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Ermittlungen zu Smoleńsk-Absturz gehen weiter

Rozalia Romaniec9. April 2015

Fünf Jahre nach dem Absturz der polnischen Präsidentenmaschine im russischen Smoleńsk scheint die Schuldfrage weitgehend geklärt zu sein. Doch am Trauma der Polen ändert das wenig.

Das Wrack der polnischen Präsidentenmaschine, die in Smolensk abgestürzt ist (Foto: AP)
Bild: AP

Der damalige polnische Präsident Lech Kaczyński, seine Frau, ranghohe polnische Militärs, Politiker und Würdenträger waren am 10. April 2010 unterwegs in das russische Dorf Katyń. Am 70. Jahrestag des Massakers von Katyń wollten sie der Opfer gedenken - an jenem Ort, wo im Zweiten Weltkrieg mehr als 20.000 polnische Offiziere von der sowjetischen Geheimpolizei ermordet worden waren.

Kurz vor 11 Uhr befand sich die Präsidentenmaschine im Anflug auf den kleinen Flughafen in Smoleńsk, doch das Wetter wurde immer schlechter. Eine Stunde vorher war dort eine Maschine mit polnischen Journalisten gelandet, doch ein weiteres Flugzeug steuerte wegen des dichten Nebels einen anderen Flughafen an. Die Präsidentenmaschine war aber trotz der schlechten Wetterbedingungen und der mangelhaften Beleuchtung im Landeanflug.

Schock und Entsetzen

Offenbar unterschätzten die Piloten das Risiko und machten gleich mehrere Fehler. Inzwischen gehen die Ermittler davon aus, dass sie die Flughöhe von ungenauen Anzeigen ablasen und die Motordrehzahl zu niedrig hielten. Als sie es merkten, flogen sie auf nur 30 Metern Höhe und konnten weder rechtzeitig beschleunigen noch abheben. Die Maschine streifte Baumzipfel und zerschellte am Waldrand des Flughafens. Dann ging sie in Flammen auf. Alle 96 Insassen des Flugzeugs starben. Nach der Katastrophe erstarrte Polen zunächst im Schock. Danach tauchten immer mehr Verschwörungstheorien auf, von denen keine einzige von Experten bestätigt werden konnte. Die Militärstaatsanwaltschaft in Warschau ermittelt seit fünf Jahren zum Unglück der Tupolew 154M und wird frühestens im nächsten Jahr damit fertig. Dennoch veröffentlichte die Behörde schon kürzlich einen 200 Seiten langen Bericht, den unabhängige Experten für die Ermittlungen vorbereitet haben.

Darin werden die beiden Piloten als Hauptschuldige genannt. Außerdem seien auch zwei russische Fluglotsen in Smoleńsk mitverantwortlich, heißt es im Bericht. Anfang 2011 war eine bilaterale Luftfahrtkommission unter russischer Führung noch zu dem Schluss gekommen, dass die Fluglotsen keine Mitschuld trifft. Die Polen werfen ihnen aber vor, falsche Angaben zum Kurs des Flugzeugs an die Piloten weitergegeben zu haben und vor allem, dass sie den Flughafen trotz des dichten Nebels nicht geschlossen haben.

Verstörende Gesprächsprotokolle

Die Staatsanwaltschaft in Warschau bereitet eine Anklage gegen die Fluglotsen vor, doch zugleich betont man in dem Bericht, dass ihre Fehler die Schuld der polnischen Piloten nicht mindern. Die Hauptverantwortlichen für das Unglück saßen im Cockpit der Präsidentenmaschine, stellen die Experten klar.

Die Frage, warum es überhaupt zu diesem waghalsigen Manöver kam, treibt die polnische Öffentlichkeit seit dem ersten Tag an. Doch die weiteren Details verstören viele Polen: Zum Beispiel neue Gesprächsprotokolle aus dem Cockpit, die vor kurzem vom größten privaten polnischen Radiosender RMF veröffentlicht wurden. Durch eine modernere Technik sollen mehr Details zu hören sein als bei bisherigen Auswertungen des Materials.

Die Gesprächsprotokolle stützen die These, dass sich während des missglückten Landeversuchs eine dritte Person im Cockpit befand. Der Oberbefehlshaber der polnischen Luftwaffe, General Andrzej Błasik, soll die Piloten trotz des extremen Wetters zum Landen gedrängt haben. Das Umfeld des Präsidenten könnte darauf bestanden haben, dass die Delegation wegen einer offiziellen Zeremonie in Eile sei, so die Spekulationen. In dem veröffentlichten Material sind Stimmen zu hören, die noch kurz vor dem Absturz wiederholt um Ruhe im Cockpit bitten.

Messe für die Opfer des Absturzes, zu denen auch der ehemalige Präsident Lech Kaczyński und seine Frau gehörtenBild: Yuriy Dyachyshyn/AFP/Getty Images

Piloten ohne Lizenz für Präsidentenmaschine?

Die Staatsanwaltschaft versucht, die Ereignisse zu rekonstruieren und alle Verantwortlichen zu identifizieren. Deshalb müssen nicht nur die beiden Fluglotsen aus Smoleńsk mit einer Anklage rechnen, sondern auch zwei polnische Kommandanten des inzwischen aufgelösten Flugregiments, das für den sogenannten "VIP-Transport" in Polen verantwortlich war.

Ihnen wird vorgeworfen, dass sie Piloten zum Fliegen der Präsidentenmaschine angewiesen haben, deren Berechtigung für Flüge mit der Präsidentenmaschine abgelaufen war. Der Navigator des Flugzeugs hatte sogar für einen solchen Flug überhaupt keine Lizenz erworben. Genau genommen hatte also nur der Bordtechniker alle Bedingungen für den Flug mit der Präsidentenmaschine erfüllt, schreibt die polnische Presse.

Zwischen Nähe und Distanz

Nach dem Absturz kam es zunächst zu einer neuen Nähe im polnisch-russischen Verhältnis. Viele Beobachter waren vom Mitgefühl der Russen beeindruckt und wollten glauben, das Unglück könnte die Nachbarn näher bringen. Doch bald kamen Verschwörungstheorien und gegenseitiges Misstrauen an die Oberfläche, bis man sich schließlich weiter denn je voneinander entfernte.

Hinzu kommt, dass Moskau das Wrack der verunglückten Präsidentenmaschine noch nicht an Polen zurückgegeben hat. Zwar betonen Experten, dass das nichts an den Untersuchungsergebnissen ändern würde, weil man stets vollen Zugang zu den Trümmern des abgestürzten Flugzeugs bekommen habe. Doch die Rückgabe des Flugzeugs hätte eine große symbolische Bedeutung für die Polen.

Zum fünften Jahrestag des Flugunglücks schickt die polnische Regierung nur eine kleine Delegation mit der Kulturministerin nach Smoleńsk. Premierministerin Ewa Kopacz nimmt stattdessen an Gedenkfeiern in Polen teil. "Ein Besuch der polnischen Premierministerin auf russischem Boden wäre derzeit nicht ratsam", teilte ihr Sprecher mit. Im Jahr der polnischen Präsidenten- und Parlamentswahlen ist die Katastrophe von Smoleńsk immer noch ein sehr sensibles Thema.

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