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Politik

Wohin will Frankreich?

23. April 2017

Die Franzosen haben ihre Stimme bei der ersten Runde der Präsidentenwahl abgegeben. Viele haben sich erst in letzter Minute in der Wahlkabine entschieden. Von Lisa Louis, Paris.

Frankreich Wahlen
Bild: picture alliance/newscom

Man könnte meinen, es sei ein Sonntag wie jeder andere. Auf den Straßen um das Viertel Châtelet im Zentrum von Paris ist es ruhig, nur wenige Passanten sind unterwegs - die meisten von ihnen Touristen.

Doch dies ist kein gewöhnlicher Tag. Der heutige Sonntag könnte entscheidend sein für die Zukunft des Landes - und vielleicht auch Europas. Denn die Franzosen müssen eine Vorentscheidung treffen zwischen Populisten und Mainstream-Kandidaten, zwischen Europagegnern und -befürwortern.

Im Rathaus des dritten Arrondissements stehen die Wähler am Morgen schon Schlange. Unter ihnen ist die 27-jährige Orane Murail: "Das ist wirklich keine leichte Wahl", sagt sie. "Keiner der Kandidaten hat mich vollkommen überzeugt. Hinzu kommt, dass der Wahlkampf von so vielen Skandalen überschattet war."

Vor einem Wahllokal im 16. Arrondissement in Paris stehen die Menschen SchlangeBild: DW/L.Louis

So wurde gegen den konservativen Kandidaten François Fillon während der Kampagne ein Verfahren eröffnet. Er soll seiner Frau und seinen Kindern Staatsgelder gezahlt haben, obwohl die mutmaßlich nie für ihn gearbeitet haben. Und Marine Le Pen vom rechtsextremen Front National steht unter Verdacht, Mitarbeiter auf Scheinjobs mit EU-Geldern bezahlt zu haben. "Solche Leute können doch nicht Präsident werden - wie soll so einer oder so eine den Bürgern erklären können, dass sie arbeiten müssen, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln, während er oder sie selbst korrupt ist?", fragt die Musikstudentin Murail. 

"Diese Wahl ist unglaublich!"

Bisher noch nicht ins Wahllokal geschafft haben es Christophe, 49, und Thierry, 50. Der Unternehmensberater und der Anwalt sitzen in einem Café ein paar Straßen weiter. "Diese Wahl ist wirklich unglaublich", sagt Christophe, der sich seit einem Jahr in Macrons neuer Partei "En Marche!" (Auf geht's!) engagiert.

"Wir müssen uns diesmal entscheiden zwischen zwei Arten von Gesellschaft - einer protektionistischen oder einer weltoffenen. Und es ist wichtig, dass der Gewinner - sollte er denn, wie ich hoffe, kein Populist sein - es schafft, die Gesellschaft grundlegend zu reformieren." So müssten seiner Meinung nach endlich die Teile der Bevölkerung, die sich abgehängt fühlten und deswegen zu den radikalen Parteien tendierten, wieder miteinbezogen werden. "Sonst haben wir in fünf Jahren ganz sicher eine Präsidentin Le Pen", sagt Christophe. Macrons Vorschlag, mehr Geld in Ausbildung zu investieren, sei da genau richtig, meint er.

Christophe (links) und Thierry (rechts) wählen beide Emmanuel MacronBild: DW/L.Louis

Christophe findet es unglaublich, dass sich auch so viele junge Leute zu radikalen Parteien hingezogen fühlen - unter Jugendlichen ist der Front National die erste Partei. "Ich habe mit Leuten zusammengearbeitet, die damals an den Schumann-Verträgen zur Gründung der Europäischen Union mitgearbeitet haben", meint er. "Aber heute kann die Jugend damit teilweise gar nichts mehr anfangen." Sein Freund Thierry ist seiner Meinung. "Wir brauchen die EU - auch in Zukunft. Und es ist wirklich schade, dass die französischen Politiker das nicht besser rüberbringen. Sie lästern immer nur über die Staatengemeinschaft, als ob die an allem schuld sei", sagt er, steht auf und fügt hinzu: "Ich geh' jetzt wählen."

30 Prozent Unentschlossene

Ein wenig weiter Richtung Westen drängen sich wie jeden Sonntag die Menschen auf dem Markt an der Bastille, auch Brigitte G. schlendert durch die Reihen. Die 59-jährige Ärztin weiß auch jetzt noch nicht, für wen sie stimmen soll. "Es wird entweder Benoît Hamon von den Sozialisten oder aber Mélenchon", sagt sie und fügt lachend hinzu, dass die Entscheidung wohl erst in der Wahlkabine fallen wird. Damit ist sie nicht alleine: Rund ein Drittel der Franzosen wussten bis kurz vor der Wahl nicht, wo sie ihr Kreuzchen machen sollten.

Viele Franzosen wollen erst in der Kabine eine Entscheidung treffenBild: Getty Images/AFP/C. Triballeau

Unter dem Arm geklemmt hat sich die Ärztin die Sonntagszeitung 'Journal du Dimanche'. "Votez!" steht auf dem Titelblatt - "Geht wählen!". Laut Prognosen sollte die Wahlbeteiligung an diesem Sonntag so niedrig wie noch nie werden. Mehr als ein Drittel der Franzosen würden wahrscheinlich nicht wählen gehen, war die Befürchtung. Die ersten Prognosen zur Wahlbeteiligung am Nachmittag bestätigen das bisher nicht. 

Und auch die langen Schlangen vor dem Gymnasium Petit Lycée Janson de Sailly im noblen 16. Arrondissement der Hauptstadt strafen diese Zahlen Lügen. "Ich wähle schon seit 1974 in dieser Schule, und noch nie war so viel Andrang," sagt Michel Berthier. Der 77-Jährige hofft darauf, dass Fillon die Wahl gewinnt. "Er ist der Einzige, der wenigstens plant, dieses Land wieder in den Griff zu bekommen", findet er und spricht von allmächtigen Interessengruppen wie den Richtern und Gewerkschaften. Wie viele in der Hauptstadt beobachtet der Rentner mit Sorge, dass die radikalen Parteien so viel Zulauf haben. "Das ist wirklich erschreckend, und ihr Sieg wäre für das Land ein Desaster", sagt er.

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