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PolitikFrankreich

Frankreich: Geht der Wahlsieger in die Opposition?

Andreas Noll
19. Juli 2024

Die Neue Volksfront sieht sich als Sieger der Parlamentswahl. Doch die ersten Abstimmungen in der neuen Nationalversammlung endeten für das Linksbündnis mit einer Niederlage. Präsident Macron darf sich bestätigt fühlen.

Blick in den Plenarsaal der neuen französischen Nationalversammlung
Parlament ohne Mehrheit? Bild: Telmo Pinto/NurPhoto/picture alliance

Wenige Tage nach seinem 74. Geburtstag sollte die Wahl André Chassaignes zum Präsidenten der Nationalversammlung die Karriere des Kommunisten krönen. Das Linksbündnis Neue Volksfront (NFP) aus Sozialisten, Kommunisten, Grünen und der radikalen Linkspartei La France Insoumise (LFI) hatte den Politiker aus der Provinz überraschend als gemeinsamen Kandidaten für das vierthöchste Staatsamt nominiert. 

Wollte erster kommunistischer Parlamentspräsident der französischen Geschichte werden: André Chassaigne vom Linksbündnis NFPBild: Gonzalo Fuentes/REUTERS

Doch nach der Abstimmung am Donnerstag steht die Volksfront, Überraschungssieger der Parlamentswahlen Anfang Juli, mit leeren Händen da. Im entscheidenden dritten Wahlgang erhielt die bisherige Parlamentspräsidentin Yaël Braun-Pivet 13 Stimmen mehr als Chassaigne. Der Traum vom ersten kommunistischen Parlamentspräsidenten in der Geschichte Frankreichs war geplatzt.

Mehr als ein repräsentatives Amt

Die komplizierte Mehrheitsfindung in der neu gewählten Nationalversammlung wird die politische Entwicklung Frankreichs in den kommenden Monaten bestimmen. Da das Präsidentenbündnis Ensemble mit 163 Abgeordneten nicht einmal über eine relative Mehrheit verfügt (absolute Mehrheit: 289 Abgeordnete), muss der Präsident mit dem politischen Gegner regieren. Ein Teil der Macht ist vom Élysée-Palast in die Nationalversammlung gewandert. Entsprechend umkämpft sind nun die Personalentscheidungen.

Trotz Wahlniederlage ihrer Partei bekommt Yaël Braun-Pivet eine weitere Amtszeit als ParlamentspräsidentinBild: Henri Szwarc/Xinhua/picture alliance

Der Parlamentspräsident hat nicht nur repräsentative Aufgaben, sondern leitet auch die Debatten und kann umstrittene Gesetzesvorhaben an den Verfassungsrat verweisen. Sogar auf dessen Zusammensetzung hat er Einfluss, denn er bestimmt ein Mitglied  - ebenso wie drei Mitglieder der Justizaufsichtsbehörde. Mit Braun-Pivet aus dem Präsidentenlager wird auch in den kommenden Jahren eine Vertraute Macrons diese wichtige parlamentarische Schaltstelle besetzen - obwohl ihre Partei bei den Wahlen abgestraft wurde.

Unregierbare Republik

Mit drei fast gleich großen politischen Blöcken im Parlament - und ohne Erfahrung in der Koalitionsbildung - gilt Frankreich vielen Beobachtern als unregierbar. Die meisten Abgeordneten in der Nationalversammlung stellt die Neue Volksfront, dicht gefolgt von Macrons Parteienbündnis Ensemble und dem rechtspopulistischen Rassemblement National (RN), das mit Teilen der bürgerlichen Les Républicains (LR) verbündet ist. Eine Absprache mit dem anderen Teil der LR genügte Macrons Truppe für Braun-Pivets Triumph.

Nach weiteren Personalabstimmungen im Parlament am Freitag richtet sich der Blick nun auf die Wahl des neuen Regierungschefs. In der nun stärker parlamentarisch orientierten Republik wird der Premierminister zum entscheidenden Machtfaktor, während er in "normalen Zeiten" vor allem den Willen des Präsidenten in praktische Politik umsetzt.

Wer wird neuer Regierungschef?

Bei der Ernennung eines neuen Premierministers muss der Staatspräsident die Kräfteverhältnisse im Parlament berücksichtigen, ist aber nicht an Fristen gebunden. Macron könnte das Ende der Olympischen Spiele abwarten - auch wenn die zurückgetretene Regierung von Premierminister Gabriel Attal nur noch die laufenden Geschäfte führen darf.

Sozialisten, Grüne und Kommunisten haben die französischen Ökonomin Laurence Tubiana für das Amt des Premierministers vorgeschlagenBild: WIktor Szymanowicz/NurPhoto/picture alliance

 

Als stärkstes Bündnis im Parlament fordert die Neue Volksfront seit dem Wahlabend einen Premierminister aus ihren Reihen. In dieser Woche wurde die linke Ökonomin Laurence Tubiana als Kandidatin bestimmt. Tubiana hat sich als französische Chef-Architektin für das Pariser Klimaabkommen 2015 einen Namen gemacht und verfügt über einen guten Draht zu Präsident Macron. Doch mit La France Insoumise lehnt ausgerechnet die stärkste Fraktion der NFP die promovierte Wirtschaftswissenschaftlerin ab und fordert einen Kandidaten von LFI. Einer zerstrittenen Linken wird Macron aber sicher nicht die Macht übertragen.

Macrons Rechnung könnte aufgehen

Stattdessen könnte sich das Mitte-rechts-Bündnis aus Konservativen und Präsidentenlager in den kommenden Wochen auch auf konkrete Vorhaben für die kommenden Monate einigen. Für Macron hätte dies den Vorteil, dass zentrale Errungenschaften seiner Amtszeit wie die Rentenreform unangetastet blieben. Die Rechtspopulisten und die Volksfront wollen diese rückgängig machen.

Wie lange belässt Präsident Macron seinen Premierminister Attal noch im Amt?Bild: Louise Delmotte/AP Photo/picture alliance

Offen ist, wen der Präsident in dieser Koalition zum Premierminister ernennen könnte. Einen Regierungschef aus den Reihen der Konservativen hat deren neuer Fraktionsvorsitzender Laurent Wauquiez kategorisch ausgeschlossen - ebenso eine reguläre Koalition nach deutschem Vorbild. Mit ihrer relativen Stimmenmehrheit könnte das Mitte-Rechts-Bündnis dennoch wichtige Gesetzesvorhaben durch das Parlament bringen. Solange sich Rassemblement National und Front Populaire bei Abstimmungen nicht verbünden.

Was wird aus dem RN?

Der RN hält sich vorerst bedeckt. Auch die Partei von Marine Le Pen darf sich als Wahlsiegerin fühlen. Mit über 10 Millionen Stimmen konnte sie mehr Wähler auf sich vereinen als die Volksfront oder das Präsidentenlager. Dass der RN dennoch lediglich drittstärkste Kraft im Parlament ist, liegt am Mehrheitswahlrecht und der so genannten Republikanischen Front, in der sich alle anderen Parteien gegen den RN verbündet haben. Die Brandmauer gegen den RN bleibt zumindest auch symbolisch nach der Abstimmung bestehen. Einem jungen RN-Abgeordneten der Wahlkommission verweigerten viele Kollegen demonstrativ den Handschlag.

In der Realität ist die Partei von Marine Le Pen aber längst nicht mehr so isoliert. Kürzlich wurde bekannt, dass Vertreter des Präsidentenlagers schon vor Monaten Gespräche mit Le Pen geführt haben. In einem erstarkten Parlament könnten die Rechtspopulisten durchaus Interesse daran haben, eine Mitte-rechts-Regierung nicht gleich wieder durch ein Misstrauensvotum zu stürzen. Die linke Volksfront ohne Einfluss in der Opposition schmoren zu lassen, dürfte für Le Pen und RN-Parteichef Jordan Bardella eine verlockende Aussicht sein.

Nach außen gibt sich die Volksfront indes kämpferisch: "Wir haben eine Schlacht verloren, aber nicht den Krieg", zitierte Grünen-Chefin Marine Tondelier nach der schmerzhaften Abstimmungsniederlage im Parlament Republikgründer Charles de Gaulle.