Frankreich: Premier Michel Barnier reicht Rücktritt ein
5. Dezember 2024Es war der Streit um den Haushalt, der die Regierung in Paris zu Fall brachte. Der von Frankreichs Premierminister Michel Barnier ohne Zustimmung des Parlaments verabschiedete Sozialetat hatte ein Misstrauensvotum in der Nationalversammlung zur Folge.
Und anders als sonst waren sich das linke Lager und das - je nach Lesart - rechtspopulistische beziehungsweise rechtsextreme Rassemblement National (RN) am Mittwochabend einig: Gemeinsam stürzten sie Barniers Regierung. 331 der derzeit 574 Abgeordneten der Nationalversammlung stimmten für den Misstrauensantrag der linken Opposition. Es war das erste Mal seit 1962, dass eine französische Regierung über ein Misstrauensvotum stürzt.
Premierminister mit der kürzesten Amtszeit
Am Vormittag reichte der geschasste Premier im Elysée-Palast bei Präsident Emmanuel Macron seinen Rücktritt ein. Der erst im September ernannte Konservative ist damit der Premierminister mit der kürzesten Amtszeit in Frankreichs jüngerer Geschichte.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bat Barnier, mit seiner Regierung vorübergehend geschäftsführend im Amt zu bleiben, hieß es in Paris. Eine Neuwahl kann frühestens im Juli 2025 stattfinden.
Am Donnerstagabend will sich Macron in einer Ansprache an die Nation wenden. Das dürfte auch Aufschluss darüber geben, wie es nun in Frankreich weitergeht. Denn eigentlich hätte in Paris längst ein von der Europäischen Union angemahnter Sparhaushalt für das kommende Jahr verabschiedet werden müssen. Doch genau der Etat, den Barnier nach der strengen Vorgabe aus Brüssel vorlegte, war nun Anlass für das Misstrauensvotum gegen seine Minderheitsregierung.
Konsequenzen auch von Macron gefordert
Emmanuel Macron steht ebenfalls unter Druck: Die linkspopulistische Partei La France Insoumise (LFI) forderte umgehend auch den Rücktritt des Präsidenten. "Auch wenn es alle drei Monate einen neuen Barnier gibt, wird Macron keine drei Jahre mehr durchhalten", sagte LFI-Chef Jean-Luc Mélenchon mit Blick auf die 2027 anstehende Präsidentenwahl.
Vom rechten Rand appellierte die Fraktionschefin des Rassemblement National, Marine Le Pen, an Macron, "Verantwortung zu übernehmen". "Ich fordere nicht seinen Rücktritt. Aber es ist klar, dass der Druck immer stärker wird", betonte sie. Er werde tun, "was sein Verstand und sein Gewissen ihm diktieren", mutmaßte Le Pen. Sie sei bereit, gemeinsam mit dem künftigen Premierminister einen "akzeptablen Haushalt" aufzustellen, gab sich Le Pen machtbewußt.
Noch-Wirtschaftsminister Antoine Armand warf den Links- und Rechtspopulisten vor, "ihre Stimmen vereint zu haben, um das Land zu destabilisieren". Die aktuelle Regierung bleibt vorläufig geschäftsführend im Amt.
Wer wird Premier angesichts schwieriger Mehrheiten?
Frankreichs Ex-Premierminister Gabriel Attal hatte den Rechtspopulisten kurz vor der Abstimmung über das Misstrauensvotum einen "historischen Fehler" vorgeworfen. Er appellierte zudem an die Abgeordneten der sozialistischen Partei, sich aus dem Bündnis mit den Linkspopulisten zu "befreien". Er strebt eine Art Koalition aus Macrons Partei, den konservativen Republikanern und den Sozialisten an.
Für den Posten des Premierministers sind zudem Verteidigungsminister Sébastien Lecornu und der ehemalige sozialistische Amtsinhaber Bernard Cazeneuve im Gespräch. Der künftige Regierungschef dürfte es ebenso schwer haben wie Barnier, in der Nationalversammlung eine Mehrheit zu bekommen.
Die Republikaner hatten bereits vor der Abstimmung erklärt, dass ihre Unterstützung der Regierung an die Person von Barnier geknüpft sei, der aus ihren Reihen stammt. Die möglicherweise von einem künftigen Premier ebenfalls umworbenen Sozialisten zählen hingegen zum links-grünen Bündnis "Neue Volksfront", in der die Linkspopulisten den Ton angeben. Die Nationalversammlung ist seit der vorgezogenen Neuwahl im Juli in drei verfeindete Blöcke gespalten.
AR/wa (rtr, afp, dpa)