1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Forscher oder schon Biopirat?

15. Dezember 2016

Konzerne verarbeiten kommerziell Pflanzen oder Tiere aus anderen Ländern. Forscher untersuchen die Arten. Aber es ist schwierig für sie, Genehmigungen zur Nutzung genetischer Ressourcen zu erhalten.

Cornelia Löhne, Kustodin, Botanishe Gärten Bonn
Cornelia Löhne leitet die Sammlung am Botanischen Garten der Universität BonnBild: DW/K. Jäger

Nahrungsmittelproduzenten wie Kaffeehersteller, die Pharma- und die Kosmetik-Industrie - sie alle profitieren von Substanzen aus der Natur und machen mit Inhaltsstoffen von Pflanzen, Tieren, Mikroorganismen Gewinne. Die internationale Staatengemeinschaft hat mit der Konvention zur Biologischen Vielfalt CBD (Convention on Biological Diversity) ein rechtlich bindendes Maßnahmenpaket zur kommerziellen Nutzung dieser genetischen Ressourcen erstellt. Cornelia Löhne könnte das egal sein, würden die Richtlinien nicht auch ihre Arbeit als Biologin beeinflussen. 

Wem gehört die Natur? 

Löhne sammelt das pflanzliche Erbgut im Botanischen Garten Bonn mit dem Ziel, die biologische Vielfalt zu dokumentieren, bedrohte Arten zu erhalten und nicht zuletzt zu erforschen. In einem aktuellen Projekt untersucht eine Forschergruppe das Material von Brennhaaren an Pflanzen. "Es besteht aus den gleichen Materialen wie unsere Zähne", kann Cornelia Löhne schon sagen. 

Üblicherweise erhalten die Bonner Samen und Pflanzen meist von anderen Botanischen Gärten. "Es ist gängige Praxis, dass Pflanzen getauscht werden. Pflanzen werden regelmäßig vermehrt, Überschüsse abgegeben. So können wir Bestände sichern, Arten erhalten." 

Die größte Blume der Welt: Der Titanenwurz, ursprünglich aus Sumatra, ist eine Attraktion in Botanischen Gärten weltweit Bild: picture-alliance/dpa/R. Jensen

Der Botanische Garten, der zur Universität gehört, kauft auch von kommerziellen Anbietern. "Das sind seltene Arten wie Orchideen und Kakteen, für die man einen Nachweis mitführen muss, aus dem hervorgeht, dass die Pflanzen aus einer Zucht stammen und nicht der Natur entnommen wurden." Auch erhält der Botanische Garten beschlagnahmte Pflanzen vom Zoll. Wegen der hohen bürokratischen Hürden sammeln Wissenschaftler kaum noch Pflanzen selbst vor Ort. 

Die Grundlagenforschung leidet unter den politischen Vorgaben, die den Handel kontrollieren und reglementieren. Die Richtlinien sind ausschließlich auf die Unternehmen ausgerichtet, die von der biologischen Vielfalt massiv profitieren und sie sind nicht mehr zeitgemäß, meint Löhne. 

Denn früher schickten Konzerne ihre Scouts bis in die entlegensten Winkel der Erde, um von Wirkstoffen und dem Wissen der Völker dort zu profitieren, während letztere leer ausgingen.

Die Äthiopier beispielsweise wussten von der aufputschenden Wirkung der Kaffeebohne. Reich wurden internationale Kaffeeröster. Und 2006 ließ sich der Schweizer Gemischtwaren-Konzern Nestlé Gentechnik-Kaffee patentieren. Die Eigenschaft, dass ein Enzym blockiert wird, die das Kaffeepulver besser löslich macht, steht unter Patentschutz. Die Patentansprüche aber schließen die genmanipulierten Pflanzen, das technische Verfahren und die Verwendung der Kaffeebohnen zur Herstellung löslichen Kaffees mit ein.

Heute konzentrieren sich die Konzerne bei der Erforschung von verwertbaren Wirkstoffen auf Mikroorganismen wie Bakterien und Pilze. Sie benötigen daher keinen Zugang mehr zu genetischen Ressourcen in anderen Ländern und sind dem internationalen Abkommen, dem Nagoya-Protokoll, längst einen Schritt voraus. 

Biopiraterie Einhalt bieten

Dieser völkerrechtlich bindende Vertrag regelt den Zugang zu genetischen Ressourcen. Wer die genetischen Ressourcen aus einem Land nutzen möchte und damit einen Gewinn erzielt, verpflichtet sich, dem Ursprungsland einen Teil des Gewinns abzugeben. Die UN-Vertragsstaaten einigten sich 2010 im japanischen Nagoya auf diese sogenannte 'Access and Benefit Sharing'-Strategie (ABS).

Aus Kurkuma-Blättern wird ein ein ayurvedisches Gewürz hergestellt - seit etwa 5.000 JahrenBild: Fotolia/leiana

Die ABS-Strategie besagt, dass die genetischen Ressourcen den nationalen Souveränitätsrechten der Ressourcenstaaten unterliegen. Jeder Staat wird als Eigentümer seiner genetischen Ressourcen anerkannt. Vertragsstaaten sind im Gegenzug grundsätzlich verpflichtet, einen (nicht notwendigerweise kosten- und bedingungslosen) Zugang zu genetischen Ressourcen durch andere Vertragsparteien zu gewähren.

Ungeahnte Dimensionen komplexer Bürokratie 

"Die Umsetzung in nationale Gesetze bringt Probleme mit sich", gibt Cornelia Löhne zu verstehen. "Wir arbeiten mit Material, das auch unter die Definition 'genetische Ressourcen' fällt, und es erschwert unsere Arbeit sehr, obwohl wir keine kommerzielle Absichten und Nutzen davon haben." Alle Richtlinien, alle Formulare seien auf die Verwendung von Pharma- und anderer industrieller Unternehmen ausgerichtet. "Wenn wir, also Botanische Gärten und Unis, Pflanzen zur Forschung verwenden, können wir keinen geldwerten Vorteil anbieten", sagt Löhne. 

Oft wüssten die Wissenschaftler nicht einmal, welche Pflanzen sie gesammelt hätten. Ihre Herkunft müsste später im Labor bestimmt werden. Doch viele Ländern erteilen Forschern gar keine Erlaubnis mehr für Exkursionen, auch international vernetzte Forschung sei stark eingeschränkt worden, so Löhne. Und die Betreiber von Zoos seien verunsichert, ob sie ihre Zuchten fortsetzen können, weil die importierten Tiere als Nutzung genetischer Ressourcen zählen, für die im Ursprungsland Genehmigungen eingeholt werden müssten.

"Müsste für das Fortpflanzungsprogramm von Elefanten mehr bezahlt werden als für die Vermehrung einer seltenen Mäuseart?", fragt sich Cornelia Löhne. Die Formulierungen in den Gesetzestexten reichten nicht aus, sie sei für die Forschungsarbeit jedoch extrem relevant. 

Kritik verpufft

Mit anderen Experten hat die Kustodin, also die Betreuerin der Sammlung, die Bedenken der Wissenschaftler vorgetragen und dabei die Erfahrung gemacht, dass das Nagoya-Protokoll in der Politik keine Rolle spielt. Als Spitzfindigkeiten bezeichneten die Juristen der staatlichen Behörden ihre Anmerkungen: Im Ernstfall würden die Gerichte entscheiden, bekamen die Forscher zu hören. "Diese Vorstellung ist furchteinflössend, weil wir es uns schlichtweg finanziell gar nicht leisten können, Unwägbarkeiten vor Gericht auszutragen."

Objekt der Begierde von Forschern und Nahrungsmittelkonzernen: Kakaobaum Bild: DW/K. Jäger

Im Zweifelsfall müsse man ein Forschungsprojekt zurückziehen, aber das koste auch Geld und beeinträchtige die Freiheit der Wissenschaft. Nachholbedarf sieht Cornelia Löhne bei der Darstellung der Rechtslage in den jeweiligen Ländern im internationalen Informationsportal: Die Gesetzestexte, zumal oft in den Landessprachen verfasst, seien kaum verständlich. Und Forscher wüssten meist nicht, an wen sie sich mit Fragen und Genehmigungsformalitäten wenden sollten.

Wird die Wissenschaft weiter ausgebremst?

Jetzt soll das Nagoya-Protokoll weiter ausgedehnt werden. Forscht ein Wissenschaftler an einer Pflanze, stellt er die DNA, das genetische Erbgut, ins Internet und damit anderen Forschern frei zur Verfügung.

In Zukunft soll die Info unter die Bestimmungen des Nagoya-Protokolls fallen, denn die Befürchtung geht dahin, dass Unternehmen die Infos für ihre kommerziellen Zwecke nutzen könnten. "Wenn Wissenschaftler künftig in jedem Herkunftsland einen Antrag für die bloße Nutzung der DNA stellen müssen, dann wird das Forschen extrem aufwendig", befürchtet Löhne.

 

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen