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Literatur

Bücher in Zeiten der Digitalisierung

Sabine Peschel
14. Oktober 2017

Event Marketing, Self Publishing, Buchblogger, B2C-Marketing - der Buchmarkt ist im Umbruch. Wir fragen Leander Wattig, einen jungen Marketing-Spezialisten aus der Verlagsbranche, nach der Zukunft des Buchhandels.

Leander Wattig, Orbanism
Bild: DW/S. Peschel

Leander Wattig (37) ist studierter Verlagswirtschaftler. Er erforscht seit zehn Jahren die Buchbranche - mit besonderem Augenmerk auf den Wandel durch die Digitalisierung. Gemeinsam mit Christiane Frohmann betreibt er das Unternehmen "Orbanism" als Verlag und Veranstalter für Medien und Kultur. Seit 2008 ist er als Medien- und Tech-Blogger aktiv und berät Kulturschaffende und Verlage.

Deutsche Welle: Die Publishing-Branche differenziert sich im Zuge der Digitalisierung immer mehr aus. Was muss ich heutzutage tun, um als junge Autorin oder als Autor erfolgreich an einen Verlag zu geraten oder auf andere Weise Erfolg am Markt zu erzielen?

Leander Wattig: Wenn man starten will, ist tatsächlich die Frage: Wie baue ich mir Reichweite auf? Dann sollte ich sehr dezidiert über alle Kanäle ein Themenfeld besetzen. Natürlich kann man auch Glück haben, dass man von einem Verlag ausgewählt wird, obwohl man neu ist und wenig mitbringt, weil man eben überzeugt. Das ist der Weg, von dem wir alle träumen. Aber wenn man die Wahrscheinlichkeit erhöhen will, muss man selber für Reichweite sorgen, und dann hat man auch gute Argumente gegenüber einem Verlag.

Egal, ob ich Sachbuchthemen bearbeite, Fachbuchautor oder literarischer Autor bin, ich brauche auf jeden Fall ein Wiedererkennungsmerkmal, wenn ich auch online Erfolg haben möchte. Im Umfeld der Social Media bemerken wir immer wieder, dass gerade die Leute sich durchsetzen, die irgend etwas haben, an dem man sich festhalten kann. Schaut man sich die Bestseller an, dann stehen auch die meistens für ein größeres Thema, auf das man sich dann wiederum beziehen kann.

Offline vernetzen: Blogger-Brunch des Carlsen Verlags auf dem Orbanism Space bei der Frankfurter Buchmesse 2017Bild: Orbanism

Sie preisen an Ihrem Messestand ein "Twitterbuchmessenpicknick" an. Was passiert bei diesen Treffen jenseits der 140 Zeichen?

Da bauen sich sehr nachhaltige Beziehungen auf. Wir merken, dass wir digital über Jahre in Kontakt sein können, aber die Verbindlichkeit, die sich herstellt, wenn wir uns real, analog treffen, ist nochmal eine ganz andere. Das ist immer ein Hin und Her. Man ist online verbunden, hält die Bande, lernt auch neue Leute kennen, aber es braucht auch immer wieder das Element, dass man auch offline zusammenkommt, sich real verknüpft, und das muss immer wieder aufgefrischt werden.

Wie müssten sich die Verlage neu aufstellen?

Das Printgeschäft wird bestehen bleiben, da rede ich von der gesamten Medienbranche. Digital ist ein wichtiges Thema, aber der Bereich Event wird immer wichtiger. Die direkte Herstellung eines Kundenkontakts ist immer schwieriger zu erreichen, auch für Verlage. Der Weg über den Buchhandel wird schwerer. Es gibt einen Händler Amazon, der den direkten Kontenkontakt dominiert. Wir bemerken jetzt, dass in immer mehr Verlagshäusern Inhouse Events gemacht werden, Minikonferenzen - dieses ganze Feld ist sehr im Wachstum begriffen.

Sehen Sie den Markt für kleinere Buchhandlungen in Gefahr?

Die Tendenz im stationären Buchhandel ist ja schon über Jahre rückläufig. Insgesamt ist der Handel stark unter Druck. Wenn wir den Blick weiten auf das Handelsthema insgesamt, stellt sich die Frage: Wie sehen unsere Innenstädte künftig aus? Ich glaube aber, dass auch gerade kleinere Buchhandlungen gute Möglichkeiten haben, wenn sie sich wirklich als lokale Community-Plattform begreifen, als Anlauf- und Vernetzungspunkt. Dann, glaube ich, hat man gute Möglichkeiten, sofern man sich davon löst, nur Bücher zu verkaufen. Man muss sich fragen, was brauchen die Leute im unmittelbaren Umfeld insgesamt? Ich kenne das aus Berlin, dass kleine Buchhandlungen in dieser Hinsicht einen superguten Job machen. Ich denke, dass sich eher mittlere Buchhandlungen schwertun, die ein sehr gemischtes Sortiment haben, bei dem man vor Ort wenig Mehrwert erwartet, wenn man hinein geht. Da ist tatsächlich das Internet eine Gefahr.

Sich offline zu vernetzen, sich aufgehoben zu fühlen in einer Gemeinschaft, Anlaufpunkte vor Ort zu haben, wird immer wichtiger. Viele Buchhandlungen tun sich damit noch schwer. Sie definieren sich noch stark über das klassische "Ich verkaufe ein Buch". Es gilt, immer mehr nach draußen zu gehen und die Leute einzubinden.

Autoren verdienen anteilmäßig immer weniger mit dem direkten Verkauf ihrer Bücher, statt dessen mehr durch Lesungen und andere Formen von Veranstaltungen. Für die Veranstalter sind die Events relativ teuer durch Honorare, die oft mehr als 600 Euro betragen, Reisekosten und anderes. Kleinere Buchhandlungen können sich das nicht mehr leisten.

Digitale Bücher: Die ersten E-Reader kamen vor zehn Jahren auf den MarktBild: picture-alliance

Natürlich ist das, wenn man jetzt an mittlere und kleinere Städte denkt, herausfordernd. Aber ich glaube, dass viele Möglichkeiten noch nicht ausgeschöpft sind. Im Bereich der Veranstaltungen haben sich innovativere Formate bisher selten durchgesetzt. Das meiste sind immer noch eher Wasserglaslesungen, bei denen die Händler dann auch Bücher verkaufen können.

Als Blogger bin ich von Anfang an auch in der Tech-Szene unterwegs gewesen und habe begleitet, was dort diskutiert wird. Wir sehen, dass die Innenstädte sich schon stark wandeln. Es entstehen immer mehr Pop-up-Strukturen. Und die Frage ist dann tatsächlich: Gibt es für dieses ganz klassische Buchhändler-Modell, wie wir das bisher kennen, künftig noch einen Bedarf? Wenn wir von der Logik her denken, die sich im Internet durchsetzt, dann sieht es eher so aus, dass ich dort ein Thema besetze, dort die maximale Reputation und Glaubwürdigkeit habe und dann alle möglichen Dinge machen kann - und eben auch Bücher empfehlen.

Jeder Blogger, den ich kenne, empfiehlt und verkauft auch Bücher, weil er durch das jahrelange Bloggen zu einem bestimmten Thema ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit erworben hat, auch, wenn es darum geht, ein Buch zu empfehlen. Jeder Tech-Blogger, jeder E-Commerce-Blogger empfiehlt auch Bücher. In diesem Sinne sind sie auch Buchhändler. Wenn ich von dieser Netzdenke her komme und in eine Buchhandlung gehe, dann ist es gar nicht glaubwürdig, dass ich die beste Empfehlung von dem Buchhändler vor Ort bekomme, weil er sich mit den zehntausend Themen, die er vertritt, gar nicht gut auskennen kann. Ich möchte keine Grabesrede halten, aber das ist ein Faktor, warum dieses Modell immer stärker unter Druck gerät.

Von den Verlagen werden die Buchblogger inzwischen gut bedient. Welche Funktion haben sie für den Buchmarkt?

Sie sind ein ganz wichtiges Element, wenn es darum geht, Aufmerksamkeit herzustellen. Wenn wir es mit anderen Ländern vergleichen, ist das Feld in Deutschland noch nicht sehr entwickelt. Wir haben bisher wenige Buchblogs, die eine richtig große Reichweite haben. Das wächst langsam - man wünschte sich, es passierte schneller. Viele dieser Buchblogger denken auch zu wenig unternehmerisch. Da werden nach eigenem Gustus Bücher besprochen, und dann besteht die Hoffnung, dass von irgendwoher Geld kommt. Das wird schwerlich so passieren. Das ganze Feld ist auch insofern unterentwickelt, als es noch kaum Geschäftsmodelle gibt.

Ich habe gerade mit einem brasilianischen Kollegen gesprochen, dort hat man schon Booktuber mit riesigen Reichweiten. Die gehen da schon sehr technologisch an die Kooperation heran. In Deutschland ist das Modell bisher, die kriegen ein Buch gratis, und dafür bekommt man eine Rezension. Auch verlagsseitig ist das noch nicht ausgereift. Random House hat eine eigene Plattform für Buchblogger, aber auch noch sehr rudimentär. Wenn das Feld ernst zu nehmen sein soll, dann muss es sich insgesamt noch entwickeln. Denn am Ende geht es ja auch darum, ob das eine Ergänzung zu der klassischen Kritik sein kann.

Gibt es noch keine Buchblogger oder Booktuber, die sich einen herausragenden Namen gemacht hätten?

Erfolgreiche Buchblogger wie Karla Paul werden für die Verlage immer wichtigerBild: picture-alliance/dpa/J.Woitas

Es gibt einzelne Figuren wie die Buchbloggerin Karla Paul, die schon relevante Reichweiten haben. Es gibt genug Beispiele an Bloggern, die auch wirtschaftlich erfolgreich sind. Wir müssen nur an die ganzen in Influenzer im Bereich Instagram etc. denken. Die besetzen dann aber auch Themen, so wie ich es eingangs erwähnt habe. Und wenn mein Thema Bücher sind, und dann auch noch querbeet, werde ich mich immer schwertun, eine große Reichweite aufzubauen. Man lästert ja manchmal in der Branche, dass die Buchblogger so viele Leser haben, wie es auch Blogger gibt - was ein bisschen gemein ist.

Lassen Sie uns noch einmal auf das Geschäftsmodell von Autoren zurückkommen. Wir haben davon gesprochen, dass bekannte Autoren immer mehr Einkommen durch Auftritte erwirtschaften, oder durch Zweitvermarktung durch Filme oder auch Audios – die Frankfurter Buchmesse bietet dem auch schon eine große Plattform. Fürchten Sie nicht, dass die unbekannteren Autoren auf der Strecke bleiben? Die Veranstalter geben für unbekannte Autoren kein oder wenig Geld aus.

Ich glaube, wir reden da über ein Feld, das noch wenig entwickelt ist. Da ist es schwer, allgemeine Aussagen zu treffen. Es wird oft romantisiert, was Autoren verdienen.

Wenn man sich die Zahlen der Künstlersozialkasse anschaut, dann reden wir bei professionellen Autoren von Summen weit unter 20.000 € im Jahr. Das ist eigentlich schon eine Katastrophe. Die wenigsten Verlage begreifen bisher das Event-Thema als Geschäftsmodell.

Welche Rolle spielt das Self Publishing?

Self Publishing, die Alternative zu traditionellen VerlagenBild: picture-alliance/dpa/A.Dedert

Es entsteht natürlich eine Menge Schund, das ist klar. Wenn jeder ins Internet schreiben kann, ist die Qualität geringer. Aber in Summe bekommen wir mehr Gutes. Und vor allem: Die Autoren können experimentieren. Man kann auch jenseits der Themen, die in klassischen Verlagen gespielt werden, neue Publikationsformen und neue Themen ausprobieren.

Gibt es da schon einen funktionierenden Markt, der Einkünfte für die Autoren kreiert?

Es gibt in Deutschland schon Hunderte Autoren die vom Self Publishing leben können. Langfristig wird es so sein, dass der Self Publishing-Bereich größer sein wird als der der Verlage.

Eine gewagte Vorhersage!

Ich meine, von den Einkünften her. Verlage stehen für eine gewisse Qualitätsverbesserung. Die meisten Autoren, die künftig auch bei Verlagen schreiben, werden im Self Publishing angefangen haben. Das sehen wir teilweise jetzt schon. Wir reden inzwischen auch nicht mehr über Self Publishing-Autoren per se, sondern über Hybrid-Autoren. Man bedient sich je nach Publikationsvorhaben des geeigneten Kanals. Auch Poppy J. Anderson, die erfolgreichste Self Publishing-Autorin in Deutschland, ist inzwischen natürlich ebenso Verlagsautorin.

So funktioniert es auch heute schon: Man fängt mit einem YouTube Kanal an und landet irgendwann im Fernsehen. Man fängt mit dem Self Publishing an, und landet irgendwann beim Verlag. Das ist der natürliche Einstieg. Wenn man dann zum Verlag kommt, kann man schon eine Reichweite vorweisen, weil man schon viele Leser mitbringt. Und man hat auch schon sein Schreibhandwerk erprobt, denn Self Publishing heißt ja nicht automatisch, dass etwas Schund ist. Man kann sich auch dort einen Lektor oder eine andere Form der Unterstützung dazu nehmen.

Der Virenschleuderpreis startet jetzt neu als Orbanism Award. Können Sie mir bitte beide Namen erklären?

Poppy J. Anderson ist die erste Self Publisherin in Deutschland, die über eine Million E-Books verkauft hatBild: picture-alliance/dpa/H.Galuschka

Der Virenschleuderpreis ist als Spaßprojekt entstanden. Wir wollten einen Marketing-Preis starten. Ich habe 2010 eine Vorlesungsreihe an der HTWK (Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur) Leipzig organisiert. Da trug ein Verleger vor, der seine Mitarbeiterin immer liebevoll "die Virenschleuder" nannte. Und da wir einen Preis initiieren wollten, der nicht so super ernst daherkommt, war die Idee: Warum nennen wir ihn nicht Virenschleuderpreis? Dann hat sich das verselbstständigt und ist seit 2011 immer größer geworden. Der Unterschied zu anderen Preisen ist, dass jede Nominierung veröffentlicht wird. Dadurch entsteht ein Austausch. Man kann andere Erfahrungen nachlesen. Die Grundidee ist: Wir wissen alle nicht, wo die Reise im Bereich des Marketings hingeht. Das Beste, was wir tun können, ist, von den Erfahrungen der anderen zu lernen.

In diesem Jahr gab es die Umbenennung in Orbanism Award. "Orbanism" ist eine Wortbildung aus Urbanism - das Lokale, und Orbis - Weltlauf. Das ist genau die Idee, das Globale mit dem Lokalen zu verbinden – was die Grundidee des Internets ist. Dass wir ständig mit der ganzen Welt vernetzt sind, aber dann doch auch wieder den lokalen Raum entdecken. Was ja bis hin zum Politischen gesehen, immer wichtiger wird. Die Menschen versuchen jetzt immer mehr, Anhaltspunkte im unmittelbaren Umfeld zu finden, um in dieser immer beschleunigten Welt wieder einen Ankerpunkt zu haben.

Der Preis wird für Live Marketing vergeben. Was habe ich mir darunter vorzustellen?

Ja, das ist neudeutsch, vielleicht ein schreckliches Wort. Im Prinzip geht es um das Marketing-Thema, etwas mehr als in den Anfängen mit dem Fokus Veranstaltungen. Deswegen gibt es am Freitagabend die Preisverleihung  in Form eines Konzerts, als richtiges Event. Die Preise werden natürlich auch übergeben. Aber das wird nicht feierlich, sondern wieder eine Plattform, wo man sich einfach austauschen kann, einen Anlaufpunkt hat zum Kennenlernen - und um eine gute Zeit zu haben.

Das Gespräch führte Sabine Peschel

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