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PolitikFrankreich

"Neue Ära": Frankreich will Jugend zur Armee locken

Andreas Noll
25. November 2025

Für die Auseinandersetzung mit Russland fordert Frankreichs Generalstabschef Mandon mehr Opferbereitschaft der Gesellschaft. Präsident Macron plant derweil einen freiwilligen Militärdienst für mehr Wehrhaftigkeit.

 Französische Fallschirmjäger im Manöver
Kommt nach der Übungs bald der Ernstfall: Französische Fallschirmjäger im ManöverBild: Lionel Bonaventure/AFP/Getty Images

Welche Opfer könnte Frankreich in einer möglichen Konfrontation des Westens mit Russland bringen? Wer bisher nur an finanzielle Beiträge dachte, wurde in der vergangenen Woche vom neuen Generalstabschef eines Besseren belehrt. Vor Hunderten Bürgermeistern sagte General Fabien Mandon, Russland bereite sich auf eine Auseinandersetzung mit dem Westen bis 2030 vor. "Wenn unser Land schwächelt, weil es nicht bereit ist, seine Kinder zu verlieren, wirtschaftlich zu leiden oder die Dinge beim Namen zu nennen, dann sind wir in Gefahr", warnte Frankreichs ranghöchster Soldat.

Verlangt Opferbereitschaft seiner Landsleute: Generalstabschef General Fabien MandonBild: Benoit Tessier/REUTERS

Die Mahnung des Generals zur Opferbereitschaft quittierten einige Oppositionspolitiker mit Empörung. Dabei spitzte Mandon lediglich ein Ziel zu, auf das die französische Regierung schon lange hinarbeitet. Staatspräsident Emmanuel Macron warnt vor der größten Bedrohung Frankreichs seit 1945. Vom Risiko eines "großen Krieges hoher Intensität" in Europa noch in diesem Jahrzehnt ist von Regierungspolitikern immer wieder zu hören. In der im Sommer verabschiedeten neue Sicherheitsstrategie des Landes heißt es, Frankreich trete "in eine neue Ära" ein. 

Zwischen Alarmismus und Vorbereitung

Unter Fachleuten herrscht allerdings Einigkeit, dass die französischen Streitkräfte derzeit nicht ausreichend auf dieses Szenario vorbereitet sind. Es fehlt an Personal und Ausrüstung. Trotz hoher Staatsverschuldung hat Frankreich daher eine deutliche Aufrüstung beschlossen. Lag das Verteidigungsbudget bei Macrons Amtsantritt 2017 noch bei gut 30 Milliarden Euro, soll es bis 2027 mehr als verdoppelt werden: auf 67 Milliarden Euro. 

Die Milliarden fließen nicht nur in neue Waffen. Auch die Berufsarmee, die derzeit rund 200.000 aktive Soldatinnen und Soldaten zählt, soll wachsen. Die Zahl der einsatzbereiten Reservisten ist bereits von etwa 28.000 im Jahr 2014 auf mehr als 47.000 im Jahr 2025 gestiegen; bis 2035 könnten es 105.000 werden. Dieser Ausbau erfolgt unabhängig von der ausgesetzten Wehrpflicht, deren Rückkehr Macron ausgeschlossen hat - aus politischen wie organisatorischen Gründen. Es bleibt bei einer Berufsarmee in Frankreich, aber der Präsident sucht einen Mittelweg. 

Freiwilligendienst 2.0

Medienberichten zufolge will Macron noch in dieser Woche einen neuen, bezahlten Freiwilligendienst ("service militaire volontaire") ankündigen. Anvisierter Starttermin: 2026. Den noch unbestätigten Planungen zufolge könnten in wenigen Monaten bereits die ersten 3000 jungen Menschen zur Ausbildung in die Kasernen einrücken. Bis 2030 soll ihre Zahl auf 10.000 und dann auf 50.000 jährlich anwachsen. 

Unter Soldaten: Oberbefehlshaber Emmanuel MacronBild: Ludovic Marin/AFP

Der neue, bezahlte Dienst (von 900-1000 Euro pro Monat ist die Rede) ist offenbar auf 10 Monate ausgerichtet und richtet sich an junge Französinnen und Franzosen um die 18 Jahre. Gemeinsames militärisches Training unterschiedlicher sozialer Gruppen soll den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die nationale Identität stärken. Offiziell wird das Projekt mit dem Ziel begründet, die "Kohäsion der Nation" zu festigen. Vermittelt werden sollen neben militärischen Fähigkeiten Werte wie Disziplin, Teamgeist und Patriotismus.

Militärische Ausbildung

Treffen die Informationen zu, die aktuell unter Parlamentariern kursieren, werden die Freiwilligen nach ihrer militärischen Ausbildung ausschließlich im Inland eingesetzt. Dort könnten sie zum Beispiel jene Berufssoldaten entlasten, die seit Jahren im Rahmen der "Opération Sentinelle" in Innenstädten, Bahnhöfen und Flughäfen patrouillieren. 

Im Stadtbild sind die Soldaten durch die "Operation Sentinelle" seit Jahren präsentBild: Loic Venance/AFP

Nach ihrem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst könnten die ausgebildeten Freiwilligen den Streitkräften als Reservisten zur Verfügung stehen und auf diese Weise die Aufwuchsfähigkeit der Streitkräfte verbessern. Die freiwillige Mobilisierung eines Teils eines Jahrgangs könne dazu beitragen, den Bedarf an jener "Masse" zu decken, die notwendig ist, um im Falle eines Konflikts langfristig bestehen zu können, sagte General Pierre Schill, der Stabschef der französischen Landstreitkräfte, in diesem Sommer.

Zustimmung aus der Opposition

Anders als bei den Haushaltsverhandlungen, bei denen Regierung und Opposition bislang nicht zueinander finden, stößt ein freiwilliger Wehrdienst auf breitere Zustimmung. "Wenn 10 Prozent der 50.000 Freiwilligen pro Jahr in den Streitkräften bleiben, verfügt die Armee bereits über ein Reservoir von 5000 relativ gut vorbereiteten Personen", kommentierte der konservative Politiker Cédric Perrin von Les Républicains, der dem Senatsausschuss für Auswärtiges und Verteidigung vorsitzt, in der Zeitung "La Tribune". 

Auch Jordan Bardella, Chef des rechtsnationalen Rassemblement National (RN), unterstützt das von Macron bereits im Sommer skizzierte Projekt. Der derzeit in Frankreich populärste Politiker sieht in dem Freiwilligendienst allerdings nur einen ersten Schritt hin zu einer Wiedereinführung der Wehrpflicht, die 1997 unter Staatspräsident Jacques Chirac ausgesetzt wurde. Deutlich zurückhaltender fallen die Reaktionen auf der linken Seite des politischen Spektrums aus.

Keine Neuerfindung

Der Aufbau eines Freiwilligendienstes zählte schon lange vor dem russischen Überfall auf die Ukraine zu den Herzensprojekten des Präsidenten. Zwei Jahre nach seinem ersten Wahlsieg wurde 2019 der Allgemeine Nationaldienst SNU (kurz für: "Service National Universel") für Minderjährige im Alter zwischen 15 und 17 Jahren ins Leben gerufen. Mit Staatsbürgerkunde, Fahnenappell, Sport und Uniformpflicht erinnert das Programm zwar entfernt an eine militärische Grundausbildung. Es ist aber zivil ausgerichtet und soll den Zusammenhalt der Gesellschaft fördern. Wer möchte, kann allerdings im Anschluss an das Kernprogramm freiwillig einen militärischen Abschnitt absolvieren.

Einheitlicher Auftritt: Junge SNU-Freiwillige bei Gedenkzeremonie zum 18. JuniBild: Durand Thibaut/ABACA/IMAGO

Richtig erfolgreich war der SNU, der im Kern aus einem zweiwöchigen Teambuilding-Praktikum besteht, aber nicht. Vor einem Jahr bemängelte der Rechnungshof unter anderem, dass das Programm mit rund 40.000 Teilnehmern nur einen Bruchteil der anvisierten Jahrgänge mobilisiert hat, weit unter den angestrebten Zahlen. Entsprechend wurde die Finanzierung des Programms immer weiter beschnitten. Zuletzt hat Premierminister Sebastien Lecornu das Aus des SNU für das kommende Jahr angekündigt.

Voraussetzung für den Führerschein

Auch wenn vor allem die finanziellen Fragen noch heikel werden könnten, dürfte der neue freiwillige Militärdienst bessere Erfolgsaussichten haben als der SNU. Anders als das pädagogisch aufgeladene Jugendprogramm verfolgt er einen klaren militärischen Zweck. Die Zielgruppe ist älter und motivierter, der Dienst wird bezahlt, und die Armee genießt in Frankreich traditionell hohe Sympathiewerte. Zudem ist die sicherheitspolitische Lage deutlich ernster. 

Hohe Zustimmungswerte: die Franzosen vertrauen ihren StreitrkräftenBild: Christophe Ena/AP/picture alliance

Informationen über den neuen Freiwilligendienst werden die Jugendlichen zwangsläufig erreichen. Nach der Aussetzung der Wehrpflicht wurde der "Tag der Verteidigung und Staatsbürgerschaft" (journée défense et citoyenneté) eingeführt, bei dem sich die Streitkräfte allen jungen Französinnen und Franzosen präsentieren. Dieser Pflichttermin für 16- bis 25-Jährige ist Voraussetzung für den Erwerb eines Führerscheins in Frankreich.