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Im Gespräch: "Iraqi Odyssey"-Regisseur Samir

Jochen Kürten15. Januar 2016

Bereits seit den 1960er-Jahren lebt der gebürtige Iraker Samir in der Schweiz. Jetzt hat der Regisseur eine Dokumentation über das Schicksal seiner Familie gedreht. Im DW-Interview spricht er über seine Beweggründe.

Filmausschnitt aus Iraqi Odyseey (Foto: Samir / Dschoint Ventschr Filmproduktion 2014)
Bild: Samir/Dschoint Ventschr Filmproduktion 2014

In "Iraqi Odyssey" schildert der Filmemacher die bewegende Geschichte seiner Familie. Er erzählt von Flucht, Vertreibung und Exil über verschiedene Generationen hinweg. Viele Mitglieder der Familie leben heute verstreut auf der ganzen Welt - in Auckland, Moskau, Paris, London und Buffalo (NY). Samirs Verwandte erlebten ein Schicksal, das im Augenblick viele Menschen erleiden müssen.

Der Film beschränkt sich nicht auf die Aussagen seiner Protagonisten, sondern schichtet im Bildhintergrund vielfältiges Archivmaterial zu einer reichen, ergänzenden Collage. So ist Samirs Familiengeschichte zugleich ein Stück Weltgeschichte und zeigt Hintergründe auf, die aktueller sind denn je. Doch im Gespräch mit der DW sagt der Filmemacher auch, dass es ihm bei "Iraqi Odyssey" um mehr geht als um einen aktuellen Kommentar zur derzeitigen poltischen Lage.

Samir (l.) und seine Schwester Hayat 1958 vor dem Auto ihres VatersBild: Samir/Dschoint Ventschr Filmproduktion 2014

DW: Inwiefern freuen Sie sich oder sind sogar dankbar über die Aufmerksamkeit, auf die ihr Film vor dem Hintergrund der aktuellen Flüchtlingsproblematik trifft?

Dankbar ist vielleicht nicht der richtige Ausdruck. Es ist natürlich schon so, dass jetzt eine erhöhte Aufmerksamkeit auf meinen Film fällt. Aber als Filmemacher und als freier Autor, der sich eigentlich nicht der Tagesaktualität unterordnen will, habe ich nie daran gedacht, irgendeine Antwort zu geben auf die laufenden Ereignisse. Genauso wenig wie mein Film, als ich ihn letztes Jahr fertiggestellt habe, irgendeine Antwort auf den "Islamischen Staat" hätte geben können. Damals fiel die Stadt Mossul (in die Hände des IS, Anmerkung der Redaktion), und ich musste mich natürlich fragen: Was mache ich jetzt mit meinem Film? Ist der jetzt aktuell oder nicht aktuell?

Ich habe festgestellt, dass diese Art von Dokumentarfilm, der die Verschränkung von persönlicher und gesellschaftlicher Geschichte darzustellen wagt, immer gefragt ist. Jetzt ist es Zufall, dass die sogenannte Flüchtlingsproblematik in Deutschland in den Medien überhandgenommen hat. Und eigentlich hat es uns sogar nicht unbedingt zum Vorteil gereicht, weil alle natürlich nur über das Konkrete reden wollen.

1959: ein Jahr nach der Revolution - Familienpicknick in der Nähe von BagdadBild: Samir/Dschoint Ventschr Filmproduktion 2014

Das Allgemeine ist doch eine grundsätzlich menschliche Frage: Wie sich der Nahe Osten in den letzten hundert Jahren entwickelt hat. Wie sich eine Mittelklassenfamilie wie die meine, mit Ärzten und Ingenieuren, mit privaten Dingen rumschlagen muss. Wie das funktioniert, sich in der Welt einzurichten. Deshalb habe ich meinen Film auch "Iraqi Odyssey" genannt. Weil sich auch Odysseus während seiner Rückreise zu seiner Frau diesen Fragen stellen musste.

Sie erzählen vom Schicksal Ihrer Familie. Ist das eine "typische" irakische Exilgeschichte?

Ja und nein. Natürlich ist jede Geschichte individuell - auch die meiner Familie. Meine Onkel und Tanten streiten sich am Ende über ihre Ansichten. Jede Geschichte ist individuell, und trotzdem ist natürlich immer etwas genuin Typisches darin, bedingt durch die gesellschaftlichen Ereignisse.

Ich hatte in meinem Leben nie das Gefühl, dass ich in einer speziellen, außergewöhnlichen Familie aufgewachsen bin. Weil unsere Familie mit anderen verbunden und befreundet war. Schon in Bagdad war das so und dann auch später noch. Es waren Familien mit ähnlichen sozialen Geschichten, ähnlichen Ansichten, auch wenn sie sich da und dort in den Details unterschieden. Aber insgesamt ist das eine typologische oder exemplarische Geschichte von den 4,5 Millionen Irakern, die ins Exil ausgewandert sind.

Samir und sein Cousin Jamal Al Tahir vor dem Kreml in MoskauBild: Samir/Dschoint Ventschr Filmproduktion 2014

Für den westdeutschen Zuschauer könnte es überraschend sein, eine solche Familie vorgestellt zu bekommen: eine große Familie aus dem Irak, bei der das Thema Religion nur ein Thema unter vielen ist …

Ich wage zu behaupten, dass die neuen religiösen Ideologien, die im Nahen Osten vorherrschen, eigentlich gar nichts mit Religion zu tun haben. Mit der Religion kaschiert man seine Machtpolitik und seine politischen Ansichten. Das war früher schon so und ist heute nicht anders. In Europa ist man es doch auch schon gewohnt, dass eine Partei sich christlich nennt, dass das aber nicht barmherzig bedeutet (lacht…). Eine andere Partei hat sich vor langer Zeit nationalsozialistisch genannt, aber am liebsten hat sie die Sozialisten unterdrückt und in die Konzentrationslager geschickt.

Für mich ist die Frage der Religion eine private Frage. Und deshalb ist mein Ansatz, über meine Familie zu berichten, auch davon geprägt zu sagen: Okay, wir kommen aus einer tief, tief religiösen Familie; mein Großvater hat in Nadschaf, der heiligen Stadt der Schiiten, Theologie studiert. Trotzdem und trotz dieser religiösen-ideologischen Schulung ist er auf universelle Wahrheiten gestoßen wie diese: Alle Töchter gehen studieren. Sie wählen alle ihren Mann frei aus. Es gibt einen Respekt zwischen den Geschlechtern. Es gibt Gleichheit. Man kümmert sich um die sozialen Dinge. Alle Kinder sollen offene und ehrliche Menschen werden. Das alles hat schlussendlich nichts mit Religion zu tun.

Ich habe versucht, zu vermeiden in diese Falle zu gehen, die jetzt überall aufgestellt wird. Da wird behauptet: Die Muslime sind so und so… Wir sind alles Menschen. Ganz einfach.

Souhir Jamal Aldin (Halbschwester von Samir) vor den Niagara-Fällen nahe bei Buffalo, wo sie lebtBild: Samir/Dschoint Ventschr Filmproduktion 2014

In Ihrem Film, in dem die Familiengeschichte über einen Zeitverlauf von mehreren Jahrzehnten erzählt wird, ist von Kolonialismus die Rede, von Imperialismus. Es gibt Auseinandersetzungen zwischen Rechts und Links im Irak. Religion ist, wie gesagt, nur ein Thema unter vielen. War Ihnen gerade dieser Zusammenhang wichtig?

Ja, ich habe erst einmal versucht die historischen Ereignisse, von denen man immer wieder als Individuum überwältigt wird, im familiären Rahmen neu zu ordnen. Auch um mir selbst, meiner Familie und den Zuschauern eine Chance zu geben, die Dinge einzuordnen. Dazu gehört natürlich auch, Verständnis dafür zu kriegen, was der Irak und der Nahe Osten für den Rest der Welt bedeuten. Deswegen sieht man in meinen Film auch immer den Globus (unser Bild oben).

Immer wieder zeige ich diesen kleinen winzigen Planeten in diesem endlosen schwarzen Universum voller Kälte. Wir sitzen da alles gemeinsam zusammen. Jedes Ding hat Einfluss. Zu sagen, die momentane Politik und der Fanatismus der religiösen Bewegungen habe nichts mit den Interventionen der westlichen Mächte zu tun, ist einfach Augenwischerei. So zu tun, als ob der Westen, in dem man lebt und in dem ich auch lebe, gar keinen Einfluss und keine Bedeutung gehabt hätten, das ist mir ziemlich auf den Keks gegangen in meiner Jugend und auch bis jetzt. Ich hab das in meinen Film über eine menschliche Seite, eine Familiengeschichte, neu zu ordnen versucht.

Iraqi Odyssey ist am 14.1. in den deutschen Kinos angelaufen.

Das Gesprächte führte Jochen Kürten.

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