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Kunst

Wang Qingsong: Was Kommerz und Kulturrevolution eint

Sabine Peschel
19. August 2017

Der chinesische Fotokünstler Wang Qingsong präsentiert im Berliner Museum für Fotografie eine monumentale Bildinszenierung. Doch was haben seine gepinselten Werbeplakate mit der Kulturrevolution zu tun?

Berlin Ausstellung "Zeitgenössische chinesische Fotografie und die Kulturrevolution"
Wang Qingsong liebt die IronieBild: DW/S. Peschel

Wang Qingsong wurde 1966 geboren, als die Kulturrevolution gerade ausgebrochen war. Er hat sie nur als Kind miterlebt. Obwohl ihr Ende nun schon mehr als vier Jahrzehnte zurückliegt, findet der Künstler, dass China immer noch von ihr geprägt ist. "Wir neigen noch immer zu Extremen: Wir müssen unbedingt jemandem gehorchen, wir müssen uns immer hinter irgendeinem Stuhl versammeln. So werden wir erzogen. Das ist noch in allen Lebensbereichen so: bei der Arbeit, in der Bildung, unsere Wirtschaft funktioniert so. An der Oberfläche mag das anders aussehen, aber die Ideologie ist immer noch die gleiche."

Wang Qingsong hat in Berlin eine großflächige Arbeit ausgestellt. Auf dem überdimensionalen Foto ist eine Inszenierung zu sehen: Ein gutes Dutzend Menschen kleben unzählige Werbeplakate in einer riesigen Halle lückenlos aneinander. Auf ihnen hunderte Werbeanzeigen bekannter Marken: Leibniz, Dell, McDonald's - alle handgemalt und im selben Format. Was hat das mit der Kulturrevolution zu tun? "Während der Kulturrevolution hat jeder mit jedem gekämpft, um politische oder kulturelle Standpunkte", erklärt Wang. "Heute, in unserem kommerziellen Zeitalter, passiert das Gleiche nach demselben Muster. Jetzt kämpfen alle auf dem Feld der Wirtschaft, genau so wie während der Kulturrevolution. Bei uns zuhause, zum Beispiel, werden die kleinen Werbezettel, die im Treppenhaus hängen, andauernd mit neuen überklebt. Jetzt heißt das 'wirtschaftlicher Konkurrenzkampf', damals sprach man von 'Klassenkampf'. Die Art und Weise, in der man sich gegenseitig bekämpft, ist unverändert geblieben."

Ein Team von Plakatmalern hat die Werbebotschaften für Wangs Werk eigens gepinselt: Mit ihren großen Zeichen ähnelt der Stil dem von Wandzeitungen, auf denen rivalisierende Gruppen während der Kulturrevolution ihre Meinungen grell geltend machten. "Damals agitierte man mit Wandzeitungen, heute mit Werbeplakaten. Und die Auseinandersetzung wird sich immer noch ähnlicher, mit gegenseitigen Verleumdungen, bis hin zur Sabotage. Das finde ich sehr interessant."

 

Die chinesische Gesellschaft macht eine Rolle rückwärts

Wangs in Berlin gezeigtes Werk trägt den Titel "Konkurrenz". Es stammt schon aus dem Jahr 2004. Die Extreme der chinesischen Gesellschaft bleiben aber bis heute sein Thema. Das Land mit der größten Bevölkerung der Welt berufe sich auf seinen "Sozialismus mit chinesischem Antlitz". Aber was macht diese chinesische Besonderheit aus?

"Bei uns gibt es keinen Individualismus, eine Befreiung des Menschen in Hinblick auf sein Denken hat nicht stattgefunden. Diese ideologische Hinterlassenschaft der Kulturrevolution beeinflusst unsere Gesellschaft noch immer negativ. Aktuell sogar wieder stärker, unsere Gesellschaft nähert sich der Kulturrevolution immer mehr an, sie wendet sich zurück. Zwar gibt es keine tödlichen Auseinandersetzungen, aber ideologisch ist das Klima sehr angespannt. Jetzt sind die Menschen in staatlichen Betrieben und in der Verwaltung sogar wieder aufgefordert, sich gegenseitig zu kritisieren. Viele Leute wehren sich innerlich dagegen, sie haben die Kulturrevolution nicht vergessen. Trotzdem: Ich selbst habe sehr deutlich das Gefühl, dass wir in die Muster der Kulturrevolution zurückfallen."

Wang Qingsong hat nie mit seinen Eltern über ihre Erfahrungen während der Kulturrevolution gesprochen. "Daran rühren sie nicht. Was sie erlebt haben, war zu schrecklich. Alles, was ich weiß, habe ich aus Unterlagen, Material, das ich mir selbst beschafft habe." Er hat es in eine künstlerische Reflexion verwandelt.

Wang Qingsong, geb. 1966 in Daqing in der Provinz Heilongjiang, gilt als das Enfant terrible der zeitgenössischen chinesischen Fotografie. Er studierte Ölmalerei an der Kunstakademie Sichuan. Seit 1993 lebt und arbeitet er in Peking. In seinen Werken macht er sich oft über Materialismus und Kommerz lustig. Damit stellt er implizit die Frage, wohin sich die chinesische Kultur entwickelt.

Die Ausstellung "Arbeiten in Geschichte. Zeitgenössische Fotografie und die Kulturrevolution" läuft bis zum 7. Januar im Museum für Fotografie in Berlin.

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