughafen Köln-Bonn. Es geht ruhig zu, noch hat die Hauptreisezeit nicht begonnen. Der 30-jährige Piet und die 29-jährige Claudia fliegen für eine Woche nach Thessaloniki in Griechenland. Nein, ein schlechtes Gewissen habe er nicht, sagt Piet. "Wir fliegen nur alle zwei bis drei Jahre. Außerdem ist das hier unserer Hochzeitsreise."
Auf der Ankunft-Ebene wartet Sergej auf seinen Cousin. "Ich selbst fliege so vier bis fünf Mal im Jahr", sagt der Student aus Tschechien. Schließlich wolle er möglichst viel von der Welt sehen und mit dem Flieger sei man eben schnell an vielen Zielen. Und das Klima? "Ach, irgendwie ist ja alles schlecht fürs Klima", sagt Sergej.
In Deutschland wollen auch dieses Jahr laut einer Emnid Umfrage rund 20 Prozent den Flieger für die Reise in den Sommerurlaub nutzen, 36 Prozent fahren lieber mit dem Auto in die Ferien, nur 7 Prozent nehmen den Zug.
CO2-Ausgleich - hilft's wirklich?
Wer möchte, der kann fürs Fliegen und auch fürs Autofahren die eigenen CO2-Emmissionen kompensieren. Organisationen, wie "myclimate" oder "atmosfair" errechnen, wie viele Schadstoffe ein Reisender auf einer Strecke mit dem jeweiligen Transportmittel in die Luft pustet und wieviel Geld nötig ist, um den entstandenen Klimaschaden an anderer Stelle auszugleichen, etwa durch die Förderung erneuerbarer Energien in Entwicklungsländern.
Laut dem deutschen Umweltbundesamt (UBA) sollte der CO2-Verbrauch der Deutschen pro Kopf bei höchstenseiner Tonne im Jahr liegen, um die globale Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Piet und Claudia sind mit ihrem Flug nach Thessaloniki und zurück zusammen für mehr als 1,4 Tonnen CO2-Klimawirkung verantwortlich. Die vorgeschlagenen Preise der Komenpensationsrechner liegen bei etwa 34 Euro für diese Strecke.
Sergej, der Student aus Tschechien, hat bisher noch keine CO2 Kompensationen für seine Flüge gezahlt. "Vielleicht später einmal, wenn ich mehr Geld verdiene", sagt er.
Beim Bund für Natur und Umweltschutz Deutschland (BUND) begrüßt man zwar freiwillige Ausgleichszahlungen. Arne Fellermann, Experte für Verkehrspolitik bei der NGO, gibt allerdings zu bedenken: "Man selbst stößt ja erst einmal CO2 aus, die Kompensation erfolgt aber zunächst nur auf dem Papier. Und während die Klimaauswirkungen beim Fliegen sofort entstehen, müssen Klimaschutzmaßnahmen richtig konzipiert sein und über lange Zeit bestehen, damit sie wirken."
Sprich: nicht jedes Projekt, bei dem zum Beispiel ein Windrad aufgestellt wird, ist tatsächlich ein Klimaprojekt.
Staatliche Subventionen für klimaschädliches Reisen
Nicht nur der BUND, auch das Umweltbundesamt fordert daher, die bestehenden Steuervergünstigungen für Flüge abzubauen. In Deutschland, wie in den meisten anderen EU-Staaten, müssen Airlines keine Steuern für Kerosin bezahlen. Wie das UBA in seinem Subventionsbericht 2016 schreibt, verzichtete allein Deutschland im Jahr 2012 dadurch auf mehr als sieben Milliarden Euro Kerosinsteuern. Aktuell würde die Summe angesichts des wachsenden Flugverkehrs noch deutlich höher liegen.
Durch eine Steuer auf den Flugzeugtreibstoff Kerosin könnten allein in Europa jährlich 16,4 Millionen Tonnen CO2 eingespart werden, heißt es in einer bislang unveröffentlichten Studie der EU-Kommission, die der Umweltverband Transport and Environment (T&E) Mitte Mai publik gemacht hat. Wenige Wochen später erklärte Frankreich, sich für die Einführung einer europaweite Flugsteuer stark machen zu wollen.
Treibstoff aus Wasser, CO2 und Strom
Zurück am Flughafen Köln-Bonn. Rambhaskar und Ashrekha fliegen heute mit ihren Kindern nach Venedig. "Nach Paris sind wir mit dem Bus gefahren. Aber mit kleinen Kindern 18, 20 Stunden nach Italien reisen - das geht nicht", erzählt Rambhaskar, der Vater der indischen Familie aus Köln. Er hoffe, dass endlich auch die Fluggesellschaften etwas unternehmen, damit Fliegen weniger klimaschädlich werde.
Tatsächlich forscht etwa das Unternehmen Lufthansa Systems an klimaschonenderen Flugrouten. Dabei steht vor allem die Vermeidung klimaerwärmender Wolkenbildung im Fokus. Anderswo wird an einem klimafreundlichen Ersatz für Erdöl getüftelt.
"Power to Liquid", PtL, heißt das System dahinter. Dabei wird mit Hilfe von erneuerbarem Strom durch Elektrolyse aus Wasser Wasserstoff gewonnen. Danach wird durch die Zugabe von CO2 aus der Luft synthetisches Öl hergestellt. Aus diesem wiederum kann man - wie aus fossilem Erdöl - Kerosin und andere Treibstoffe erzeugen.
Eine der Firmen, die Anlagen für dieses Verfahren herstellen, ist Sunfire aus Dresden. In einem Konsortium mit anderen Firmen baut das Unternehmen eine Pilotanlage in Rotterdam. Eine noch größere Anlage soll nächstes Jahr in Norwegen den Betrieb aufnehmen. Dort könnten in Zukunft circa zehn Millionen Liter synthetisches Erdöl pro Jahr produziert werden, sagt Pressesprecher Nico Ulbicht.
Quoten für das "Bio-Kerosin"
Das Problem: Noch ist synthetisches Erdöl pro Liter etwa einen bis zwei Euro teurer als fossiles Erdöl. Langfristig aber, so zumindest die Prognose von Sunfire, soll der Preis auf unter einen Euro pro Liter fallen. Das hänge aber auch davon ab, in welchem Maße erneuerbare Energien zur Verfügung stünden, so Ulbicht.
Trotz des höheren Preises sei das Bio-Kerosin für Airlines interessant, betont der Firmensprecher. "Airlines, die 'grün' fliegen, profitieren von einem Marketingeffekt." Mit dem niederländischen Billigflieger Transavia habe man bereits einen ersten Kunden gewonnen. Außerdem setzt man bei Sunfire auf mögliche neue Vorgaben aus der Politik. Ein denkbares Szenario sei, dass in Zukunft jedes Flugzeug einen Mindestanteil synthetisch hergestellten Kerosins im Tank vorweisen müsse, meint Ulbicht.
Falsche Hoffnung Bio-Treibstoff?
Während sowohl das UBA als auch der BUND in synthetischem Kerosin eine Lösung für die Zukunft des Flugverkehrs sehen, bleibt das internationale Netzwerk für Klimagerechtigkeit"Stay Grounded" (zu deutsch: Am Boden bleiben) skeptisch. Anne Kretschmar von "Am Boden bleiben" in Deutschland argumentiert, dass noch viel Zeit vergehen wird, bis durch das PtL-Verfahren ausreichend Treibstoff hergestellt werden kann. "Die haben wir aber nicht", sagt die Klimaaktivistin.
"Stay Grounded" fordert deswegen einen strukturellen Mobilitätswandel - und zwar sofort. "Bonus-Programme für gesammelte Meilen müssen abgeschafft werden. Schon jetzt verursachen einige wenige die meisten Flugbewegungen", sagt Kretschmar. Aber nur mit Preisinstrumenten wie einer Mehrwert- und CO2-Steuer für Flüge zu arbeiten, sei ungerecht. Die Klimaorganisation schlägt stattdessen Staffelpreise für Flugtickets vor. "Menschen, die nur einmal im Jahr fliegen, zahlen dann einen niedrigeren Preis für ihr Ticket als Menschen, die dieselbe Strecke zum zehnten Mal fliegen."
Außerdem müssten das europäische Eisenbahnnetz ausgebaut und mehr Nachtzüge bereitgestellt werden. Auch in anderen Bereichen sei ein Bewusstseinswandel nötig. So sollten etwa Arbeitgeber mehr Reisezeiten als Arbeitszeiten anerkennen, schließlich würden auch Berufsreisen länger dauern, wenn ein nachhaltiges Transportmittel gewählt werde.
In Schweden, wo sich die Bewegung gründete, hat sich inzwischen das Wort "flygskam" (zu deutsch: Flugscham) im Sprachgebrauch etabliert.
Laut Angaben des nationalen Bahnbetreibers SJ, stieg die Zahl der Geschäftsreisen per Zug im vergangenen Winter um 21 Prozent, während die Zahl der Inlandsflüge stark zurückging. Bei den Auslandsflügen hat sich die schwedische "flygskam" zumindest im vergangenen Jahr allerdings noch nicht durchgesetzt: Hier stiegen die Passagierzahlen leicht an.