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Flucht und Migration: Heftige Kritik an Deutschland

19. Mai 2025

Der globale Flucht-Report ist ein Appell an die neue Bundesregierung, auf nationale Alleingänge zu verzichten. Stattdessen solle Deutschland in Europa eine Vorreiterrolle spielen.

Zwei mit gelben Warnwesten bekleidete und bewaffnete Grenzpolizisten kontrollieren mit einer elektronischen Warnkelle ("Halt, Polizei!") an der Stadtbrücke zwischen Frankfurt an der Oder auf deutscher Seite und Słubice auf der anderen Seite des Flusses..
Auch die Kontrollen an der deutsch-polnischen Grenze in Frankfurt an der Oder sind verschärft wordenBild: Carsten Koall/dpa/picture alliance

"Die deutsche Flüchtlingspolitik wird den globalen Herausforderungen nicht gerecht", sagt Benjamin Etzold ohne Umschweife. Anlass ist die Präsentation des dritten Reports Globale Flucht in Berlin. Der Wissenschaftler vom Bonn International Centre for Conflict Studies (BICC) erinnert an den Bundestagswahlkampf. Der war wesentlich geprägt vom Thema Flucht und Migration.

Die Debatten seien zumeist auf Deutschland konzentriert und "aufgeheizt" gewesen, sagt der Fluchtforscher. Aus seiner Sicht geht das unter der neuen Bundesregierung so weiter. An Fakten und wissenschaftlichen Ergebnissen orientiere sich das aber nicht, bemängelt Etzold. Die globale Dimension von Flucht und Vertreibung werde weitgehend ignoriert.

Grenzkontrollen als Instrument der Abschreckung?

Deutlich kritisiert der Migrationsexperte auch die verschärften Grenzkontrollen und Zurückweisungen von Flüchtlingen: Sie dienten der Abschreckung und ihre Wirksamkeit werde überschätzt, sagt Etzold. Sein Kollege Franck Düvell von der Universität Osnabrück sieht das genauso: "Wenn jemand zurückgewiesen wird, versucht er es nochmal und nochmal und nochmal – bis man dann im Lande ist."

Deutschlands neue Migrationspolitik stößt auf Kritik

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Das gelte für Binnengrenzen der Europäischen Union (EU) genauso wie für die Außengrenzen. "Wenn eine Route geschlossen wird, dann gibt es daneben eine andere Route. Die ist mitunter gefährlicher, die wird dann aber stärker frequentiert", erläutert Düvell den von ihm und anderen Fachleuten schon oft analysierten Effekt. Der wiederum rufe Kriminelle auf den Plan: Menschenschmuggler.

Wie Schleuserbanden mit Menschen Geld verdienen

Damit spielt der Fluchtforscher auf die irreguläre, mitunter illegale und oft lebensgefährliche Migration an: "Das können falsche Papiere sein, das können Verstecke in Lastkraftwagen sein, das können diese seeuntüchtigen Boote sein", skizziert Düvell die seit vielen Jahren zu beobachtenden Methoden von Schleuserbanden überall auf der Welt. "Das ist der unerwünschte Nebeneffekt, den wir immer wieder bei solchen Maßnahmen sehen."

Franck Düvell, Petra Bendel, Benjamin Etzold (v.l.): "Die deutsche Flüchtlingspolitik wird den globalen Herausforderungen nicht gerecht"Bild: Sebastian Gollnow/dpa/picture alliance

Vor diesem Hintergrund appellieren die Flucht- und Migrationsfachleute an die neue deutsche Regierung und die internationale Gemeinschaft, wieder an einem Strang zu ziehen: "Es ist dringend erforderlich, dass die multilaterale Flüchtlingspolitik wiederbelebt wird, auch ohne die Teilnahme der USA", sagt Benjamin Etzold vom Bonn International Centre for Conflict Studies. Den Namen von US-Präsident Donald Trump, der auf Abschottung setzt, lässt er unerwähnt. "Deutschland kann und sollte hier eine europäische und globale Vorreiterposition übernehmen, anstatt nationale Alleingänge zu verfolgen."

Die Lebensperspektiven vor Ort verbessern

Immer mehr Schutzsuchende setze man dauerhaft in Lagern fest, versorge und und verwalte sie dort, kritisiert der Experte mit deutlichen Worten. Aufgrund von Perspektivlosigkeit in den Lagern zögen immer mehr Flüchtlinge weiter, viele davon nach Deutschland. Um das zu ändern, hält Etzold lediglich einen Weg für gangbar: "Letztendlich können nur rechtliche Sicherheit und verbesserte Lebensperspektiven vor Ort den Druck zu weiterer Migration verringern und einer irregulären Migration nach Deutschland vorbeugen."

Hält Deutschland seine Aufnahme-Zusagen für Afghanen ein?

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Die Ankündigung der neuen Bundesregierung, legale Zugangswege nach Deutschland über humanitäre Aufnahmeprogramme oder den Familiennachzug weitgehend beenden zu wollen, hält Etzold für kontraproduktiv. Das könne sogar irregulärer Migration Vorschub leisten, die man doch bekämpfen wolle, meint er.

"Dann öffnet man der Willkür Tür und Tor"

Seine Kollegin Petra Bendel von der Universität Erlangen-Nürnberg befürchtet sogar, dass Deutschland mit den Grenzzurückweisungen Rechtsbruch begehen könnte. Sie verweist auf das in der Verfassung, dem Grundgesetz, verbriefte individuelle Asylrecht und auf das Europarecht. "Wenn man der Politik den Vorrang vor diesem Recht gibt, dann öffnet man der Willkür Tür und Tor."    

 

Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland