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Frankreich sagt "Non"

29. Mai 2005

Die Franzosen haben die EU-Verfassung abgelehnt. Rund 55 Prozent stimmten gegen den Vertrag. Damit ist das europäische Verfassungsprojekt gescheitert. In Paris wird die Bildung einer neuen Regierung erwartet.

Das war das Wort des Tages in Frankreich: "Non"Bild: AP

Frankreich hat "Non" gesagt und Europa steht nach Ansicht vieler politischer Beobachter vor einem Scherbenhaufen. Aus Protest gegen Staatspräsident Jacques Chirac und die Regierung Raffarin sowie aus Angst vor einem neoliberalen Europa und Sozialabbau verwarfen die Franzosen am Sonntag (29.5.2005) die EU-Verfassung mit einer deutlichen Mehrheit. Nun ist sie also da, die "Katastrophe", vor der EU-Ratspräsident Jean-Claude Juncker gewarnt hat.

Die Franzosen ließen sich von den Versuchen nicht beeindrucken, ein Scheitern der Verfassung beim Referendum zu dramatisieren. Wie das Innenministerium nach Auszählung aller Stimmen mitteilte, stimmten 54,87 Prozent gegen Verfassungsvertrag, nur 45,13 stimmten mit Ja.

Wahlbeteiligung

Die Beteiligung in Frankreich lag bei rund 70 Prozent, was die lebhafte Debatte um dieses Thema widerspiegelt. Insgesamt waren knapp 42 Millionen Menschen stimmberechtigt. Beim Referendum über den Maastricht-Vertrag im September 1992 hatten 69,7 Prozent der Wähler ihre Stimme abgegeben, bei der zweiten Runde der letzten Präsidentschaftswahl im Mai 2002 waren es 79,7 Prozent gewesen.

EU-Referendum in Frankreich: Die Gegner der Verfassung und Sieger des Abends brechen in stürmischen Jubel ausBild: AP

Die Verfassung sollte die auf 25 Mitglieder angewachsene Europäische Union (EU) handlungsfähiger machen. Sie wird von ihren Gegnern in Frankreich jedoch als Festschreibung einer Politik kritisiert, die drängende Probleme der führenden EU-Staaten wie eine hohe Arbeitslosigkeit vergrößert hätte. Den Umfragen zufolge wollten viele Wähler auch die Gelegenheit nutzen und ihrem konservativen Präsidenten Jacques Chirac in dessen elftem Amtsjahr sowie der Regierung Raffarin einen Denkzettel verpassen.

Der französische Staatspräsident Jacques Chirac beim Verlassen einer Wahlurne (29.5.2005)Bild: AP

Damit werden sie voraussichtlich auch Erfolg haben. Nach diesem "Nein" hat der französische Ministerpräsident Jean-Pierre Raffarin keine Zukunft in diesem Amt. Das deutete Chirac am späten Abend an. Er räumte in einer kurzen Ansprache nicht nur die Ablehnung der EU-Verfassung in der französischen Volksabstimmung ein, sondern er kündigte auch eine rasche Regierungsumbildung an. In Paris wird damit gerechnet, dass Premierminister Jean-Pierre Raffarin schon am Montag (30.5.2005) gehen muss.

Chirac ging in seiner Ansprache aus dem Elysee-Palast nicht auf Rücktrittsforderungen der Opposition ein. Als bisher einziger Staatspräsident der Fünften Republik hatte Charles de Gaulle 1969 ein Referendum verloren und war umgehend zurückgetreten.

Spaltung Frankreichs

Die EU-Verfassung, die bereits von zehn der 25 EU-Staaten ratifiziert worden ist, hatte Frankreich tief gespalten. Chirac und Raffarin warben für die Annahme des Vertrags, ebenso wie der Vorsitzende der oppositionellen Sozialisten (PS), Francois Hollande. Dagegen formierte sich ein breites Bündnis. Linke Verfassungsgegner wie die Kommunisten und der ehemalige sozialistische Premierminister Laurent Fabius kritisierten, die Verfassung ebne einem wirtschaftsliberalen Europa und dem Abbau sozialer Standards den Weg. Auch der Rechtsextremist Jean-Marie Le Pen und rechte Souveränisten wie Philippe de Villiers machten Front gegen die Verfassung.

Ratifizierungsprozess soll fortgesetzt werden

"Der Vertrag ist nicht tot", sagte der EU-Ratsvorsitzende und Luxemburger Regierungschef Jean-Claude Juncker und fügte hinzu: "Der europäische Prozess kommt heute nicht zu einem Ende." Auch Bundeskanzler Gerhard Schröder und Außenminister Joschka Fischer bedauerten das Nein der Franzosen. "Der Ausgang des Referendums ist ein Rückschlag für den Verfassungsprozess, aber nicht sein Ende", sagte Schröder.

Bild: AP

Juncker, EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso und EU-Parlamentspräsident Josep Borrell erklärten, die Konsequenzen des Votums müssten nun genau geprüft werden. Sie hoben hervor, dass die Verfassung bereits in neun EU-Staaten ratifiziert sei, und dass diese neun Länder fast 50 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentierten. Die Verfassung kann aber nur in Kraft treten, wenn sie von allen 25 EU-Staaten ratifiziert ist.

Die nächste große Hürde kommt bereits am Mittwoch (1.6.2005), wenn die Niederländer über den Vertrag abstimmen. Auch hier liegen in Umfragen die Gegner vor. Ministerpräsident Jan Peter Balkenende rief seine Landsleute auf, sich eine eigene Meinung über den Vertrag zu bilden. Balkenende sagte, er sei enttäuscht von dem französischen Ergebnis. Umso mehr Grund gebe es jetzt, in den Niederlanden mit Ja zu stimmen, "denn die Verfassung ist der Weg nach vorne", erklärte Balkenende. (kas)

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