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70 Jahre Kriegsende: "Nackt unter Wölfen"

Jochen Kürten2. Mai 2015

Auch über 50 Jahre nach ihrer Entstehung ist die Verfilmung des DDR-Romanklassikers von Bruno Apitz noch sehenswert. Und sie macht sogar einiges besser als die Neuauflage des Filmstoffs.

Filmstill Nackt unter Wölfen (Foto: Icestorm/DEFA Stiftung/W. Pathenheimer)
Bild: Icestorm/DEFA Stiftung/W. Pathenheimer

Als vor ein paar Wochen die Neuverfilmung von "Nackt unter Wölfen" im deutschen Fernsehen lief, schrieben viele Rezensenten sinngemäß, erst jetzt werde der brutale Alltag im Konzentrationslager Buchenwald deutlich. Erst mit dem neuen Film sei der Anteil, den die kommunistischen Insassen am Widerstand im KZ innehatten, auf ein realistisches Normalmaß zurechtgestutzt. Auch der Pathos und die Überhöhung antifaschistischer Motive, die Buchvorlage und Erstverfilmung noch ausstrahlten, würden nun zurückgenommen. Doch das ist nur die halbe Wahrheit.

Antifaschistische Geschichtsdeutung

Worum geht es? Der Roman "Nackt unter Wölfen" von Bruno Apitz erschien in der DDR 1958, entwickelte sich zum Bestseller und wurde Pflichtlektüre an den Schulen Ostdeutschlands. Er wurde danach in über 30 Sprachen übersetzt; in der Bundesrepublik allerdings wurde er kaum gelesen. Auch die vier Jahre später von Frank Beyer umgesetzte Verfilmung war ein Erfolg und festigte als zentraler Bestandteil antifaschistischer Geschichtsdeutung der SED den Status des Stoffs.

Einzug der Häftlinge ins KZ Buchenwald: Frank Beyers "Nackt unter Wölfen"Bild: Icestorm/DEFA Stiftung/W. Pathenheimer

Zum 70. Jahrestag des Kriegsendes wurde "Nackt unter Wölfen" nun noch einmal verfilmt. Vom selben Team übrigens, das auch schon den erfolgreichen wie umstrittenen TV-Dreiteiler "Unsere Mütter, unsere Väter" auf die deutschen Fernsehschirme brachte. Stefan Kolditz schrieb das Drehbuch, Philipp Kadelbach zeichnete für die Regie verantwortlich.

Lob für die Neuverfilmung

Die Neuverfilmung wurde überwiegend positiv aufgenommen. "Kadelbach und Kolditz gelingt mit ihrem aufwendig inszenierten Film ein wichtiges Stück Aufklärung. Nicht mehr das kommunistische Kollektiv triumphiert hier, es geht um sehr differenzierte Einzelschicksale", schrieb die "Frankfurter Allgemeine". "Die Zeit" zitiert den mit vielen Epen zur deutschen Geschichte bekannt gewordenen Fernsehproduzenten Nico Hoffmann mit dem Satz, "dass es tatsächlich die seit Jahrzehnten erste Fernsehproduktion ist, die fast ausschließlich aus der Innenwelt eines KZ erzähle." Und der evangelische Pressedienst (epd) lobte Regisseur Kadelbach für seine "überaus anrührenden und beeindruckenden Bilder".

Wie geht man mit dem gefundenen Kind um?Bild: Icestorm/DEFA Stiftung/W. Pathenheimer

Lediglich Jens Bisky kritisierte in der "Süddeutschen Zeitung", dass die Neuverfilmung statt Charaktere nur Typen zeige und auf einen "Pseudo-Realismus" setze, der nicht wirklich berühre: "Ja, die Neuverfilmung ist historisch auf dem neuesten Stand unserer Kenntnisse, aber als Film bloß TV-Konvention, gefühlssatt und gedankenarm."

Fragen nach Moral

Die Geschichte des sogenannten Buchenwaldkindes ist gut dokumentiert. Im Buch von Bruno Apitz dreht sich vieles um die Grundfrage, wie man sich in Konfliktsituationen verhalten soll - in diesem Fall unter den Bedingungen, die in einem Konzentrationslager herrschen. Schützt man den in das Lager eingeschmuggelten dreijährigen Jungen vor den KZ-Häschern und riskiert dadurch den mühsam aufgebauten Wiederstand in Buchenwald? Oder schickt man das Kind in den sicheren Tod, um eben diese Möglichkeit des Aufstandes gegen die KZ-Wächter nicht zu gefährden? Buch und Erstverfilmung griffen genau diese Fragen auf.

"Mediencoup der DDR"

Die propagandistischen Spitzen und pathetischen Überhöhungen von Buch und Film entstanden damals vor allem auf Druck der DDR-Zensurbehörden. Der Roman wurde erst vor drei Jahren mit einem ausführlichen Kommentar wiederaufgelegt. Professor Volkhard Knigge, Leiter der Gedenkstätte in Buchenwald, urteilte über die Verbreitung des Buches: "Eine riesige Propagandakampagne und der gelungenste Mediencoup der DDR."

Geschützt von den HäftlingenBild: Icestorm/DEFA Stiftung/W. Pathenheimer

Gegen Widerstände der offiziellen DDR

Apitz selbst hatte sich seinerzeit mit seiner Romanidee zunächst gar nicht durchsetzen können. Verlage und die DEFA (Deutsche Film AG), lehnten das Buch zunächst ab. Auch Frank Beyer stieß mit seinem Filmkonzept auf den Unwillen der DDR-Zensur. Erst nach einigen Verzögerungen und Änderungen erschienen Buch und Film. Beyers Kinoadaption endet beispielsweise mit dem aktiven Aufstand überwiegend kommunistischer Kämpfer gegen das KZ-Personal und nicht - wie es authentischer gewesen wäre - mit einer Befreiung durch US-Truppen. Doch blieb diese Schlusssequenz die einzig stark pathetisch überhöhte Szene im Film.

Ansonsten ist Beyers Film auch heute noch ein großartig in Szene gesetztes Werk, das mit vielen differenziert gezeichneten Charakteren (und ausgezeichneten Schauspielerleistungen) aufwartet - sowohl auf Seiten der Gefangenen als auch auf der der Faschisten. Gerade durch die karge Schwarz-Weiß-Optik dürfte auch heute noch manchem Zuschauer das Grauen des KZ-Alltags bei Beyer gegenwärtiger erscheinen als durch das aufwendig gestaltete farbige Event-Movie des Teams Kolditz/Kadelbach. Zwar setzt die Neuverfilmung auf mehr "realistische" Folterszenen, doch ist die direkte Zurschaustellung von Gewalt nicht immer das beste und eindringlichste Mittel, um einen derartigen historischen Inhalt zu vermitteln.

Bild: ICESTORM

Eine Frage der Perspektive

Wenn eine Kritikerin in der Besprechung des aktuellen Films lobend erwähnt, dass in der Neuverfilmung von "Nackt unter Wölfen" trotz der Entmystifizierung des kommunistischen Widerstandes trotzdem "die SS der Todfeind" bleibe, dann fragt man sich: Ja, wer denn sonst?

In diesem Zusammenhang sei auch daran erinnert, dass es Frank Beyer war, der dem deutschen Nachkriegsfilm zum ersten Mal ein Konzentrationslager auf der Kinoleinwand zumutete. Auf bundesdeutschen Leinwänden feierten derweil Winnetou und Old Shatterhand sowie Förster und Ulknudeln Triumphe.

So zeigen Diskussion und Einordnung der Neuverfilmung von Bruno Apitz' Romanklassiker einmal mehr: Auch 70 Jahre nach Kriegsende ist die Bewertung von Büchern und Filmen, die sich mit dem Stoff beschäftigt haben, immer noch eine Frage der Perspektive. Manche Aspekte historischer Forschung wurden in Beyers Film nicht beachtet. Da ist man 2015 natürlich weiter. Doch der Blick auf den Film von 1962 lohnt. Nicht nur, weil es die Erstverfilmung des Stoffes war, sondern auch, weil Frank Beyers Werk auch heute noch die beeindruckendere Verfilmung darstellt.

Frank Beyers Film "Nackt unter Wölfen" von 1962 entstand bei der DEFA, es wirkten unter anderem Armin Mueller-Stahl, Erwin Geschonneck, Fred Delmare und Krystyn Wójcik mit. Der Film mit einer Lauflänge von 119 Minuten ist mit Zusatzmaterial wie einem Interview mit Frank Beyer auf DVD beim Anbieter Icestorm erschienen.

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