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Panorama

Die Flugzeugentführung, die keine war

Patrick Große
7. November 2019

Falscher Alarm am Flughafen in Amsterdam: Ein Pilot hat aus Versehen einen Großeinsatz der Polizei ausgelöst. Wie konnte das passieren? Piloten fordern Aufklärung.

Polizisten patrouillieren am Flughafen Schiphol
Bild: Reuters/P. van de Wouw

Amsterdam Schiphol am Mittwochabend: An den Gates in der Abflughalle von Europas drittgrößtem Flughafen ist es fast menschenleer, beinahe schon gespenstisch. In der Ferne hört man Sirenen von Einsatzfahrzeugen. Ein paar Leute in einem Café schauen unruhig um sich und immer wieder auf ihre Handys.

Die niederländische Grenzpolizei hat die Gates am D-Pier gegen 20 Uhr abgeriegelt. Ein Startverbot ist verhängt. Schwer bewaffnete Spezialkommandos sind ausgerückt. Vorsorglich stehen Krankenwagen und Feuerwehr bereit.

Grund des Großalarms: Der Pilot einer spanischen Maschine hatte eine Geiselnahme gemeldet - versehentlich, wie sich knapp eine Stunde später herausstellte.

Eine Reihe unglücklicher Fehler

Der Pilot des Air-Europa-Fluges UX1094 nach Madrid hatte über einen Transponder im Cockpit den Code 7500 an den Tower gesendet - die internationalen Kennziffern für Entführungen an Bord. Der Fluglotse reagierte entsprechend und löste Großalarm aus. Über eine Stunde lang mussten die Passagiere in dem Air-Europa-Flugzeug ausharren. Keiner durfte die Maschine verlassen. Ein Start nach Spanien kam nun nicht mehr in Frage. Aber auch Dutzende andere Maschinen mussten zunächst am Boden bleiben und konnten am Ende erst mit großer Verspätung abfliegen.

Geräumte Abflughalle 1: Beinahe schon gespenstischBild: picture-alliance/dpa/PRO SHOTS/P. Bakker

Dass es soweit kommen konnte, liege an einer ganzen Reihe von Fehlern der Air-Europa-Crew, sagt Philip Keil, Luftfahrtexperte und selbst seit 17 Jahren Linienpilot. Zu Beginn seiner Karriere gehörte er zu den jüngsten Verkehrspiloten in Deutschland. "Der erste Fehler des Piloten war, den falschen Code zu senden", so Keil. "Das kann aber jedem passieren." Allerdings müssten sowohl der Pilot als auch der Co-Pilot den Code nochmals überprüfen, was wohl nicht passiert sei.

Anschließend habe der Fluglotse vermutlich versucht, über Funk mit dem Cockpit Kontakt aufzunehmen. "Darauf haben die Piloten wohl nicht reagiert", kann sich Keil vorstellen. Das sei der dritte Fehler des Piloten-Teams gewesen. "Da blieb dem Fluglotsen nichts anderes übrig, als den Alarmknopf zu drücken und den Flughafen lahmzulegen."

"Unprofessionelles Verhalten"

Ein falscher Code alleine löst also keinen Großalarm. Da Eingabefehler vorkommen, gebe es aber Mechanismen, so Keil, um einen solchen Vertipper zu vermeiden: "Wir sind darin ausgebildet, dass wir immer noch einmal kontrollieren, ob es wirklich richtig war, was wir getan haben."

Eine Air-Europa-Sprecherin teilte mit, der Fehler sei passiert, als "der Kapitän der Maschine einem Piloten in der Ausbildung die Funktion der einzelnen Knöpfe erklärte". Aus Sicht von Experte Keil wird das Ganze durch diese Erklärung nur noch schlimmer: "Das ist kein klassischer Fehler, sondern einfach Unachtsamkeit, ein absolut unprofessionelles Verhalten." Das dürfe sich ein Pilot "beim besten Willen" nicht erlauben.

Air-Europa-Maschine auf dem Schiphol-Vorfeld: Code 7500 an den Tower gesendetBild: picture-alliance/ANP

Wie Passagiere berichteten, blieb es in den Flugzeugen, die an den Gates warten mussten, alles ruhig. "Es war echt total keine Panik", sagte die 34-jährige Heleen der Deutschen Presse-Agentur (dpa). "Ich bekam lauter Whatsapp-Nachrichten von meiner Familie, die haben sich mehr Sorgen gemacht als ich."

Nach dem Fehlalarm versammelten sich auch allmählich wieder Menschen bei den Türen in der Ankunftshalle. "Wir haben von allem nichts mitgekommen", sagte eine Frau, als sie wenig später durch die Glastüren in die Ankunftshalle kam.

Gegen 22 Uhr abends konnten die Polizeibeamten endgültig Entwarnung geben. "Niks aan de hand" sagten sie zu besorgten Passagieren. Das heißt so viele wie "Alles ok".

Pilot entschuldigt sich

Einer der 27 Passagiere des Fluges von Amsterdam nach Madrid berichtete der Zeitung "De Volkskrant", die Besatzung einschließlich des Kapitäns habe anfangs keine Ahnung gehabt, was eigentlich los gewesen sei. Schließlich seien alle aus der Maschine geleitet und genau überprüft worden. "Danach erzählte uns der Chef der Polizei, dass im Cockpit das Protokoll für eine Entführung aktiviert worden war."

Polizisten im Einsatz nach Großalarm in Schiphol: Gates abgeriegeltBild: picture-alliance/dpa/P. Dejong

Später flog die Maschine dann doch noch nach Madrid. Niederländische Medien veröffentlichten ein Video, auf dem sich der Pilot bei den Passagieren entschuldigt. "Wir haben im Cockpit einen Fehler gemacht", hört man ihn sagen. "Wir haben einen Entführungsalarm aktiviert." Auch Air Europa entschuldigte sich "für die Unannehmlichkeiten".

Auch am Boden ist Konzentration gefragt

Piloten fordern nun eine schnelle Aufklärung des Vorfalls: "Es scheint mir klar zu sein, dass das nicht zu oft passieren sollte", sagte der Vorsitzende der niederländischen Pilotenvereinigung VNV, Willem Schmid, der dpa. "Es muss gründlich untersucht werden, wie dies geschehen konnte."

Änderungen vonseiten der Airlines oder neue gesetzliche Regelungen hält der deutsche Pilot Philip Keil nicht für nötig. Das System der Kommunikation mit Codes sei nicht nur im Falle einer echten Entführung sehr sinnvoll. "Es gibt auch Codes für andere akute Notfälle, zum Beispiel wenn die Triebwerke ausfallen oder der Pilot den Fluglotsen akustisch nicht mehr versteht."

Luftfahrtexperte Keil: "Kein klassischer Fehler"Bild: Philip Keil

Vielmehr müssten sich die Piloten nun an die eigene Nase fassen. "Ich würde mir in dieser Situation natürlich unendlich dumm vorkommen." Jedes System in einem Flugzeug berge Fehlerquellen. "Das schärft für jeden Piloten noch einmal den Sinn, dass wir auch schon am Boden sensibel und konzentriert sein müssen", fasst Keil zusammen.

Der betroffene Pilot müsse sich nun wohl einer Anhörung stellen. Er müsse ebenfalls mit Sanktionen rechnen. Doch vorerst kommen Kapitän und Fluggesellschaft mit einem blauen Auge davon. Die Kosten des Einsatzes würden nicht in Rechnung gestellt, sagte eine Sprecherin der Gemeinde Haarlemmermeer, auf deren Gebiet der Flughafen Schiphol liegt.

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