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Politik

Urteil im Chemnitz-Prozess

22. August 2019

Es ist fast genau ein Jahr her: Nach dem Mord an Daniel H. wurde im Prozess um einen angeklagten Syrer das Urteil gesprochen. Es war eine Tat, die Deutschland aufwühlte und international für Schlagzeilen sorgte.

Deutschland Prozess um tödliche Messerattacke von Chemnitz
Der Angeklagte wird in den Verhandlungssaal in Dresden geführtBild: picture-alliance/dpa/R. Michael

Knapp ein Jahr nach dem tödlichen Messerangriff auf einen Deutschen in Chemnitz ist ein 24 Jahre alter Angeklagter zu neun Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt worden. Das Landgericht Chemnitz sprach den Syrer am Donnerstag in Dresden wegen Totschlags und gefährlicher Körperverletzung schuldig.

Vor der Urteilsverkündung haben die Nebenkläger eine hohe Haftstrafe von elf Jahren für den angeklagten Syrer Alaa S. gefordert. Der Angeklagte sei mit einem "hohen Maß an Brutalität" vorgegangen, sagte der Nebenkläger. Das Opfer habe sich nicht wehren können und keinerlei Flucht- oder Abwehrchancen gehabt. 

Fall von internationaler Aufmerksamkeit

Die Verteidigung hingegen plädiert auf Freispruch. Die Beweisaufnahme habe "nicht ergeben", dass ihr Mandant Daniel H. getötet und einen weiteren Mann verletzt habe, sagte Verteidigerin Ricarda Lang in Dresden. Der Haftbefehl gegen den Angeklagten Alaa S. sei deshalb umgehend aufzuheben.

Der Prozess vor dem Landgericht Chemnitz hatte im März begonnen. Aus Sicherheitsgründen findet er in Dresden statt. Die Staatsanwaltschaft hatte am 18. Verhandlungstag für den angeklagten Syrer eine Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren wegen Totschlags und gefährlicher Körperverletzung gefordert.

Der Mord an dem 35-jährigen Daniel H. war eines der folgenreichsten Verbrechen in der jüngeren Geschichte des Bundeslands Sachsen. Der Fall und dessen Folgen hatten auch international Aufmerksamkeit erregt. Der 24 Jahre alte Angeklagte soll gemeinsam mit einem flüchtigen Iraker am 26. August 2018 in Chemnitz Daniel H. erstochen und einen weiteren Mann mit einem Messerstich schwer verletzt haben. Der mutmaßliche Mittäter ist weltweit zur Fahndung ausgeschrieben.

Nach der Tat legte Chemnitzer Blumen am Tatort nieder (Archivbild)Bild: DW/B. Knight

Vor Gericht hatte der Angeklagte zu den Tatvorwürfen geschwiegen. Unmittelbar vor dem erwarteten letzten Verhandlungstag hat er jedoch in einem Interview mit dem TV-Sender ZDF seine Unschuld beteuert. Nach Angaben des Landgerichts haben die dortigen Aussagen keinen Einfluss auf die Urteilsfindung der Kammer. Dafür seien laut Strafprozessordnung allein die im Laufe der Verhandlung gewonnen Erkenntnisse entscheidend. "Als Mittel für die Gewinnung der Überzeugung darf vom Gericht alles verwertet werden, was zum Gegenstand der Hauptverhandlung - vom Aufruf zur Sache bis zu den Schlussvorträgen und dem letzten Wort des Angeklagten - gemacht worden ist", teilte eine Sprecherin schriftlich mit.

Rechte Aufmärsche und Gegendemos

Weit mehr als das Verbrechen warfen die Folgen national wie international ein Schlaglicht auf Chemnitz. Nach der Tat war es in Chemnitz zu rechten Demonstrationen und rassistisch motivierten Übergriffen gekommen. Bilder von rechten Demonstrationen, Aufmärschen von Neonazis und Fußball-Hooligans, von Übergriffen sowie dem Zeigen des Hitlergrußes in zahlreichen Fällen gingen um die Welt. Ein jüdisches und drei andere Restaurants mit ausländischer Küche wurden überfallen. Später flog die rechtsextreme Terrorgruppe "Revolution Chemnitz" auf. Der Prozess gegen die acht mutmaßlichen Mitglieder beginnt am 23. September.

Einige rechte Gruppen instrumentalisierten den Mord und organisierten Aufmärsche (Archivbild)Bild: Getty Images/AFP/O. Andersen

Die Stadt wehrte sich gegen das Image als Nazi-Hochburg. So organisierte die Chemnitzer Band Kraftklub das wirsindmehr-Konzert gegen Rechts und Rassismus unter anderem mit den Toten Hosen, zu dem 65 000 Menschen kamen. Der Fall hatte auch eine politische Dimension. Der Streit um die Frage, ob es "Hetzjagden" gegeben habe, wurde zur Zerreißprobe für die große Koalition aus Union und SPD - und führte letztlich dazu, dass der damalige Chef des Bundesamts für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, in den einstweiligen Ruhestand versetzt wurde.

Am Sonntag könnte die Stimmung in Chemnitz wieder hochkochen: Die vom sächsischen Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestufte Bewegung Pro Chemnitz hat dann zu einer Kundgebung aufgerufen. Das Urteil zu Daniel H. könnte in einer politisch angespannten Zeit gesprochen werden. In gut einer Woche wird in Sachsen ein neuer Landtag gewählt. Es wird mit einem starken Abschneiden der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland (AfD) gerechnet. 

lh/kle (dpa, epd)

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