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Politik

Flucht über den See

Simone Schlindwein
21. März 2018

Die Demokratische Republik Kongo erlebt derzeit eine der schlimmsten humanitären Katastrophen des Kontinents. Seit Anfang des Jahres sind über 50.000 Kongolesen nach Uganda geflohen. Simone Schlindwein war vor Ort.

Uganda -Kongos Flüchtlinge kommen mit Boot über Albertsee nach Uganda
Bild: DW/S. Schlindwein

Die Oberfläche des gigantischen Sees ist spiegelglatt, Wellen plätschern ans Ufer. Der Albertsee liegt entlang der Grenze zwischen dem Osten der Demokratischen Republik Kongo und Uganda. Bis zu 500 Menschen retten sich täglich mit Booten hierher, an die Anlegestelle Sebaguru auf der ugandischen Seite des Sees. Mit 5.300 Quadratkilometern ist er zehn Mal so groß wie der Bodensee. Die Flucht übers Wasser ist gefährlich: Viele Boote sind überladen, der Albertsee hat oft hohe Wellen, die meisten Flüchtlinge können nicht schwimmen.

Ugandas Regierung sowie des UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR haben am Strand von Sebaguru Zelte errichtet, um die Ankommenden zu versorgen. Daniel Tam vom UNHCR steht am Strand und blickt auf den See hinaus. Die Boote brächten vor allem Frauen und Kinder hierher, sagt er. "Die meisten sind traumatisiert von dem, was sie gesehen oder erlebt haben."

Flüchtlingsboote kentern auf dem Grenzsee

Immer wieder muss Ugandas Grenzpolizei ausrücken, um Flüchtlingsboote zu retten. Erst vergangene Woche kenterte ein Boot auf dem See. Es war überladen, eine Familie hatte ihre 27 Kühe mit an Bord genommen. "Alle Kühe ertranken, doch zum Glück wurden die fünf Menschen gerettet", berichtet Tam.

In den vergangenen Tagen sind nicht nur Kinder und Frauen angekommen, sondern auch viele junge Männer. Das ist ungewöhnlich, denn meist werden sie von Milizen rekrutiert oder beschützen ihre Dörfer als Bürgerwehren. Einer dieser Männer ist Ate-Joel Piddu. Er ist 35 Jahre alt, treibt in seinem Heimatdorf Handel und ist in der Pfarrei tätig. Er ist von der Ethnie der Hema, wie die meisten Flüchtlinge, und stammt aus dem Fischerdorf Joo auf der kongolesischen Seite des Sees.  

"Wie damals im Bürgerkrieg"

"Unser Dorf ist vor etwas mehr als einer Woche angegriffen worden", berichtet Piddu. Es habe zwei Attacken in der Gegend gegeben: "Wir sind geflohen, als ein Nachbardorf angegriffen wurde. Nachdem wir geflüchtet waren, wurde auch Joo angegriffen", erzählt er, immer noch unter Schock.  Die Angreifer seien Milizen der Ethnie der Lendu gewesen. "Es ist wie damals, als bei uns Bürgerkrieg herrschte, es ist, als würde sich das jetzt wiederholen."

Der ethnische Konflikt um Land und Ressourcen zwischen Lendu und Hema hat vor 15 Jahren mehr als 50.000 Menschen das Leben gekostet, bevor er mit internationaler Militärintervention gestoppt wurde. Die Provinz Ituri im Osten des Kongos galt seitdem als relativ stabil. Doch seit zwei Jahren spitzt sich die politische Krise im Kongo zu: Präsident Joseph Kabilas Amtszeit war Ende 2016 abgelaufen. Er weigert sich jedoch bis heute, Neuwahlen durchzuführen. Die Verzögerung der Wahlen rechtfertigt er mit der lokalen Instabilität in den Provinzen: zuerst im Süd-Kongo in Kasai, jetzt wieder in Ituri. Analysten vermuten, ähnlich wie auch viele Kongolesen selbst, dass diese lokalen Konflikte absichtlich geschürt werden, um den Präsidenten an der Macht zu halten.

Busse bringen die Kongolesen in Camps und SiedlungenBild: DW/S. Schlindwein

Chaos und Cholera

Mit Bussen werden die Flüchtlinge von der Anlegestelle am Albertsee in das nahe gelegene Flüchtlingslager Kyangwali gebracht. Seit über 15 Jahren leben Kongolesen in dieser gewaltigen Siedlung auf ugandischer Seite der Grenze. Die meisten sind nach dem vergangenen Konflikt in Ituri nie zurückgekehrt. Doch jetzt sind seit Beginn 2018 über 50.000 Neuankömmlinge eingetroffen, das Lager ist restlos überfüllt. An der Registrierungsstelle herrscht Chaos.

Am Eingang des Lagers werden die Neuankömmlinge durch Lautsprecher aufgefordert, sich die Hände zu waschen. Auch die Schuhe werden desinfiziert. Das Rote Kreuz Ugandas bemüht sich, Infektionskrankheiten einzudämmen. Kinder werden systematisch geimpft, alle Kranken sofort in die Krankenstation von Ärzte ohne Grenzen gebracht. Über 30 Flüchtlinge seien in Kyangwali in den vergangenen Wochen an Cholera gestorben, bis zu tausend seien infiziert, sagt Brian Atuyonza vom Roten Kreuz Uganda. "Wir sorgen dafür, dass sich wirklich alle, die das Lager betreten, die Hände waschen und sich desinfizieren lassen", sagt Atuyonza.

Nach dem Cholera-Ausbruch sind Händewaschen und Desinfizieren Pflicht im FlüchtlingslagerBild: DW/S. Schlindwein

Humanitäre Katastrophe im Kongo

Uganda beherbergt derzeit mehr als 1,4 Millionen Flüchtlinge - so viel wie kein anderes Land in Afrika. Die Mehrheit waren bislang Südsudanesen. Doch mit der andauernden politischen Krise und der daraus resultierenden humanitären Katastrophe im Kongo rechnen Uganda und der UNHCR täglich mit weiteren Flüchtlingen aus dem Kongo. Laut den jüngsten Berichten der Vereinten Nationen sind dort 13,1 Millionen Menschen hilfsbedürftig, 670.000 sind in Nachbarländer geflohen, 4,5 Millionen sind im eigenen Land auf der Flucht. Das alles sind Rekordwerte in einem Land, das eigentlich Jahrzehnte des Krieges hinter sich hat.

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