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Politik

Folterärzte - nicht nur in Syrien

19. Januar 2022

Alaa M. soll Teil des syrischen Unterdrückungssystems gewesen sein. Jetzt beginnt sein Prozess in Frankfurt. Wo gefoltert wird, sind Ärzte oft nicht weit.

Deutschland Justiz l Deutscher erstattet Anzeige beim GBA wegen Folter in Syrien l Folterinstrumente
Folterinstrumente in SyrienBild: Stringer/AFP

Welcher Arzt tut so etwas? Die Genitalien von Teenagern mit Alkohol übergießen und anzünden? Gefangenen gegen gebrochene Arme und Beine treten? Menschen, die sich gegen seine Misshandlung wehren, mit Injektionen ermorden? Drei Beispiele aus einer langen Liste von Gräueltaten, die Generalbundesanwalt Peter Frank dem syrischen Arzt Alaa M. vorwirft.

An diesem Mittwoch hat in Frankfurt der Prozess gegen den 36-Jährigen vor dem Oberlandesgericht Frankfurt begonnen, wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Begangen haben soll Alaa M. seine Foltertaten in einem Gefängnis des Militärgeheimdienstes sowie in Militärkrankenhäusern in Homs und Damaskus.

2015 war Alaa M. nach Deutschland gekommen. Seither praktizierte er als Arzt in mehreren Kliniken - bis er im Juni 2020 festgenommen wurde. 

"Dieser Fall zeigt, wie das Regime nicht nur den Sicherheitsapparat und das Militär gegen die eigene Bevölkerung einsetzte, sondern alle ihm zur Verfügung stehenden Instrumente", sagt Anwar al-Bunni, syrischer Anwalt, Folterüberlebender und Aktivist. "Ärzte, Lehrer, jeder wurde zur Unterdrückung der Demokratiebewegung eingesetzt, das Verbrechen hatte System", so al-Bunni zu Prozessbeginn im Gespräch mit der DW.

Vom Heiler zum Helfer des Unterdrückungssystems

Der Fall wühlt auf. Nicht nur wegen der Taten allein, sondern auch, weil ein Arzt sie begangen haben soll: Jemand, den Menschen in Not aufsuchen, den die meisten als Vertrauensperson erleben, mit dem sie die Geheimnisse ihrer Körper und manchmal auch ihrer Seele teilen.

Auch in Syrien genießen Ärzte ein hohes Maß an Wertschätzung, Anerkennung und Sozialprestige, schreibt Houssam al-Nahhas in einem Statement gegenüber der Deutschen Welle. Der Arzt ist selbst Folterüberlebender des syrischen Unterdrückungssystems, war Nah-Mittelost-Experte der internationalen Nichtregierungsorganisationsorganisation "Ärzte für Menschenrechte", PHR.

Aber, schreibt Houssan al-Nahhas weiter, "während viele Angehörige der Gesundheitsberufe in Syrien ihrem Eid treu geblieben sind und das Leiden der Syrer gelindert haben, hat eine Minderheit von Angehörigen der Gesundheitsberufe das brutale Foltersystem der Assad-Regierung unterstützt." Aus Heilern wurden also Helfer und Unterstützer eines brutalen Unterdrückungssystems. Das geschieht auch andernorts.

Dokumentation des Grauens bei den Vereinten Nationen in New York: Bilder getöteter syrischer FolteropferBild: Cem Ozdel/AA/picture alliance

Der US-amerikanische Medizinprofessor Steven Miles hat intensiv zur Beteiligung von Ärzten an Folter geforscht. Ärzte seien für Folter unerlässlich und integraler Bestandteil jeden Foltersystems, erläutert Miles im DW-Gespräch.

Miles führt mehrere Argumente an: "Sie erstellen falsche Totenscheine für die Krankenakte. Sie vermerken nicht, dass die Folter eine Ursache für eine Verletzung oder einen Tod war. Zweitens entwickeln sie Foltermethoden, die keine äußeren Spuren hinterlassen. Und drittens helfen Ärzte den Tod von Patienten hinauszuzögern, um sie für die gesamte Dauer der geplanten Folter am Leben zu erhalten." 

Es ist kein Zufall, dass der angeklagte Alaa M. einen Teil der ihm vorgeworfenen Taten in einem Militärhospital verübt haben soll. Welche Rolle im syrischen Unterdrückungssystem Militärhospitäler spielen, wurde in der Urteilsbegründung gegen den früheren Geheimdienstoberst Anwar R. am 13.1. in Koblenz gestreift. Da hatte Richterin Anne Kerber unter anderem ausgeführt, wie die Leichen von Folteropfern in Militärkrankenhäusern gesammelt wurden. Wie Militärfotografen die Toten dort dokumentierten, um zu zeigen, dass die Betroffenen nicht etwa freigelassen worden waren. Wie die Leichen in Kühllastern oder Sattelschleppern zu Massengräbern geschafft wurden.

Staatsfolter vor Gericht

12:33

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Ärzte unterm Hakenkreuz - und in der DDR

Nicht nur in Syrien wird unter Einbeziehung von Ärzten gefoltert. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International spricht in ihren Publikationen von 140 Staaten in der Welt, in der Folter angewandt wird, für den Folterarzt-Experten Steve Miles sind es auf jeden Fall 120 Nationen.

Auch in Deutschland haben Ärzte an massivem Unrecht mitgewirkt. Das gilt für Ärzte in der NS-Diktatur wie den KZ-Arzt Josef Mengele: Der hat als berüchtigter "Engel des Todes" an der Rampe im Vernichtungslager Ausschwitz-Birkenau an der Selektion der ankommenden Häftlinge mitgewirkt, die Vergasung der Opfer überwacht und menschenverachtende Experimente an Gefangenen durchgeführt.

"Engel des Todes": Der Arzt Josef Mengele im Konzentrationslager AuschwitzBild: Keystone/ZUMA/imago images

Auch in der DDR haben Ärzte mit dem Unterdrückungsapparat zusammengearbeitet. In einem Beitrag für die Bundeszentrale für politische Bildung von 2015 legt die Rostocker Juristin Heidrun Budde mehrere Beispiele für Folter speziell in psychiatrischen Anstalten vor. Die Maßnahmen reichten von Isolationsfolter bis zu extrem schmerzhaften Eingriffen ohne medizinischen Zweck - allein mit dem Ziel, den Willen von Menschen zu brechen.

Motiv: Aussicht auf Beförderung

Seit knapp einem halben Jahrhundert wendet sich der Weltärztebund (Word Medical Association, WMA) gegen die Beteiligung von Ärzten an Folter. Die 1975 verabschiedete Deklaration von Tokio ist ein Anti-Folter-Manifest, dass Ärzten nicht nur die direkte Beteiligung an Folter verbietet. Es verpflichtet sie auch, sich zu äußern, zu protestieren und die Opfer zu schützen, wann immer sie Folter begegnen.

In der Praxis aber entschieden sich dennoch immer wieder Ärzte für die Zusammenarbeit mit Folterern. Medizinethiker Steven Miles zufolge geschieht das beinahe immer freiwillig. "Die Regime, die diese Ärzte einsetzen wollen, haben oft einen Mangel an Medizinern und wollen ihre medizinische Gemeinschaft nicht verprellen, indem sie die Ärzte zur Folter zwingen."

Folter, wie hier im Irak: weltweit geächtet, weit verbreitet - und oft sind Ärzte involviertBild: Cpl Neill A. Sevelius/EPA/picture alliance

Als Lohn für die freiwillige Mitarbeit winkten den Folterärzten Beförderungen und hohe Gehälter. Dazu komme bei vielen eine "rigide Auffassung davon, was patriotisch richtig und falsch ist sowie ein Mangel an Respekt vor den Menschenrechten", führt Miles weiter aus.

Von Abu Ghraib bis Guantanamo

Und obwohl Folter weltweit geächtet ist - auch in der syrischen Verfassung ist sie verboten - arbeiten Folterärzte nicht nur in autoritären Staaten. Auch in demokratischen Ländern werden ihre Dienste genutzt. Die verharmlosend "enhanced interrogation techniques" - also: verstärkte Verhörmethoden - genannten Foltermethoden der USA in ihrem "Krieg gegen den Terror" nach 2001 waren ohne den Einsatz von Ärzten undenkbar.

Das beginnt damit, dass der Katalog von Foltermethoden von Psychologen und Ärzten entwickelt wurde - mit einer zentralen Gemeinsamkeit: Keine sichtbaren Spuren zu hinterlassen. Außerdem waren Ärzte dabei, wenn Gefangene gefoltert wurden, wie etwa beim sogenannten "Waterboarding" - dabei erlebt der Gefangene extreme Angst zu ersticken. Schließlich sollen Ärzte geholfen haben, Verletzungen und Todesfälle zu verschleiern.

Mit Blick auf den Prozess in Frankfurt hofft der Arzt Houssam al-Nahhas deshalb nicht allein, dass der Prozess gegen Alaa M. dazu beitragen wird, "die Rolle aufzudecken, die einige syrische Ärzte bei den Gräueltaten in Syrien gespielt haben". Alaa M. solle den Angehörigen der Gesundheitsberufe auf der ganzen Welt als Beispiel dafür dienen, dass "diejenigen, die sich an Folter beteiligen, letztendlich vor Gericht gestellt werden".

Der Artikel wurde nach Prozessbeginn aktualisiert.

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