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Frankreich muss sparen - aber wie?

Lisa Louis Paris
Veröffentlicht 4. Oktober 2024Zuletzt aktualisiert 4. Oktober 2024

Frankreichs Haushalts-Defizit fällt dieses Jahr noch höher aus als erwartet. Das Land ist unter Druck, auch von Seiten der EU, das Haushaltsloch zu stopfen. Doch einfach wird das nicht.

Das französische Wirtschafts- und Finanzministerium
Frankreichs Wirtschafts- und Finanzministerium, nach dem Pariser Stadtteil auch "Bercy" genanntBild: BERTRAND GUAY/AFP via Getty Images

Frankreichs Haushaltsdefizit ist im Elysée-Palast, dem Amtssitz des Präsidenten, der sprichwörtliche Elefant im Raum: Alle wissen, dass es groß ist, aber niemand will darüber sprechen. Seit Monaten.

Monate, während derer Präsident Emmanuel Macron überlegte, wen er nach den vorgezogenen Parlamentswahlen Anfang Juli, die keine klare Mehrheit ergaben, als Premierminister ernennen würde. Das zog sich so lange hin, dass Interims-Premier Gabriel Attal schon vorläufige Budgetpläne an die einzelnen Ministerien schickte.

Der nun frisch ernannte Premierminister Michel Barnier hat dennoch die traditionelle Frist zum 1. Oktober verpasst, um den Haushalt 2025 ins Parlament einzubringen.

"Über uns hängt ein Damoklesschwert - es könnte uns an den Rand des Abgrunds bringen", sagte Barnier bei seiner Antrittsrede in der Nationalversammlung diese Woche.

Frankreichs neuer Premierminister Michel Barnier bei seiner Antrittsrede in der NationalversammlungBild: Alain Jocard/AFP/Getty Images

Defizitverfahren der EU

Die Europäische Union (EU) hat dieses Jahr ein außergewöhnliches Defizitverfahren gegen Frankreich eröffnet. Die Regierung muss Brüssel eine Strategie vorlegen, wie sie das Haushaltsdefizit senken will. Der politische Gegenwind ist stark.

In diesem Jahr wird das Defizit die Marke von sechs Prozent der Wirtschaftsleistung übersteigen. Das ist doppelt so hoch, wie nach den Regeln für die Stabilität des Euro erlaubt ist.

Insgesamt beläuft sich Frankreichs Schuldenberg nun auf rund 3200 Milliarden Euro. Das sind rund 110 Prozent des französischen Bruttoinlandsprodukts. Erlaubt sind 60 Prozent.

Zu Anfang von Macrons erster Amtszeit 2017 - die zweite begann 2022 - lagen die Schulden noch bei 2200 Milliarden Euro.

Ein linkes Parteienbündnis hat die Wahl gewonnen, doch der Präsident ernennt einen rechten Politiker zum neuen Premierminister? Zahlreiche Menschen gingen in Frankreich deshalb auf die Straße, hier am 7.9.2024 in NantesBild: Sebastien Salom-Gomis/AFP/Getty Images

Für Michel Ruimy, Wirtschaftsprofessor an der Pariser Universität Sciences Po, liegt das vor allem an zwei Faktoren. "Die Regierung hat Haushalte und Unternehmen während der Corona-Pandemie ab 2020 mit sehr viel Geld unterstützt", sagt er der DW. "Außerdem hat sie durch Zuschüsse die Elektrizitätspreise künstlich niedrig gehalten, nachdem diese im Zuge des russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine ab Februar 2022 in die Höhe geschossen waren."

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Diese Ausgaben habe die Regierung durch Schulden finanziert, auf die sie seitdem Zinsen zahle.

Doch Henri Sterdyniak, Mitbegründer des linksgerichteten Kollektivs der "Niedergeschmetterten Ökonomen", macht auch Macrons generelle Politikausrichtung für die Haushaltslage verantwortlich.

"Er hat die Steuern - vor allem für Unternehmen, aber auch für Haushalte - um mehr als 60 Milliarden Euro gesenkt und gesagt, das könne man durch höheres Wachstum und so zusätzliche Einnahmen finanzieren. Nur hat die Regierung das Wachstum klar überschätzt", so Sterdyniak zu DW.

Weniger Ausgaben, höhere Steuern

Premierminister Barnier will dem Parlament am 10. Oktober einen Plan vorlegen, um das Defizit nächstes Jahr auf fünf und bis 2029 auf drei Prozent zu senken. Zwei Drittel dieser Einsparungen will er durch Ausgabenkürzungen erzielen.

Gleichzeitig stehen höhere Steuern für Reiche, Unternehmen mit außerordentlichen Gewinnen und auf Kapitalgewinne an. Steuerschlupflöcher - zum Beispiel auf bestimmte Mieteinnahmen - will er schließen.

Für Ökonom Ruimy ist dies die richtige Vorgehensweise. "Ausgabensenkungen sind sicherer - etwa indem man, wie von Barnier angekündigt, Subventionen für Ausbildungen kürzt", findet er. "Man weiß nicht, ob man Steuereinnahmen tatsächlich erzielen wird. Reiche, die generell sehr mobil sind, könnten bei noch höheren Steuern ins Ausland ziehen."

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Doch Anne-Sophie Alsif, Chefökonomin der Pariser Unternehmensberatung BDO, sieht das anders: "In Frankreich ist der private Konsum Wachstumsmotor, und 60 Prozent der Staatsausgaben fließen an Haushalte, die dieses Geld wieder ausgeben", erklärt sie gegenüber DW. "Drastische Ausgabenkürzungen könnten zur Rezession führen, was das Haushaltsdefizit und die Schulden in die Höhe treibt."

Dennoch sollte man die öffentlichen Ausgaben neu ausrichten, so die Ökonomin. "Wir müssen einen Teil davon in produktive Investitionen umlenken, so wie das die USA und China machen, um das Wachstum anzukurbeln", sagt sie.

Minderheitsregierung muss Haushalt durchs Parlament bringen

Eric Heyer, Ökonom an der Pariser linksgerichteten Denkschmiede OFCE, fügt dem hinzu, dass der private Sektor nicht unbedingt die Lücke füllt, wenn Staatsausgaben sinken.

"Die Zahl der Auszubildenden ist von 350.000 auf eine Million pro Jahr gestiegen, seitdem die Regierung Ausbildungsprogramme subventioniert", erklärt er gegenüber DW. "Aber die Unternehmen sagen uns, dass sie ohne diese Zuschüsse nicht mehr so viele Azubis einstellen werden."

Seine Haushaltspläne muss Barnier durch die Assemblée Nationale bringen. In der Nationalversammlung aber hat seine Regierung keine Mehrheit. Die Regierung besteht aus Mitgliedern der konservativen Republikaner, zu denen auch Barnier gehört, und von Macrons Bündnis Ensemble. Zusammen kommen diese Parteien nur auf etwa 230 von 577 Abgeordneten.

Der Premier wird die Abstimmung über den Haushalt deshalb wohl an den Paragraph 49.3 der französischen Verfassung koppeln. Der ermöglicht es der Regierung, Gesetze auch ohne Mehrheit zu verabschieden. Stoppen könnte die Opposition das Gesetz dann nur durch einen erfolgreichen Misstrauensantrag, also den Sturz der Regierung.

Für den 1. Oktober hatten Gewerkschaften in vielen Städten - hier in Toulouse - zu Demonstrationen gegen die neue Regierung aufgerufenBild: Alain Pitton/NurPhoto/IMAGO

Das Linksbündnis Neue Volksfront - aus der Linksaußen-Partei Ungebeugtes Frankreich (La France Insoumise), den Sozialisten, Grünen und Kommunisten - hat bereits angekündigt, einen Misstrauensantrag zu stellen. Das Bündnis war bei den Wahlen überraschend als Sieger hervorgegangen, wurde aber nicht an der Regierungsbildung beteiligt. In der Nationalversammlung bildet es keine gemeinsame Fraktion.

Ökonom Ruimy von Science Po glaubt wegen des angekündigten Misstrauensantrags nicht, dass der Haushaltsentwurf besonders ambitioniert sein wird. "Jeder Vorschlag verärgert eins der politischen Lager", sagt er. "Wenn die Politiker ihr Ego vergäßen und an das Wohl des Landes dächten, könnte es einen glaubhaften Haushalt geben - aber das ist unwahrscheinlich."

Das Risiko sei groß, dass die Regierung schnell zu Fall gebracht werde. Solch politische Instabilität könnte dann auch in der Eurozone Wellen schlagen.

Wie solide wird der Haushalt?

Jeromin Zettelmeyer, Direktor der Brüsseler Denkschmiede Bruegel, der in der Vergangenheit für den Internationalen Währungsfond gearbeitet hat, ist optimistischer. "Ein Misstrauensvotum gegen die Regierung hat nur eine Chance, wenn die Rechtsaußenpartei Rassemblement National (RN) mitmacht, wonach es nicht aussieht", sagt er der DW.

Tatsächlich lässt der RN verlauten, nicht gegen die Regierung stimmen zu wollen - zumindest vorerst. "Barnier wird Brüssel sicherlich einen soliden Plan zur Reduzierung des Haushaltsdefizits vorlegen. Er weiß, dass Investoren Frankreich beobachten und hat kein Interesse an einem harten Konflikt mit der EU-Kommission", so Zettelmeyer.

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Länder unter dem EU-Defizitverfahren müssen einen vier- oder sieben-Jahres-Plan vorweisen, durch den sie das Defizit auf drei Prozent senken wollen. Die Nervosität der Märkte zeigte sich vor kurzem daran, dass Frankreich erstmals seit 2008 höhere Zinsen für langfristige Staatsanleihen zahlen musste als Spanien.

"Spanien ist gerade einer der Musterschüler in Europa - mit niedrigerem Haushaltsdefizit und weniger Staatsschulden", sagt Heyer von der Denkfabrik OFCE. Frankreich habe unter Investoren gerade kein gutes Image. "Keiner versteht, wieso die Prognose des Haushaltsdefizits von erst 4,4 auf nun über sechs Prozent gestiegen ist, obwohl das Wachstum und die Inflation so ausfallen wie erwartet", sagt er.

"Außerdem kann man sich einen Kompromiss in Sachen Haushalt schwer vorstellen, weil jedes politische Lager durch seine No-Gos den Handlungsspielraum des Premierministers extrem einschränkt." Heyer schließt nicht aus, dass die Regierung bei der Haushaltsdebatte fallen könnte. Darauf hoffen mit Sicherheit einige der Demonstranten, die am 1. Oktober im ganzen Land gegen Ausgabenkürzungen demonstrierten. Viele weiteren Protesttage sollen folgen.

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