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Politik

Muslime im Kampf gegen Dschihadisten

Elizabeth Bryant jdw
12. März 2017

Frankreich hat ein Dschihadisten-Problem. In Bordeaux engagieren sich Muslime gegen Radikalisierung in ihren Gemeinden. Das gefällt nicht jedem, denn Religion ist in Frankreich Privatsache. Elizabeth Bryant aus Bordeaux.

Symbolbild Radikalisierung in Moscheen
Bild: picture alliance/dpa

Heute predigt Fouad Saanadi nur noch vor Konvertiten. In einem unauffälligen Gebäude nahe dem Rathaus von Bordeaux trifft sich der Imam mit ängstlichen Jugendlichen und verunsicherten Eltern. Viele kommen aus zerrütteten Familien, aus problematischen Vierteln, sind psychisch labil. Eine Moschee haben die meisten noch nie betreten. Und doch sind sie zu dem Imam gekommen. Sie suchen nach Orientierung. Diese will Saanadi ihnen geben. Aber er hat noch einen Auftrag: Die jungen Muslime vor einer möglichen Radikalisierung schützen, ihnen den Islam aus seiner Sicht nahe bringen. Eine kleine Gruppe von Therapeuten und anderen Experten unterstützt ihn in seinem Kampf gegen einen mächtigen Feind: den militanten Islam.

"Meine Rolle ist es nicht, den Menschen vom "guten" oder "wahren" Islam zu predigen, sondern ihnen zu helfen, sich kritisch mit ihm auseinanderzusetzen", erklärt Saanadi das Programm CAPRI, mit dem er und das Expertenteam seit einem Jahr der Radikalisierung entgegenzuwirken versuchen.

Bordeaux gehört zu der wachsenden Gruppe europäischer Städte, die Wege gegen den in Europa gewachsenen Extremismus suchen. Für Frankreich ist diese Frage besonders drängend. Das Land war Ziel von drei großen islamistischen Attentaten binnen eineinhalb Jahren und gilt als größter Exporteur extremistischer Kämpfer.

Weiß um die Grenzen seines Einflusses: Imam Fouad SaanadiBild: DW/E. Bryant

Anders als in Deutschland und Großbritannien sind Projekte wie das Programm CAPRI im laizistischen Frankreich relativ neu. Hier hält sich der Staat traditionell aus Glaubensfragen heraus. In einem Bericht des französischen Senats wurden derlei Ansätze kürzlich gar als Fehler bezeichnet. Diese rigorose Trennung von Staat und Religion, glauben manche Experten, verschärft das Problem in Frankreich zusätzlich zu den sozialen, politischen und psychologischen Umständen, die gemeinhin als Schlüsselfaktoren bei der Radikalisierung gelten. Auch der Pariser Dschihadismus-Experte Farhad Khosrokhavar ist dieser Meinung: "Diese Menschen wurden im Namen der Religion radikalisiert. Sie identifizieren sich mit dieser radikalen Version des Islam, deshalb darf man das nicht ignorieren."

Auf der Suche nach Lösungen

Lösungen zu finden, wird immer dringender: Denn Hunderte Extremisten, die im Ausland gekämpft haben, kommen mittlerweile zurück nach Europa, sagen die Behörden. Und als potentielle Terroristen und Anwerber stellen sie ein Risiko dar.

Allein aus Frankreich sollen derzeit etwa 700 französische Dschihadisten in den Krieg in Syrien und dem Irak gezogen sein, so aktuelle Regierungszahlen. Weitere 1350 verdächtige Radikale sitzen in französischen Gefängnissen, darunter annähernd 300 mit direkten Verbindungen zu Terrornetzwerken.

Landesweit stufen die Behörden 15.000 Menschen als Extremisten und potentielle Sicherheitsrisiken ein. 200 von ihnen leben im südwestlichen Departement Gironde, dessen Hauptstadt Bordeaux ist. Kritiker schließen daraus, Frankreichs laizistisches Prinzip von Recht und Ordnung habe versagt.

"Das europäische System hat keine Erfahrung darin, mit so vielen Radikalisierten umzugehen", sagt Khosrokhavar. "Wir müssen einen ganz neuen Weg finden, mit dieser Art von Problemen fertig zu werden."

Trauer nach dem Terror von Nizza - dem dritten islamistischen Anschlag auf Frankreich binnen eineinhalb JahrenBild: Reuters/P. Rossignol

In Bordeaux könnte das CAPRI-Programm, das eine Partnerschaft zwischen der Stadtverwaltung und dem regionalen muslimischen Verband ist, ein Zeichen dafür sein, dass sich die Zeiten ändern.

Terror mit Bildung bekämpfen

"Dass wir in diesem Programm mit der muslimischen Gemeinde zusammenarbeiten, zeigt den Jugendlichen und ihren Familien, dass wir den Islam und Radikalisierung nicht miteinander verwechseln", sagt der stellvertretende Bürgermeister von Bordeaux und CAPRI-Sprecher Marik Fetouh.

Den Kontakt zwischen den Familien und CAPRI, sagt Fetouh, stellen oft die Theologen her. Imam Saanadi berät jeden Fall gemeinsam mit einem halben Dutzend Therapeuten, Psychiatern und Rechtsexperten. Von den derzeit 36 Jugendlichen in dem Programm sind 40 Prozent Frauen. Viele sind Konvertiten oder "wiedergeborene" Muslime, die aus weitgehend säkularen Familien stammen. Der Altersdurchschnitt liegt bei 22 Jahren. 

Als Generalsekretär des regionalen Islam-Verbandes steht Saanadi für einen moderaten Islam, der sich dem französischen Gesetz unterordnet, von fundamentalistischeren Gläubigen jedoch nicht anerkannt wird. Persönlich kennt er niemanden, der sich einer dschihadistischen Vereinigung angeschlossen hat: "Terrorismus ist eine Frage für das nationale Bildungssystem. Wir sehen die Kinder gerade einmal zwei Stunden pro Woche in der Moschee, den Rest ihrer Zeit verbringen sie in der Schule", sagt Saanadi.

Kampf ohne Wunderwaffe

"Der Staat hat zu lange gebraucht und nun sucht man nach einer Zauberformel", sagt der Soziologe Ouisa Kies, Experte für Radikalisierung in Gefängnissen." Im vergangenen Jahr eröffnete Frankreichs linke Regierung die ersten zwölf Zentren zur Deradikalisierung und stellte für die nächsten drei Jahre 284 Millionen Euro für solche Programme bereit.

Doch im Februar 2017 befanden französische Senatoren in einem Bericht, das Deradikalisierungszentrum im Loire-Tal sei ein "Fiasko": Gerade einmal neun Jugendliche seien dort behandelt worden, und zum Zeitpunkt des Berichts habe es leer gestanden.

Rund 80 Initiativen haben Geld aus dem Deradikalisierungstopf erhalten - einige von ihnen sind von zweifelhaftem Ruf. "Es wird immer mehr zu einem Markt", sagt der Haupt-Imam von Bordeaux Tareq Oubrou, der als theologischer Berater des CAPRI-Projekts fungiert. "Da wird jeder in zwei Sekunden zu einem Deradikalisierungsexperten."

Imam Saanadi ist der erste, der zugibt, dass der Einfluss seiner Arbeit begrenzt ist: "Es gibt keine Wunderwaffen", sagt er, "es ist sehr leicht, zu zerstören und sehr schwer, wieder aufzubauen."

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