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PolitikEuropa

Wer kann Macron bezwingen?

Andreas Noll
25. November 2021

Fast 150.000 Parteimitglieder wählen in Frankreich Anfang Dezember den Präsidentschaftskandidaten der Konservativen. Die politische Konkurrenz lässt Les Républicains wenig Raum. Eine Folge: Die Partei rückt nach rechts.

Éric Ciotti, Valérie Pécresse, Michel Barnier, Philippe Juvin und Xavier Bertrand
Einer wird gewinnen: Éric Ciotti, Valérie Pécresse, Michel Barnier, Philippe Juvin und Xavier Bertrand (v.l.)Bild: THOMAS SAMSON/AFP

Spannend wurde es in Frankreich bei Präsidentenwahlen früher erst im zweiten Wahlgang. Dann mussten die Wähler entscheiden, ob sie lieber einen Sozialisten oder Konservativen in den Elysée-Palast schicken wollten. Mit der letzten Präsidentschaftswahl hat dieser alte Dualismus abgedankt.

2017 gelang keiner der beiden politischen Richtungen der Einzug in die Stichwahl. Der unabhängige Emmanuel Macron und die extrem rechte Marine Le Pen machten das Rennen. Ein Korruptionsskandal hatte zuvor die bis dahin guten Umfragewerte des konservativen Ex-Premier François Fillon einbrechen lassen.

Kommt es 2022 zur Wiederauflage der 2017er-Stichwahl Macron-Le Pen?Bild: Getty Images/AFP/K. Nogi

Sechs Monate vor den nächsten Präsidentenwahlen im April 2022 erleben die politischen Beobachter gerade ein Déjà-vu: Seit Monaten prognostizieren die Umfrageinstitute eine Neuauflage der Stichwahl Macron-Le Pen - oder sogar ein Duell zwischen Macron und dem rechtsextremen Éric Zemmour. Der Publizist ist als politischer Außenseiter ins Rennen gestartet und macht mit rassistischen und islamophoben Äußerungen Wahlkampf.

Die Partei rückt nach rechts

Der Erfolg des Essayisten ist eine Gefahr für die im Vergleich zu Zemmour moderatere Marine Le Pen. Aber auch die Bürgerlichen habe er in den Blick genommen, analysiert der Rechtsextremismus-Forscher Jean-Yves Camus: "Zemmour bindet nicht nur Wähler von Le Pen, sondern auch die besonders alten und konservativen Anhänger von Les Républicains, die 2017 für den Präsidentschaftskandidaten Fillon gestimmt haben", so der Wissenschaftler von der Pariser Fondation Jean-Jaurès im Gespräch mit der DW.

Radikaler Polemiker im Wahlkampfmodus: Éric ZemmourBild: Julien Reynaud/APS-Medias/abaca/picture alliance

Noch hat Zemmour seine Kandidatur für den Elysée nicht offiziell erklärt, doch das dürfte nur noch eine Frage von Tagen sein. Die LR-Wähler hat Zemmour, der auch schon die Kollaboration des Vichy-Regimes mit den Nationalsozialisten verharmlost hat, fest im Blick. "Die Républicains haben zum einen gemäßigte Anhänger, die in Deutschland CDU wählen würden, aber sie haben eben auch Wähler, die in Deutschland mit der AfD sympathisieren würden.Es gibt also bei den Konservativen heute Wähler, die bei Fragen zu Immigration und Identitätspolitik nicht mehr als gemäßigt bezeichnet werden können", so Politikwissenschaftler Camus

Fünf Kandidaten bewerben sich

In den bislang drei TV-Debatten im Vorfeld der Abstimmung hat sich gezeigt, wie schwer sich die fünf Kandidaten mit einem eigenständigen Profil tun. Von der einen Seite macht Präsident Macron Druck, der schon vor Jahren Konservative in sein Lager geholt hat und frühere Sarkozy-Vertrauten wie den Premierminister Jean Castex in herausgehobene Positionen gehoben hat. Auf der anderen Seite steht die Extreme Rechte mit ihrem Radikalprogramm.

Bis zum 31.3. war Michel Barnier noch in Diensten der EU, jetzt macht er Stimmung gegen BrüsselBild: Emmanuel Dunand/AFP/Getty Images

Eingezwängt zwischen den diesen beiden Polen haben sich die Kandidaten der Sarkozy-Partei für einen Schwenk nach rechts entschieden. Der frühere EU-Kommissar Michel Barnier geht im Vorwahlkampf hart mit Brüssel ins Gericht und will für Frankreich "Kontrolle zurückgewinnen". Barnier verlangt ein Moratorium zur Einwanderungs- und Asylpolitik. Auch zum Schengen-Abkommen äußert sich der 70-Jährige kritisch.

Kritik an der EU wird lauter

Ein EU-freundlicher Wahlkampf, wie ihn Macron vor fünf Jahren führte, ist auch von Valérie Pécresse und Xavier Bertrand nicht zu erwarten. Beide Politiker genießen laut Umfragen bislang den größten Rückhalt in der Bevölkerung. Aber auch sie haben ihren Diskurs verschärft. Bertrand, der sich im Sommer noch bei einem Wahlkampfbesuch in Aachen an der Seite von CDU-Chef Armin Laschet gezeigt hat, giftet nun auch gegen die EU und fordert einen stärkeren Nationalstaat. Die Gesetze für Einwanderer möchte er verschärfen und illegal Eingewanderten auch nach Jahren in Frankreich einen regulären Aufenthaltstitel verweigern. Zuwanderung soll nur noch über ein Quotensystem erfolgen.

Auch die ehemalige Haushaltsministerin Pécresse, die die Partei noch wegen des Rechtskurses des damaligen Parteichefs Laurent Wauquiez 2019 verlassen hatte, setzt ähnliche Akzente. Auch die 54-Jährige verlangt ein Einwanderungsmoratorium - wenn auch weniger strikt als Barnier - und will die illegalen Migration schärfer bekämpfen.

Kein Favorit in Sicht

Der zuletzt gelähmten Partei hat der Wettbewerb unter den fünf Politikern um die Kandidatur indes neues Leben eingehaucht. Innerhalb von zehn Wochen schoss die Zahl der LR-Mitglieder von rund 80.000 auf fast 150.000 in die Höhe. Wer in der Partei bei der Abstimmung den größten Rückhalt genießt, ist derzeit offen. Die vielen Neueintritte machen Prognosen schwierig.

Möchte die erste Präsidentin Frankreichs werden: Valérie PécresseBild: THOMAS SAMSON/AFP

Die meisten Beobachter sehen Valérie Pécresse und den zwei Jahre älteren Xavier Bertrand als Favoriten. Beide tragen aktuell politische Verantwortung als Regionalratspräsidenten - Pécresse in der bevölkerungsreichen Hauptstadtregion, Bertrand in Nordfrankreich, wo er sich bei den Regionalwahlen im Sommer gegen den dort starken Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen durchsetzen konnte.

Erst Austritt, dann Eintritt

An der Verbundenheit beider Politiker mit der Partei darf allerdings sowohl bei Pécresse als auch bei Bertrand gezweifelt werden. Als die Républicains nach mehreren historischen Wahlniederlagen am Boden lagen, gaben beide ihr Parteibuch zurück. Vor wenigen Woche kehrten sie dann für die Mitgliederbefragung wieder zurück.

Der frühere EU-Brexit-Unterhändler Michel Barnier hat der Partei zwar durchgehend die Treue gehalten, aber großen politischen Rückhalt genießt er in Frankreich trotz seiner internationalen Bekanntheit bislang nicht. Anders als den Kandidaten vier und fünf (Philippe Juvin und Eric Ciotti) trauen einige politische Beobachter dem 70-Jährigen sogar den Sieg zu.

Welche Wahlkampfthemen dominieren?

Nach der Kür des Siegers dürfte der Wahlkampf in Frankreich an Fahrt aufnehmen. Ob dann auch weiterhin Zemmours Themen Sicherheit und Migration im Vordergrund stehen, ist unklar. Einer aktuellen Yougov-Umfrage zufolge ist das Thema Kaufkraft für die Mehrheit der Wähler wichtiger.

Fünf Kandidaten, ein Ziel: die Präsidentschaftswahl im April 2022Bild: BERTRAND GUAY/SIPA/AFP

Auch der fulminante Aufstieg Zemmours scheint fürs Erste gebrochen. Eine Umfrage in dieser Woche bescheinigte dem Polemiker eine wachsende Ablehnung in der Bevölkerung. Mehr als zwei Drittel halten Zemmour mittlerweile für anti-demokratisch, rassistisch und gefährlich. Extremismusforscher Camus betont denn auch die Grenzen des Vergleichs zwischen Zemmour und den nach rechts gerückten LR-Kandidaten: "Keiner der konservativen Kandidaten für die Präsidentschaft leugnet die realen Probleme der Integration von Migranten, die realen Probleme des radikalen Islams oder reale Probleme des ausländischen Einflusses auf Muslime in Frankreich. Aber sie wissen auch, dass die konkrete Politik eines Präsidenten etwas anderes ist als die Debattenbeiträge eines Polemikers."