Deutschland Antiterrorkampf
8. November 2011 Folter und Rechtsstaat - das gilt in den europäischen Demokratien und im europäischen Menschenrechtssystem als unvereinbar. Dennoch haben auch europäische Staaten offenbar im Graubereich der menschenrechtlichen Legalität agiert, nachdem der ehemalige US Präsident George W. Bush den "Krieg gegen den Terror" als Reaktion auf die Anschläge vom 11. September 2001 ausgerufen hatte. Europäische Staaten stehen im Verdacht, geheime Foltergefängnisse zugelassen und geheime Gefangenenflüge in Folterstaaten zumindest geduldet zu haben. Außerdem sollen sie sich an der Befragung von mutmaßlichen Terroristen in Foltergefängnissen beteiligt haben.
Deutschland musste am Dienstag (08.11.2011) vor dem Anti-Folter-Ausschuss der Vereinten Nationen in Genf zu Fragen Stellung nehmen, die solche Befragungen sowie die Zusammenarbeit und den Datenaustausch zwischen amerikanischen und deutschen Geheimdiensten betreffen. DW-WORLD.DE hat Wolfgang Heinz, Experte am Deutschen Institut für Menschenrechte (DIMR) in Berlin und Mitglied im Anti-Folter-Ausschuss (CPT) des Europarates, gefragt, wie es um die Aufklärung dieser Vorgänge steht - und um den Kampf gegen die Folter.
DW-WORLD.DE: Polen, Litauen und Rumänien stehen im Verdacht, dass auf ihrem Territorium im Rahmen des Antiterrorkampfs Geheimgefängnisse betrieben wurden in denen es nicht nach rechtsstaatlichen Prinzipien zuging. Wie steht es um die Aufklärung dieser Vorgänge?
Wolfgang Heinz: Diese Aufklärung ist nicht abgeschlossen und auch nicht sehr weit gekommen. Die Vorwürfe selbst kommen von der umfassenden Untersuchung unter Dick Marty, einem schweizerischen Staatsanwalt des Europarates (Anmerkung der Redaktion: damals Vorsitzender des Menschenrechtsausschusses der parlamentarischen Versammlung des Europarates). Darin gab es die ersten Hinweise. Rumänien hat von Anfang an absolut auf stur geschaltet und hat gesagt, der Vorwurf sei falsch und unberechtigt. In Polen führt die Staatsanwaltschaft immer noch Untersuchungen durch. Und mit Litauen ist es bisher auch recht schwierig weiter zu kommen.
Außerdem sollen sich europäische Staaten an sogenannten Gefangenflügen beteiligt haben, mit denen der US-Geheimdienst CIA mutmaßliche Terroristen an Staaten auslieferte, in denen gefoltert wurde. Auch Mitarbeiter der Geheimdienste europäischer Länder sollen dahin gereist sein, um dort Gefangene zu befragen. Hat das DIMR als nationales Menschenrechtsinstitut die deutsche Regierung zu einem möglichen Konflikt mit der Anti-Folterkonvention beraten?
Das Institut hatte bereits im Jahre 2007 zu zwei kritischen Fragen klar Stellung bezogen: Die eine Frage war die der diplomatischen Zusicherung (Anmerkung der Redaktion: dass nicht gefoltert wird). Und sie ist immer noch aktuell, weil Deutschland sich weiterhin diplomatische Zusicherungen von Ländern geben lässt, in denen es doch erkennbar eine Folterpraxis gibt. Berlin sagt, das brauchen wir um Verdächtige ausliefern zu können. Und wir vom DIMR haben in einer von mir verfassten Studie zur Terrorismusbekämpfung in Deutschland klar gesagt, Bundesregierung und Bundestag sollten sich nicht an Versuchen (Anmerkung der Redaktion: des Europarates) beteiligen, ein neues völkerrechtliches Instrument zu schaffen, das Anforderungen der diplomatischen Zusicherungen definiert. Das war nämlich im Europarat so diskutiert worden. Und des Weiteren haben wir gesagt: "Deutschland soll auf jede Entsendung von Beamtinnen und Beamten zur Befragung von Gefangenen in Ländern verzichten, in denen diese in einem Folterkontext oder in einer rechtlosen Situation festgehalten werden."
Die Verweigerung der Information offizieller Stellen aus Gründen der Geheimhaltung in einem eigens eingerichteten, parlamentarischen Untersuchungsausschuss in Deutschland zu diesen Fragen wurde vom Bundesverfassungsgericht im Juni 2009 als teilweise unzulässig erklärt. Daraus folgte jedoch nichts, denn der Untersuchungsausschuss hat zu diesem Zeitpunkt seine Arbeit schon abgeschlossen. Jetzt hat der Antifolterausschuss der Vereinten Nationen CAT (Committee Against Torture) das Thema wieder auf die Tagesordnung gesetzt. Warum ist die Aufklärung dieser Vorgänge, für Menschenrechtler ein wichtiges Anliegen?
Das politisch Brisante am Thema Aufklärung der Entführungsflüge und anderer Dinge war, dass die meisten Regierungen nach den Untersuchungsergebnissen von Herrn Marty, erst einmal stark dazu neigten zu sagen, sie wüssten von nichts, sie hätten keine Absprachen getroffen mit der US-Regierung. Gleichzeitig erklärte die damalige US-Außenministerin Condoleezza Rice öffentlich, die europäischen Regierungen wüssten es sehr wohl. Die USA würden nichts tun im europäischen Raum, ohne das entsprechend auch mit europäischen Regierungen abzustimmen. Für eine interessierte und natürlich auch kritische Öffentlichkeit stellte sich natürlich jetzt die Frage: Wer hat Recht? Und was es eben gegeben hat, ist offenbar, dass hinter einer Nebelwand vielfach Regierungshandeln stattfindet, was überhaupt nicht mehr öffentlich kontrolliert werden kann, und das ist sehr gefährlich.
Hat diese Haltung der westlichen Länder auch ihrer Glaubwürdigkeit im Einsatz für die Menschenrechte und im Kampf gegen die weltweite Folter geschadet?
Also der entscheidende Punkt war doch historisch, dass das Folterverbot neben einigen anderen Themen, ich nenne Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit, Versammlungsfreiheit, ein ganz zentrales Ziel der westlichen Staaten und ihrer Politik bei den Vereinten Nationen waren. Und als dann bekannt geworden ist, besonders während der Regierung Bush Junior, dass man intern darüber diskutiert hat, das Folterverbot abzuschwächen durch eine erfundene neue Definition von Folter, die nur Folter am Rande des Todes oder gar einem Organkollaps als Folter ansah, ist das natürlich klar, dass das einen massiven Schaden für die Glaubwürdigkeit der USA bedeutet hat. Und als dann deutlich wurde, dass auch andere westliche Staaten mit den USA, mit dem Militär und den Geheimdiensten usw. zusammenarbeiten, stellte sich hier die Frage, wie weit waren sie beteiligt durch Weitergabe von Informationen oder Überstellung von Gefangenen. Ja, ich würde schon sagen, dass das eine massive Einbuße an Glaubwürdigkeit bedeutete, die sich auch bis heute nicht wieder stellen ließ, einfach deshalb, weil das ja nun über acht Jahre erfolgte und wir die Folgen in verschiedenen Ländern auch immer noch spüren.
Wo zum Beispiel ?
Im Vereinigten Königreich, also in England, gibt es eine Reihe von Fällen, wo Folteropfer Klagen gegen die britische Regierung eingereicht haben - wegen der Kooperation zwischen zum Beispiel dem pakistanischen Geheimdienst, der ja bekanntermaßen seit vielen Jahren foltert, und britischen Geheimdiensten, die dann die Fragen herein gereicht haben. Dies ist durchaus kontrovers auch in der britischen Regierung und dem Parlament diskutiert worden und es gibt interessanterweise von Großbritannien jetzt eigene Richtlinien, wie in Zukunft bei Befragungen im Ausland vom britischen Geheimdienst vorgegangen werden soll, die sehr detailliert sind und die menschenrechtlich sehr interessant sind, weil man offensichtlich eine ganze Reihe von Kritikpunkten aufgenommen hat. So was haben wir in Deutschland nicht.
Der ehemalige UN-Sonderberichterstatter im Kampf gegen Folter, Manfred Nowak, hat kürzlich eine bittere Bilanz gezogen. In den meisten Ländern weltweit sei die Folter eine verbreitete Praxis zur Erzwingung von Geständnissen und Informationen. Um dem Folterverbot mehr Geltung zu verschaffen liegt seine Hoffnung aber offenbar weniger beim Menschenrechtsrat, sondern bei den NGO's und - trotz aller Probleme im Rahmen des Antiterrorkampfes, auch bei Europa. Warum?
Wir haben in Europa eine Anti-Folterkonvention, die es erlaubt, dem europäischen Anti-Folterausschuss, dessen deutsches Mitglied ich bin, in jedem Land in Europa, außer in Belarus, unangekündigte Besuche durchzuführen (Anmerkung der Redaktion: da Belarus nicht Mitglied des Europarates ist), Polizei, Gefängniseinrichtungen, und Psychiatrische Einrichtungen zu besuchen, Berichte zu schreiben, mit Gefangenen, mit Patienten zu sprechen, ohne dass abgehört wird, und es sind Hunderte von solchen Besuchen in den letzten zwanzig Jahren durchgeführt worden mit detaillierten Berichten, Vorschlägen, was man tun könnte, um Folter zu verhindern. Ich glaube in der Tat, dass hier eine sehr breite und spezifische Erfahrung vorliegt und wenn man diese Erfahrung natürlich angemessen übersetzen könnte, nutzbar machen könnte für andere Länder, könnte das erhebliche Fortschritte geben beim Kampf gegen die Folter.
Das Interview führte Ulrike Mast-Kirschning
Redaktion: Zoran Arbutina