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Flucht und Asyl: Wo steht Deutschland?

15. September 2023

Tausende Flüchtlinge auf Lampedusa erzeugen politischen Druck - auch in Deutschland. Rechte Parteien wie die AfD versprechen bei Migration einfache Lösungen. Doch die gibt es nicht.

Schwarzafrikanische Flüchtlinge stehen in einer Warteschlange.
Flüchtlinge kommen auf Lampedusa anBild: Lapresse/dpa/picture alliance

Die Flüchtlinge, die auf Lampedusa ankommen, wollen in die EU, aber die meisten wollen nicht in Italien bleiben. Rom macht es ihnen leicht, seit die ultrarechte Regierungsallianz an der Macht ist. Die meisten Migranten können unregistriert nach Norden weiterziehen. Frankreich hat angekündigt, die Polizeipräsenz entlang der französisch-italienischen Grenze zu verstärken, weil sich die "Migrationsströme aus Italien" verdoppelt hätten. Deutschland kontrolliert an der Grenze zu Österreich stichprobenartig, eine Verschärfung der Grenzkontrollen lehnt Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) aber ab.

Nach dem geltenden EU-Asylrecht müssen die Asylverfahren in den Staaten stattfinden, wo die Menschen erstmals EU-Boden betreten. Wer unerlaubt in einen anderen Mitgliedsstaat weiterzieht, kann in den Ersteinreisestaat zurückgebracht werden. Seit einem dreiviertel Jahr blockiert Italien diese Regelung vollständig. Im Gegenzug weigert sich nun Deutschland, Italien mit den innerhalb der EU vereinbarten freiwilligen Aufnahmen zu entlasten.

Viele Asylbewerber wollen nach Deutschland

Laut der europäischen Asyl-Agentur entfallen rund ein Drittel aller Asylanträge, die in der EU, Norwegen und der Schweiz gestellt werden, auf Deutschland. Städte und Gemeinden schlagen seit langem Alarm, weil sie sich nicht nur damit überfordert fühlen, Wohnraum für die Flüchtlinge bereitzustellen, sondern die Integrationsstrukturen überlastet seien. Bundesweit fehlen derzeit rund 400.000 Kita-Plätze und 14.000 Lehrer.

Im August 2023 hielten sich laut Bundesinnenministerium in Deutschland rund 1,1 Millionen ukrainische Kriegsflüchtlinge auf. Dazu kommen die Asylbewerber. In den ersten sieben Monaten des Jahres waren beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge rund 175.000 Erstanträge auf Asyl eingegangen. Ende August waren es bereits mehr als 200.000. Das sind 77 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Gut 70 Prozent der Antragsteller sind männlich.

Wer es nach Deutschland schafft, darf meistens bleiben

Erfahrungsgemäß wird nur ein geringer Teil der Menschen tatsächlich Asyl aufgrund politischer Verfolgung erhalten. Doch es gibt weitere Schutzformen, die zwar weniger Berechtigungen mit sich bringen, aber ein Bleiberecht beinhalten. Ende Juni 2023 lebten rund 44.500 anerkannte Asylbewerber in Deutschland, von denen die meisten aus der Türkei, Syrien und dem Iran stammen. Zugleich waren im Ausländerzentralregister rund 755.000 Menschen mit Flüchtlingsschutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention registriert, die vor allem aus Syrien, dem Irak und Afghanistan kamen.

Die Zahlen gab die Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag heraus. Danach lebten außerdem rund 307.000 Menschen mit einer temporären Aufenthaltserlaubnis in Deutschland. Sie sind zwar nicht als Asylbewerber oder Flüchtling anerkannt, ihnen droht aber beispielsweise in ihrem Herkunftsland ernsthafte Gefahr. Dieser Status gilt zunächst für ein Jahr, kann verlängert und in eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis übergehen. 

Ausreisepflichtig, aber trotzdem weiter in Deutschland

Knapp 280.000 Ausländer waren zum Stichtag ausreisepflichtig. Von ihnen sind etwa die Hälfte abgelehnte Asylbewerber. Die meisten von ihnen haben jedoch eine temporäre Duldung, das heißt, sie wurden aufgefordert, das Land zu verlassen, können aber "aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen" nicht abgeschoben werden. Allein bei 95.000 Ausländern gilt die Staatsangehörigkeit als ungeklärt. Es kann ein Abschiebestopp wegen zu großer Gefährdung in den Herkunftsländern vorliegen, die Weigerung der Herkunftsländer, die Menschen aufzunehmen, Krankheit und einiges mehr.

Wenn die Staatsangehörigkeit ungeklärt ist, kann zwar nicht abgeschoben werden, es gibt dann aber auch keine Möglichkeit, legal in Deutschland zu arbeitenBild: Dwi Anoraganingrum/Panama Pictures/picture alliance

Die Zahl der "unmittelbar Ausreisepflichtigen" - also Personen, die tatsächlich sofort abgeschoben werden könnten - belief sich Ende Juni auf rund 54.330. Die Bundesregierung hatte sich bei ihrem Amtsantritt eine "Rückführungsoffensive" vorgenommen. 2022 konnten knapp 13.000 Menschen abgeschoben werden, im ersten Halbjahr 2023 waren es 7861.

Deutschland hat 3900 Kilometer Grenzen

Da Abschiebungen schwierig sind, konzentrieren sich Politiker, die eine Wende in der Migrationspolitik fordern, vor allem auf die Einreise. Forderungen dazu kommen nun auch von der FDP, eine der Regierungsparteien. "Wir müssen endlich die illegale Migration stoppen, die Zuwanderung steuern. Ansonsten überfordern wir unter anderem unsere Schulen und den Sozialstaat - und führen Hunderttausende Migranten in eine Sackgasse ohne Perspektive auf Bildung und gute Jobs", so FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai in einem Zeitungsinterview.

Doch wie könnte die Einreise begrenzt werden? Deutschland grenzt an neun EU-Staaten, die Länge der Grenzen summiert sich auf knapp 3900 Kilometer. Stationäre Grenzkontrollen gibt es nicht. Die Grenzen würden aber "natürlich" kontrolliert, "und zwar ganz stark und in alle Richtungen", so Innenministerin Faeser kürzlich in einem Zeitungsinterview.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) will die Grenzen zu den deutschen Nachbarstaaten offen haltenBild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Deutschland sei zurzeit sehr erfolgreich darin, unerlaubte Einreisen zu erkennen und zu unterbinden, auch wegen der guten Kooperation mit Polizei und Behörden in einigen Nachbarländern: "Das ist mit Sicherheit der erfolgreichere Weg als Kontrollen an wenigen Straßenübergängen." Die Migrationsfrage könne jedoch nicht national gelöst werden, sondern nur europäisch.

Gründe für Flucht und Asyl wachsen

Doch die gleichmäßige Verteilung von Flüchtlingen innerhalb der EU wird seit Jahren vergeblich angemahnt. Als Durchbruch wurde im Juni eine Einigung der EU-Innenminister gefeiert, die sich auf eine Reform des EU-Asylsystems verständigt haben und Schnellverfahren bei Migranten mit einer geringen Bleibeperspektive an den EU-Außengrenzen einführen wollen. Doch die Umsetzung wird wohl Jahre brauchen.

Die EU setzt auch auf Tunesien, um die Migranten aufzuhalten. Doch das funktioniert nicht, wie sich in Lampedusa zeigt. Der frühere niederländische Premierminister Mark Rutte, die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen und die italienische Premierministerin Giorgia Meloni im Juli bei einem Treffen mit dem tunesischen Präsidenten Kais SaiedBild: Freek van den Bergh/ANP/picture alliance

Die größte Hürde für eine Begrenzung der Migration liegt in den größten Herkunftsländern der Asylbewerber selbst. In Syrien herrscht Bürgerkrieg, in Afghanistan herrschen die Taliban. Daran wird sich so schnell nichts ändern. Die Anerkennungsquoten für Flüchtlinge sind bei beiden Ländern sehr hoch und wer es von dort nach Europa schafft, kann nicht zurückgeschickt werden.

 Geld und Sozialleistungen als Anreiz

Breit diskutiert wird die Frage, ob Geflüchtete mit Blick auf die Sozialleistungen gezielt nach Deutschland kommen. Im europäischen Vergleich sind die Sozialleistungen für Geflüchtete am oberen Ende der Skala. Laut einem Bericht des wissenschaftlichen Diensts des Bundestags liegen die Leistungen ähnlich hoch wie in Frankreich und Österreich.

In Deutschland gibt es allerdings eine Besonderheit: Geld und Unterstützung bekommen alle, selbst wenn sie ausreisepflichtig sind. Das Bundesland Bayern will das nun ändern. Ministerpräsident Markus Söder, der kurz vor einer Landtagswahl steht, kündigte an, dass abgelehnte Asylbewerber in Bayern künftig nur noch Sachleistungen bekommen würden. Außerdem fordert Söder, die finanzielle Unterstützung für Flüchtlinge grundsätzlich zu senken.

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