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Politik

"Abschottung nützt Schleusern"

20. Oktober 2016

Dauerbrenner beim EU-Gipfel: Das Thema Migration und Schleuserkriminalität. Im DW-Interview fordert Strafrechtler und UN-Berater Andreas Schloenhardt staatliche Maßnahmen, die Schleusern das Geschäft vermiesen.

Griechenland Kos  Bootsflüchtlinge Symbolbild Schlepper
Bild: picture-alliance/dpa/Y. Kolesidis

Deutsche Welle: Was ist ein Schleuser?

Andreas Schloenhardt: Gemeint sind Personen, die anderen helfen, illegal die Grenze zu überschreiten. Wir kennen die Bilder aus Europa, wo Menschen in Kleintransportern, LKWs, Zügen oder zu Fuß über die Grenze gebracht werden, dafür Geld bezahlen und teilweise unter verheerenden Umständen unterwegs sind. Gleiche Bilder sind aus Asien, Australien oder Nordamerika bekannt.

Es ist aber nicht immer derart dramatisch. Tatsache ist, dass es vielen Menschen aufgrund ihrer Nationalität und Umstände nicht möglich ist, legal und sicher in ein anderes Land zu kommen. Aus Verzweiflung greifen sie auf Schleuser zurück. Ein Repräsentant des UN-Menschenrechts-Hochkommissariats deutete kürzlich darauf hin, dass 95 Prozent aller Schleusungen erfolgreich und zur vollen Zufriedenheit aller Beteiligten verlaufen.

In Prozessen gegen Schleuser sagen viele Angeklagte, sie wollten nur helfen. Was unterscheidet Schleuser von Fluchthelfern?

Es gibt ein UN-Protokoll, das mehr als 140 Staaten unterschrieben haben: Schlepperei, also Schleusung, soll nur strafbar sein, wenn der Schleuser den Vorsatz hat, sich zu bereichern. Das wurde Ende der 1990er Jahre weltweit festgesetzt. Aber viele Staaten weichen davon ab.

Weil oft schwer nachzuweisen ist, dass Geld geflossen ist, verzichtet man darauf, den Bereicherungsvorsatz beweisen zu müssen. Das hat zur Folge, dass jede Art Beihilfe zur illegalen Ein- oder Durchreise strafbar wird. Das gilt auch in Deutschland.

2015 haben viele Österreicher Flüchtlinge aus Serbien, Slowenien oder Ungarn nach Deutschland gefahren. In Österreich ist diese Art der Beihilfe nicht strafbar, in Deutschland schon. Jetzt laufen Strafverfahren. Vergleicht man die Schlepperei-Gesetze der 47 Mitgliedsstaaten des Europarats findet man 47, teils völlig unterschiedliche Gesetze.

Andreas Schloenhardt berät die Vereinten Nationen und den Europarat zum Thema MigrantenschmuggelBild: Privat

Die Frage ist, wie eine unentgeltliche Beihilfe bei der Einreise zu bewerten ist. Das kann der gute Samariter sein, der einen Flüchtling aus einem Land rettet, wo er verfolgt wird oder nicht versorgt werden kann.

Im geteilten Deutschland haben Fluchthelfer bis 1989 Personen aus der DDR nach Westdeutschland geschleust, sehr oft gegen Entgelt. Der Bundesgerichtshof nannte die Schleusungsverträge "nicht sittenwidrig". Diese Fluchthilfe wurde nicht bestraft und von der westdeutschen Regierung begrüßt.

Politische Motive bestimmen also den Umgang mit Schleusern?

Ganz klar. Auch in der Nazizeit sind Juden und andere verfolgte Minderheiten ausgeschleust worden - oft mit sehr gefährlichen und kostspieligen Methoden.

Die Stimmung kippte in den 1990er Jahren, als die Ostgrenzen geöffnet wurden. Über Osteuropa migrierten nicht nur Ungarn, Bulgaren oder Rumänen. Auch Migranten aus dem Nahen Osten, Afrika oder Asien konnten nun über den Landweg nach Westeuropa reisen.

Die Probleme, die man vor 25 Jahren mit internationalen Verträgen in den Griff bekommen wollte, sind gleich geblieben: die österreichische Regierung, die sich als Zielscheibe der Migration über Osteuropa sieht, und die Italiener, die sich große Sorgen machen über Menschen, die versuchen, übers Mittelmeer nach Italien zu kommen. Viele bezahlen dafür mit dem Leben.

Die Europäische Union hat einen Aktionsplan gegen die Schleusung von Migranten verabschiedet. Was halten Sie davon?

Es passiert sehr viel in Brüssel: Maßnahmen, die das Bild der Festung Europa verstärken - wie mehr Kontrollen oder Grenzzäune -, um die EU-Außengrenzen nicht nur besser kontrollieren, sondern teilweise auch abriegeln zu können. Parallel dazu laufen aber auch Programme, die mit der Rettung von Menschen im Mittelmeer zu tun haben.

Es gibt verschiedene Modelle, mit dem "Migrationsdruck" umzugehen. Die Vereinbarung mit der Türkei ist eine Möglichkeit, um Schlepperkriminalität zu bekämpfen, eine weitere die sogenannten "hotspots" - die Aufnahmezentren an den Außengrenzen der EU. Zweifel bestehen gegenüber beiden Modellen. 

Letztlich muss aber der Staat Verantwortung übernehmen. Viele Experten sagen, dass ein Anstieg an Schlepperkriminalität auf ein Versagen hinweist: Dem Staat ist es nicht gelungen, legale kontrollierte Migrationsmöglichkeiten zu schaffen.

2015 halfen Staaten beim Transport der Flüchtenden auf der Balkanroute. Im Bericht "Schleusungskriminialität" deutscher Polizeibehörden ist die Rede von "deutlich geringeren Schleusungsquoten" bei unerlaubten Einreisen…

Zu dieser Einsicht sind auch andere Polizeibehörden gekommen. Wenn es möglich ist, legal einzureisen, fällt der Bedarf nach Schleusern weg. 2015 haben verschiedene Staaten diese Möglichkeit geschaffen: In Mazedonien wurden Bahnen zur Verfügung gestellt und in Österreich Busse. Dadurch war eine sichere Ein- und Durchreise gewährleistet. Das macht Schleppern ihr Angebot kaputt.

Seit aber die ersten Grenzen im Herbst 2015 geschlossen wurden, wurde das Problem verlagert. Ein Jahr später kommen die Menschen in großer Zahl über andere Routen, zunächst über die Ost-Balkanroute, jetzt wieder in großen Zahlen über das Mittelmeer. Diesen Weg können Migranten nicht alleine bewerkstelligen. Sie sind mehr denn je auf Schlepper angewiesen.

Die Schließung der Routen hat dazu geführt, dass das Geschäft der Schlepper sehr lukrativ geworden ist. Abschottung nützt primär den Schleusern.

Wer sind die Schleuser?

Von den Aufgegriffenen und Verurteilten kommen die meisten Personen aus Transitländern, in Österreich meist aus Serbien, Rumänien und Ungarn. Das ist oft Gelegenheitskriminalität. Weil viele Menschen durchreisen wollen, bieten manche den Transport gegen Bezahlung an, oft keine großen Summen. Für jemand, der nicht viel verdient, ist das eine Gelegenheit, schnell Geld zu machen.

Seltener ist es, dass Täter länderübergreifend arbeiten, nicht in Mafia-ähnlichen Strukturen, aber besser vernetzt als Gelegenheitstäter. Diese Art Schlepper sind meist Personen aus den Herkunftsländern der Migranten: Afghanen, Syrer oder Pakistanis - oft Personen, die selbst geschleust wurden und nun Angehörige und andere nachholen wollen und so zu Schleppern werden.

Ohne deren Tätigkeit entschuldigen zu wollen - dieses Täterprofil wirft die Frage auf: Sind unsere Maßnahmen - Zäune bauen und Grenzen schließen - das beste Mittel, um das zu unterbinden? Gewiss nicht.

Es gibt Schlepper, die aus Profitgier das Leben der Geschleusten riskieren: Menschen ersticken in überfüllten LKWs, Tausende ertrinken, weil völlig ungeeignete Boote auf dem Mittelmeer kentern. Wie kann man dieses kriminelle Geschäft bekämpfen?

Primär müssen Anreize geschaffen werden, damit Personen von Schleppern Abstand nehmen. Asylanträge müssten aus Herkunfts- und Transitländern gestellt werden können und es müsste Arbeitsmigration in größerem Stil ermöglicht werden. Was Schlepper anbieten, muss als teuer, umständlich und gefährlich gelten. Wir brauchen realistische Alternativen.

Das heißt nicht, dass man die Tore weit aufmacht und sagt, "wir lassen alle durch", im Gegenteil. Es geht darum, dass der Staat Verantwortung übernimmt für die kontrollierte Einreise von Personen, die wir schützen wollen und die wir für unseren Arbeitsmarkt brauchen. Wir leben in Mitteleuropa in Ländern mit rückläufiger Geburtenrate. Da besteht ein Bedarf an Migration.

Prof. Andreas Schloenhardt lehrt Strafrecht an der University of Queensland in Brisbane, Australien, und an der Universität Wien. Er arbeitet zum Thema Migrantenschmuggel als Berater für das United Nations Office on Drugs and Crime (UNODC) und für den Europarat.

Das Interview führte Andrea Grunau.

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