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Politik

Frankreich präsentiert Corona-Exit-Plan

Barbara Wesel
28. April 2020

Sehr langsam soll nach dem 11. Mai das öffentliche Leben in Frankreich wieder beginnen. Aber Premierminister Edouard Philippe warnt vor Verzögerungen der Lockerungen, falls die Infektionszahlen wieder steigen.

Frankreich Paris Nationalversammlung | Coronavirus | Edouard Philippe, Premierminister
Bild: Reuters/D. Niviere

"Wenn wir die Infektionsketten nicht brechen können, müssen wir die Regeln wieder verschärfen", warnte Premierminister Edouard Philippe in seiner einstündigen Rede über die Details der Quarantänelockerung in Frankreich. Das war ein weiterer Dämpfer für die Mehrzahl der Franzosen, die nach sechs Wochen strenger Isolierung die Lust am Einhalten der Regeln verlieren. Über die Hälfte von ihnen, so zeigen die jüngsten Umfragen, hat die harten Einschränkungen satt.

Technokratisches Regelwerk

Angesichts von mehr als 23.000 Corona-Todesfällen im Land und ernüchternden Erfahrungen mit der Arbeit des französischen Gesundheitssystems will die Regierung in Paris eine Lockerung in kleinen Schritten. Nur wenn bis 11. Mai die Zahl der Neuansteckungen weiter sinkt, so erklärte der Premierminister vor dem Parlament, dürfen die Läden wieder öffnen. Schrittweise sollen die Schulen folgen - erst für die Jüngeren, dann kommen im Juni möglicherweise die Oberschulen hinzu.

Parlament im Notbetrieb: Bei der Debatte mussten auch die Abgeordneten Sicherheitsabstand einhaltenBild: Reuters/D. Niviere

Ab Mitte Mai sollen dann die Franzosen zurückkehren zur Arbeit, die ihren Job nicht von zu Hause machen können. Obwohl Heimarbeit weiter empfohlen wird, auch um den öffentlichen Nahverkehr zu entlasten. Der soll nämlich den Betrieb teilweise wieder aufnehmen. So wird die Metro in Paris zu 70 Prozent ihrer Kapazität fahren. Da in den Wagen Abstand gehalten werden muss, wird sie nur einen Bruchteil der üblichen Passagiere transportieren können. 

Restaurants, Cafés und Bars dürfen erst ab Juni wieder öffnen und Museen, Theater und Konzerte bleiben weiter geschlossen. Das kulturelle Leben in Frankreich bleibt weiter im Stillstand. Alle Festivals vom Theater in Avignon bis zu Jazz und Klassik an den sommerlichen Stränden sind abgesagt. Apropos Strände: Sie bleiben noch bis Anfang Juni gesperrt - offenbar traut die Regierung ihren Bürgern nicht zu, dort genügend Abstand zu halten. Was zumindest im Westen des Landes, wo selbst in der Hochsaison Platz für alle ist, als übertrieben erscheint.

Überhaupt lebt die Exit-Strategie der französischen Regierung weniger vom Appell an die Vernunft der Bürger, als von einer Vielzahl einzelner technokratischer Regelungen, die schwer zu überwachen sein werden.

Die Polizei ist schon in den vergangenen Wochen mit allgegenwärtigen Kontrollen und aufflackernden Krawallen in den Ghettos der Vorstädte ausgelastet. Wenn sie jetzt noch prüfen soll, ob ein Bürger sich mehr als 100 Kilometer von seinem Wohnort entfernt, dürfte sie wirklich überfordert sein. 

Kontrollregime über die Bewegungen der Bürger: Polizisten in Paris kontrollieren die Passierscheine von PassantenBild: picture-alliance/dpa/AFP/B. Guay

Maskenpflicht im öffentlichen Raum

In der Bretagne soll jetzt eine Fabrik für medizinische Masken wieder eröffnen, die 2018 wegen der preiswerteren Produktion in China geschlossen worden war. Rund 200 Millionen Masken könnten dort pro Jahr produziert werden, aber bis die Bänder in Plaintel wieder laufen, wird es noch dauern.

Die französische Regierung will für eine gewisse Anzahl von Masken sorgen, die in Apotheken verkauft werden sollen. Ihr Einsatz wird in weiten Bereichen des Alltags empfohlen: Kinder sollen in der Schule Masken tragen, Menschen, die zum Einkaufen gehen und Beschäftigte an den Arbeitsplätzen, wo kein Mindestabstand eingehalten werden kann.

Die Regierung wird sich in den kommenden Wochen auch mit unangenehmen Fragen auseinandersetzen müssen: Warum wurde nicht frühzeitig ausreichend Schutzmaterial gekauft? Hätte der Lockdown nicht schon vor Mitte März erfolgen müssen? Warum hatte das Land, das stolz ist auf seine technologischen Fähigkeiten und sein Gesundheitssystem, weder genug Intensivbetten noch Beatmungsgeräte? Und warum schneidet Frankreich im Vergleich mit seinem Nachbarn Deutschland so viel schlechter ab, wenn es um die Bewältigung von COVID-19 geht?

Schützen, testen, isolieren

Zu den vielen Fragen gehört auch die nach fehlenden Testkapazitäten in den ersten Wochen der Pandemie. In den kommenden Wochen will Premier Philippe nun 100.000 Franzosen täglich testen lassen, um die Ansteckungswege zu verfolgen und Neuerkrankte zu isolieren. 

Zu spät reagiert? Die Kritik an Staatspräsident Macron (r.) dürfte zunehmenBild: Reuters/C. Ena

Wie in anderen europäischen Ländern verzeichnet auch Frankreich den Infektionsschwerpunkt in den Altenheimen. Rund die Hälfte der schweren Erkrankungen sind auf Personen zurückzuführen, die sich dort infiziert haben, Auch hier gab es Klagen über fehlende Schutzkleidung für das Personal und nicht ausreichende Isolierung. 

Folgen für die Wirtschaft unabsehbar

Wirtschaftliche Schlagzeilen machen derzeit vor allem die Großunternehmen. So soll die Fluggesellschaft Air France-KLM mit über 7 Milliarden Euro vom Staat gerettet werden – auch Peugeot als größter Autokonzern des Landes braucht staatliche Hilfen. Die Verschuldung der öffentlichen Kassen, so wird erwartet, könnte auf 125 Prozent des Bruttoinlandsproduktes steigen, die Wirtschaftsleistung um bis zu 10 Prozent einbrechen. Kurzarbeitergeld und Ausfallzahlungen für Freiberufler werden den Staatshaushalt mit vielen Milliarden Euro belasten.

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