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KriminalitätFrankreich

Frankreich: Gericht klärt Mitverantwortung im Paty-Mord

Lisa Louis
3. November 2024

Vier Jahre nach dem Mord an Geschichtslehrer Samuel Paty stehen acht Erwachsene vor Gericht. Der Prozess klärt, ab wann eine Mitverantwortung für solche Straftaten beginnt.

Frankreich Attentat l Jahrestag der Ermordung des Lehrers Samuel Paty
Geschichtslehrer Samuel Paty war im Oktober 2020 in Frankreich ermordet wordenBild: Alain Jocard/AFP/Getty Images

Am 16. Oktober 2020 erschütterte ein grausamer Mord ganz Frankreich: Im Pariser Vorort Conflans-Sainte-Honorine stach ein 18-jähriger Tschetschene den Geschichtslehrer Samuel Paty nieder und schlug ihm den Kopf ab. Zuvor hatte Paty in seiner Klasse über Meinungsfreiheit debattieren wollen und dazu auch Karikaturen des islamischen Propheten Mohammed gezeigt. Diese hatte das Satire-Magazin Charlie Hebdo veröffentlicht, in dessen Redaktion und Umgebung zwei Terroristen im Januar 2015 zwölf Menschen töteten. Sie wollten, genauso wie Patys Mörder, "den Propheten rächen". Der 18-Jährige wurde kurz nach seiner Tat von der französischen Polizei erschossen. Ende 2023 verurteilte ein Pariser Gericht sechs Minderjährige für ihre Rolle bei dem Anschlag zu bis zu zwei Jahren Gefängnis, größtenteils auf Bewährung. Nun stehen acht Erwachsene vor Gericht, auch wegen einer möglichen Mittäterschaft. 

Das Attentat an Paty erschütterte ganz FrankreichBild: Michael Bunel/LexPictorium/Imago Images

Zwei Männern droht lebenslänglich. Die angeblichen Komplizen sollen dem Attentäter beim Kauf von Waffen geholfen oder ihn zum Tatort gefahren haben. Fünf weitere Männer und eine Frau werden beschuldigt, Teil einer Terror-Gruppierung gewesen zu sein – was bis zu 30 Jahre Gefängnis nach sich ziehen kann. Sie sollen den Täter ermutigt oder geplant haben, sich in Syrien der Terrororganisation "Islamischer Staat" anzuschließen. Unter ihnen ist der Vater eines Mädchens, das behauptete, Paty habe muslimische Schüler, also auch sie, gebeten, den Raum zu verlassen, bevor er die Karikaturen zeigte. Doch das Mädchen hatte gelogen. Sie war bereits zuvor vom Unterricht suspendiert worden und hatte eine Ausrede gesucht, warum sie dem Unterricht gar nicht beigewohnt hatte. Nach ihrer Aussage jedoch brachte ihr Vater eine regelrechte Hetzkampagne in Gang. Dadurch wurde der Attentäter auf Paty aufmerksam.

Prozess mit Symbolcharakter

Für Antoine Casubolo Ferro ist dies der "wirkliche Paty-Prozess" - er hofft auf hohe Strafen. Der Anwalt vertritt 13 Kollegen Patys und die französische Vereinigung der Opfer von Terroranschlägen (AFVT), die als Zivilkläger auftreten. "Frankreich braucht diese Gerichtsverhandlung, denn sie erinnert uns an einen Angriff auf ein Symbol", sagt er der DW. Der Attentäter habe "einen Geschichtsprofessor getötet, der für unser Schulsystem, unsere Werte, unseren Laizismus stand." In Frankreich gilt eine strenge Trennung von Kirche und Staat. In Schulen sind religiöse Symbole und Versuche der Bekehrung zu einer Religion verboten. Dieses Prinzip des Laizismus ist eng mit der Meinungsfreiheit verkettet – selbst Gotteslästerung ist nicht strafbar.

Vincent Brengarth vertritt einen Angeklagten, der beim französischen Geheimdienst als islamistischer Aktivist gilt. Dieser hatte mit dem Vater des Mädchens ein Video vor der Schule Patys gedreht und darüber hinaus ein eigenes veröffentlicht, in dem er behauptete, der Lehrer hätte den Propheten Mohammed beleidigt. "Die Gerichte sollten nur unsere Gesetze anwenden und nicht zur Gedankenpolizei werden", fordert Brengarth gegenüber der DW. "Das Gerichtsdossier zeigt, dass der Attentäter das Video meines Klienten nie gesehen hat – der Terrorist hatte Paty zu dem Zeitpunkt schon identifiziert." Frankreich dürfe in seiner Terrorgesetzgebung, die zu den strengsten der Welt zählt, keinen gefährlichen Präzedenzfall schaffen. "In diesem Verfahren könnte zum ersten Mal jemand für die Zugehörigkeit zu einer Terrorgruppe verurteilt werden, nur weil er andere Werte vertritt", sagt der Anwalt.

Immer strengere Gesetze in Frankreich

Mihaela-Alexandra Tudor, Professorin für Medien, Politik und Religion an der Universität Paul-Valéry in Montpellier, versteht die Verhandlung indes als Anlass, um Zwischenbilanz zu ziehen. "Seit den 2000er Jahren gab es viele neue Anti-Terrorgesetze und erst 2021 eins zum Säkularismus, durch das die Trennung von Kirche und Staat verstärkt wurde," erklärt sie gegenüber der DW. Unter anderem werde dadurch die Finanzierung religiöser Vereine strikter geregelt, so Tudor. "Doch das nimmt die Bevölkerung kaum wahr. Umfragen zufolge ist religiöser Terrorismus noch immer eine der Hauptsorgen der Franzosen, auch, weil es sich meist nicht mehr um Gruppen handelt, sondern um Einzelattentäter, welche schwer im Voraus zu stoppen sind." 

Mihaela-Alexandra Tudor verweist darauf, dass der französische Staat seine Gesetze sukzessive verschärft hatBild: Stefan Bratosin

Das Gesetz zum Säkularismus beinhaltet auch eine "Paty-Klausel": Lehrer zu bedrohen wird mit bis zu drei Jahren Gefängnis und einer Strafe von bis zu 45.000 Euro bestraft. Außerdem hat die Regierung versprochen, Lehrer besser zu schützen und gezielte Weiterbildungen zum Säkularismus durchzuführen. Dennoch gibt es immer wieder Berichte über Spannungen an französischen Schulen. Erst im Oktober 2023 erstach ein islamistischer Attentäter den Französisch-Lehrer Dominique Bernard im nördlichen Arras.

Lehrer fühlen sich alleingelassen

Christophe Naudin, Lehrer an einem Gymnasium im Pariser Vorort Arcueil, fühlt sich von den Behörden alleingelassen. "Wir hatten einmal eine halbtägige Weiterbildung zum Thema Laizismus, aber sonst haben wir von diesen Maßnahmen nichts mitbekommen – gleichzeitig kündigt die Regierung gerade wieder 4000 Stellenkürzungen im Schulwesen an", sagt er gegenüber der DW. "Es steckt so etwas wie Heuchlerei in den Gedenkzeremonien für Samuel Paty – sie machen uns nur bewusst, dass wir noch immer mögliche Ziele für Attentäter sind." Dabei identifiziert sich Naudin nicht nur stark mit Paty, weil er selbst Geschichtslehrer ist. Naudin ist Überlebender des Attentats auf den Pariser Konzertsaal Bataclan im November 2015, bei dem drei Islamisten 90 Menschen töteten. Es war Teil einer Anschlagsreihe auf Bars und ein Fußballstadion, der rund 130 Menschen zum Opfer fielen.

Christophe Naudin hofft, dass der Prozess einige Menschen dazu bringt, ihr Verhalten zu ändernBild: Lisa Louis/DW

Dennoch hofft Naudin, der Prozess könnte manche dazu bringen, ihr künftiges Verhalten zu überdenken. Er hofft, dass die Medien großflächig darüber berichten; über die Lügen, die Rolle der sozialen Medien und mancher Eltern, aber auch über die der Behörden, die nicht schnell genug reagierten. "Dann werden die Leute sehen, dass es soweit gar nicht hätte kommen müssen", so Naudin.

Das Urteil soll am 20. Dezember fallen.

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