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Flucht und Migration: Europas Asylpolitik in der Sackgasse?

29. Mai 2024

Weniger Flüchtlinge aus Afrika, dafür mehr aus der Ukraine? Und wie geht es weiter im Gaza-Streifen? Der "Report Globale Flucht 2024" gibt Antworten.

Ein rot-weißer Balken mit einem achteckigen Stop-Schild und ein dahinter platziertes viereckiges Schild mit der von gelben Sternen umgebenen Aufschrift "EU" und "European Union" symbolisiert die aus Sicht vieler Flucht- und Migrationsfachleute zu restriktive Flüchtlingspolitik der EU.
Im "Report Globale Flucht 2024" gibt es viel Kritik und wenig Lob für die Flüchtlingspolitik der Europäischen Union Bild: DesignIt/Zoonar/picture alliance

Was leisten Deutschland und Europa, um Menschen auf der Flucht zu helfen? "Einen bedeutenden Beitrag", sagt der Migrationsforscher Franck Düvell von der Universität Osnabrück unter Verweis auf über eine Million aufgenommene Flüchtlinge im Jahr 2023. Trotz dieses Lobs ist er mit der Gesamtbilanz jedoch unzufrieden. Das gilt auch für die anderen Fachleute, die mit ihm in Berlin den "Report Globale Flucht 2024" präsentieren.

"Die aktuellen Flucht-Debatten konzentrieren sich auf Abschreckungsmaßnahmen", kritisiert Düvell den nach jahrelangen Streitigkeiten innerhalb der Europäischen Union (EU) gefundenen Kompromiss zum Umgang mit Flüchtlingen

Symbol für Flüchtlingsleid: das Lager Moria auf der Insel Lesbos 

Zum Symbol einer verfehlten Flüchtlingspolitik wurde das Lager Moria auf der griechischen Insel Lesbos, das für 2800 Menschen geplant worden war. In den schlimmsten Zeiten waren dort aber 20.000 Männer, Frauen und Kinder untergebracht. Sie hausten unter katastrophalen hygienischen und gesundheitlichen Zuständen.

Nach der neuen Asylreform der Europäischen Union werden Asylsuchende künftig bereits an den EU-Außengrenzen kontrolliert und registriert. In Auffanglagern sollen sie bis zu zwölf Wochen warten, bis über ihren Asylantrag entschieden ist. Düvells Prognose: "Wir werden ganz viele Morias bekommen."

Auch Petra Bendel von der Universität Erlangen-Nürnberg befürchtet, dass sich Bilder überfüllter, menschenunwürdiger Lager besonders für Kinder und Familien auch in Zukunft wiederholen könnten: "Ob sich die herrschenden Missstände in den zahlreichen Aufnahme-Einrichtungen an den Außengrenzen zu effizienten Verfahren entwickeln, wird sich in der Umsetzung zeigen müssen."   

"Europa begibt sich in eine große Abhängigkeit von Despoten"

So sieht es auch ihr Kollege Düvell. Abkommen zur Aufnahme von Flüchtlingen mit überwiegend außereuropäischen Staaten hält der Fluchtforscher für höchstproblematisch. Dahinter stecke folgende Einstellung: "Bei uns sollen sie nicht bleiben, dann doch lieber bitte nach Ruanda oder nach Tunesien oder nach Albanien."

Urteil: Abschiebungen nach Ruanda rechtswidrig

02:16

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Zudem würden Abkommen mit autoritären Staaten Demokratisierungsprozesse in diesen Ländern unterlaufen, kritisiert der Experte: "Europa begibt sich in eine große Abhängigkeit von Despoten." Der frühere EU-Mitgliedsstaat Großbritannien nimmt aktuell erste Migranten fest, um sie im Juli nach Ruanda abzuschieben. Bis Ende des Jahres will die Regierung von Premierminister Rishi Sunak 5.700 Menschen ins afrikanische Land ausfliegen. 

Lob für den Umgang mit Flüchtlingen aus der Ukraine

Ebenso erleichtert wie besorgt sind die Expertinnen und Experten für Migration über den Umgang mit Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine. Russlands Angriff auf sein Nachbarland habe die größte Flüchtlingsbewegung nach dem Zweiten Weltkrieg ausgelöst, sagt Franck Düvell. Aber es könne noch schlimmer kommen: "Wenn nicht verhindert wird, dass Russland den Krieg weiter eskaliert oder gar gewinnt, müssten wir im Westen tatsächlich mit Millionen weiterer Flüchtlinge rechnen."

Die Aufnahme von rund einer Million Menschen in Deutschland sei bislang aus zwei Gründen ganz gut gelaufen. Zum einen habe die Bundesregierung auf eine zentralisierte Unterbringung in Lagern verzichtet, zum anderen die Zivilgesellschaft massiv geholfen. "Sonst wäre das Aufnahme-System schon im Frühjahr 2022 zusammengebrochen", vermutet Düvell.

Seit dem Beginn des Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine gibt es viel Lob für Deutschlands FlüchtlingspolitikBild: Sachelle Babbar/ZUMA/picture alliance

Auch die EU habe gut funktioniert und rasch Rechtssicherheit geschaffen. Die EU-Mitgliedsstaaten einigten sich darauf, den vorübergehenden Schutz für Menschen, die vor dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine geflohen sind, bis März 2025 zu verlängern. Düvell fordert, schnell eine Anschlussperspektive zu entwickeln: "Ansonsten haben wir in der EU in Kürze ein Riesenproblem."  

Naher Osten: Flucht ohne Ende

Ein seit Jahrzehnten ungelöstes Problem ist die Situation im Nahen Osten, die sich durch den Terror-Angriff der islamistischen Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 und den anschließenden Krieg im Gaza-Streifen weiter verschärft hat. Düvell nennt die Vertriebenen im Gaza-Gebiet Flüchtlinge, die nicht flüchten könnten: "Denn sie können den Gaza-Streifen nicht verlassen – weder nach Israel noch nach Ägypten." Das Land habe massiv aufgerüstet mit Grenzkontroll-Anlagen, Mauern und Zäunen. "Ägypten und andere arabische Staaten sind Teil des Problems", sagt der Experte für Migration angesichts der ausweglos erscheinenden Lage, in der sich die Menschen in der Region befinden.       

  

Der "Report Globale Flucht 2024", vorgestellt von Benjamin Etzold, Julia Leininger, Franck Düvell und Petra Bendel (v.l.n.r.)Bild: Frederic Kern/Geisler-Fotopress/picture alliance

Benjamin Etzold vom Bonn International Centre for Conflict Studies (bicc) spricht mit Blick auf die im Gaza-Gebiet lebenden Palästinenserinnen und Palästinenser von einem "Worst-Case-Szenario". Hunderttausende sind dort staatenlos, Schätzungen gehen sogar von insgesamt 1,4 Millionen staatenlosen Palästinensern im Gaza-Streifen und Westjordanland aus. Mit dramatischen Folgen, so der Experte: "Durch Politik wird Staatenlosigkeit produziert, auch die Kinder der Geflüchteten bekommen keine Papiere."

Konfliktforscher vermisst Ansätze für globale Lösungen

In Gaza sehe man die Konsequenzen, wenn die Situation von Flüchtlingen über Jahrzehnte verwaltet werde, sagt Etzold. "Das Gleiche sehen wir in Pakistan mit afghanischen Geflüchteten, die dort seit 40 Jahren in einer sehr prekären Situation leben und keinen dauerhaften Zugang zu Rechten und Staatsangehörigkeit bekommen."

Um die Situation von Flüchtlingen weltweit zu verbessern, erwartet der Bonner Konfliktforscher mehr Engagement von der EU und der deutschen Bundesregierung. Etzold kritisiert, dass der Fokus darauf liege, den Zugang nach Europa zu reduzieren. "Beim Pakt für Migration und Asyl sehe ich auf der EU-Ebene für globale Lösungen sehr, sehr wenig Ansätze."

Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland
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