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Kunst

Fotografie zwischen den Weltkriegen

2. Juli 2021

In den 1920er-Jahren revolutionierte die Fotografie das Sehen: Sie wurde experimentell und drang in alle Lebensbereiche vor, zeigt eine Ausstellung in Frankfurt.

"Winterlicher Wald" ist ein kreisrundes Foto, das Baumwipfel von unten zeigt.
"Winterlicher Wald", aufgenommen von Umbo, 1935Bild: Umbo/Phyllis Umbehr/Galerie Kicken Berlin/VG Bild-Kunst

Nicht nur politisch, auch künstlerisch begann Anfang der 1920er-Jahre in Deutschland eine neue Zeitrechnung. Die Weimarer Republik - sie wurde so genannt, weil in Weimar die erste verfassunggebende Nationalversammlung der frisch gebackenen Demokratie tagte - sorgte für bahnbrechende technische Innovationen. Fotografien waren in den Medien wie Tageszeitungen, Illustrierten oder auch in der Werbung immer häufiger zu finden. Dabei waren Fotos nicht mehr nur Illustrationen, sondern auch selbst das Element der Information: Sie wurden zu ausdrucksstarken Experimentierfeldern mit ungewohnten Perspektiven und Motiven. Neben künstlerisch-formaler Spielereien brachten Fotoreporter auch die Aktualität von Ereignissen mit Hilfe ihrer Aufnahmen flächenwirksam zu den Menschen.

Foto des Maler-Ehepaars Dix aus August Sanders berühmtem Bildatlas "Menschen des 20. Jahrhunderts": Während Martha Dix dem Betrachter frontal entgegenschaut, zeigt der Fotograf den Kopf ihres Ehemanns Otto im ProfilBild: Die Photographische Sammlung/Sk Stiftung Kultur/August Sander Archiv/VG Bild-Kunst

1920er-Jahre: Ära des neuen Sehens

Hinzu kam, dass durch die erschwingliche Kleinbildkamera das Fotografieren zum Zeitvertreib oder zum neuen Freizeitvergnügen wurde. Die Lust an der Reproduzierbarkeit von Bildern schlug sich an den Kunsthochschulen nieder: In München, in Halle auf Burg Giebichstein oder am Bauhaus in Weimar wurde Fotografie als neues Studienfach eingeführt.

Der jüdische Fotograf Erich Salomon fotografierte auf der Tagung des Völkerbundrats in Lugano die Debatte von Gustav Stresemann, Austen Chamberlain und Aristide BriandBild: Städel Museum

Auch Bildende  Künstler waren von den Möglichkeiten der Fotografie fasziniert und probierten dank der handlichen Kleinbildkamera neue Perspektiven und Motive aus. Fotografie löste die Malerei ab - oder sie wollte es zumindest. "Das Staffeleibild ist tot", schrieb Alexander Rodtschenko 1921 forsch. Fotografie wurde zur neuen Kunstform, etablierte sich immer mehr, wurde ernstgenommen - und sogar für museumswürdig empfunden.

Fotografie zeigt neuen Blick auf die Arbeitswelt

Die "Deutsche Photographische Ausstellung" war die erste Fotografie-Ausstellung nach dem Ersten Weltkrieg. Gezeigt wurde sie 1926 in Frankfurt am Main, im Haus der Moden. Sie widmete sich dem ganzen Spektrum des Mediums, von der Berufsfotografie über wissenschaftliche und historische Fotografie bis hin zur fotografischen Industrie und Fachliteratur.

Hans Finsler: sachliche Dokumentation von AlltagsgegenständenBild: Nachlass Hans Finsler

Heraus bildete sich ein neuer Blick auf das moderne Leben. Industriefotografie zählt zu den bedeutendsten Zeugnissen aus der Weimarer Republik. Zahlreiche Unternehmen nutzten die Aufnahmen zu Werbezwecken und ließen ihre modernen Produktionsanlagen und Maschinen professionell in Szene setzen.

Die in den Werbematerialien verwendeten Fotografien konzentrierten sich in der Regel darauf, die Schönheit der technischen Details in den Vordergrund zu stellen, während sie Produktionszusammenhänge und Arbeitsbedingungen eher aussparten.

"Schaffende Hände" (Albert Renger-Patzsch)Bild: Skrein Photo Collection/VG Bild-Kunst

Gleichzeitig wurden Oberflächen und Konstruktionen der Umgebung untersucht. Dabei entstanden für die damalige Zeit gewagte Experimente mit Licht und Schatten. Auf gleiche Weise gingen die neuen Bildkünstler auch beim Umgang mit Naturfotografien um. 

Faszination für die Natur 

Friedrich Seidenstücker fotografierte 1935 zwei Zebras von hintenBild: Städel Museum

In den 1920er-Jahren wurde die Fotografie zu wissenschaftlichen Zwecken genutzt. Sie ermöglichte einen vermeintlich rationalen Blick auf die Natur und half bei der Dokumentation von Forschungsergebnissen. Wurden lange Zeit Flora und Fauna durch Zeichnungen dargestellt, so nahm nun die Fotografie ihren Platz ein.

Karl Blossfeldt, Carl Strüwe oder Albert Renger-Patzsch zeigten mit beinahe wissenschaftlicher Akribie die Strukturen der Natur als Archetypen der Industrie. Die Pflanzen wurden ihr Vorbild. Wie groß die Popularität der Fotografie war, beweisen die zahlreichen Ausstellungen und Messen dieser Zeit. Die bis heute nachgefragte Publikation "Die Welt ist schön" von Albert Renger-Patzsch entstand 1928.

Gesellschaft im Aufbruch

Fred Koch untersucht in sachlicher Manier einen Löwenzahn, der an ein Zahnrad erinnert Bild: Städel Museum

Unter den über 100 Fotografien der Ausstellung "Neu Sehen" im Frankfurter Städel finden sich prominente Vertreterinnen und Vertreter des Mediums wie Albert Renger-Patzsch, Erich Salomon, August Sander, Umbo, Paul Wolff oder Yva, aber auch weniger bekannte wie Carl Albiker, Karl Theodor Gremmler und Paul W. John.

Der fotografische Blick in die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen ermöglicht auch ein Porträt einer Gesellschaft im Auf- und Umbruch. 1933 bildetete eine zähe Zäsur. Jüdische Fotografen wie Erich Salomon verließen Deutschland. Der Nationalsozialismus schlachtete die Möglichkeiten der Fotografie wenig später für seine Zwecke aus. Was daraus folgte, ist hinlänglich bekannt. 

"Neu Sehen: Die Fotografie der 20er und 30er Jahre" ist vom 30.06. bis zum 24.10.2021 im Städel Museum in Frankfurt am Main zu sehen.

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