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Frankreich trauert und sucht Antworten

Barbara Wesel8. Januar 2015

Nach dem Anschlag geht in Frankreich die Jagd nach den Tätern weiter. Die Ermordung einer jungen Polizistin am Morgen versetzt die Pariser in Schrecken. Sie fragen sich, wie man Hass und Gewalt begegnen kann.

Frankreich Anschlag auf Charlie Hebdo - Trauer in Nantes 07.01.2015
Bild: picture-alliance/abaca/G. Durand

Am Mittag läuteten die Glocken der großen Pariser Kathedrale Notre Dame ihr Trauergeläut, einige tausend Pariser hatten sich auf dem Platz davor im strömenden Regen zu einer Schweigeminute versammelt, die im ganzen Land befolgt wurde. In langen Schlangen warteten die Besucher des Gedenkgottesdienstes auf Einlass in die Kirche, eines der bekanntesten Pariser Wahrzeichen. Die zentrale Botschaft dort kam aus dem Johannesevangelium: "Wer Gott liebt, liebt auch seinen Bruder". Dies ist auch die zentrale Botschaft einer gemeinsamen Erklärung aller Glaubensgemeinschaften in Frankreich, die alle Bürger des Landes zur Einigkeit und Brüderlichkeit auffordern. Junge und Alte, Eltern mit Kinderwagen und Paris-Besucher waren gekommen, um die mahnenden Worte zu hören: “Hass und Gewalt sind ein Gefängnis.“

Die Radikalisierung ist Teil der Gesellschaft

Doch alle Kommentatoren in den französischen Sendern und Zeitungen sind heute ratlos, wie so radikalisierte Franzosen wie die beiden Brüder Kouachi sich aus diesem Gefängnis befreien könnten. Noch immer sind die beiden mutmaßlichen Täter auf der Flucht. Zwischenzeitlich nimmt die Jagd nach ihnen dramatische Formen an. Aus einer Tankstelle am Stadtrand wird gemeldet, die beiden algerisch-stämmigen Männer seien gesichtet worden. Es folgt ein Einsatz der Polizei mit Hubschraubern und schwer bewaffneten Sondereinsatzkräften. Dann meldet sich der Ex-Anwalt einer der Brüder, der 2005 bereits einmal wegen Anwerbung islamistischer Kämpfer verurteilt worden war. Chérif Kouachi wolle sich stellen, erklärt er der Presse.

An einer Tankstelle sollen die Täter gesichtet worden seinBild: Reuters/P. Rossignol

Die Masse der Franzosen spricht sich gegen Gewalt aus

Gleichzeitig trauern Vertreter der Polizeigewerkschaft um ihre getöteten Kollegen: Das sind nicht nur die beiden gestern vor dem Büro von "Charlie Hebdo" Ermordeten, sondern auch die junge Polizistin, die am Donnerstagmorgen in Montrouge, im Süden von Paris erschossen wurde. Die dortige Schießerei, bei der ein weiterer Polizist verletzt wurde, steht in keinem direkten Zusammenhang mit dem Massaker tags zuvor in der Zeitungsredaktion, so der bisherige Ermittlungsstand der Polizei. Aber der mutmaßliche Einzeltäter, der mit einem automatischen Gewehr auf die beiden Polizisten zielte, könne von dem Attentat bei "Charlie Hebdo" angeregt worden sein. Auch ihn konnte die Polizei bisher nicht fassen. In der ganzen Stadt und in der Region zwischen Paris und Reims, wo eine der verdächtigten islamistischen Zellen beheimatet sein soll, laufen Fahndungen, werden Wohnungen durchsucht. Sieben Verdächtige wurden bislang festgenommen.

Die anhaltende Jagd gibt Gerüchten Nahrung: Wie ist es möglich, daß die Sicherheitskräfte einen Tag später, nachdem die Fotos der Gesuchten im ganzen Land verbreitet wurden, noch keinen Erfolg hatten? Ist die Suche nach ihnen vielleicht eine falsche Spur, so wird gefragt. Waren die Täter andere Männer, die sich hinter den Kouachi-Brüdern verstecken? Die Unsicherheit ist im Laufe des Tages gewachsen.

Gedenken an die Opfer des Anschlages in ParisBild: DW/A. Mohtadi

Die Solidaritätsbekundungen gehen weiter

Am Vormittag waren erneut hunderte von Parisern zu der kleinen Seitenstraße gewandert, der Rue Nicolas Appert, um an den Polizeiabsperrungen vor dem Büro der Zeitschrift Blumen abzulegen und Kerzen anzuzünden. Zu ihnen gehört eine junge Frau, die sich als Jüdin vorstellt. Ihre Tochter habe Angst , sagt Lea, die weiße Rosen unter den "Charlie Hebdo"-Plakaten ablegt, die auf die Wand eines Nachbarhauses geklebt wurden. Ihre Schwester in Israel frage sie inzwischen, ob sie in Paris noch sicher sei und ob sie nicht lieber auswandern wolle, wie schon eine Reihe anderer französischer Juden. Grauenerregend sei die Ermordung der Journalisten, sagt Lea, sie sei gekommen um ihre Solidarirät und ihre Trauer zu bekunden. Für das soziale Klima im Land aber erwartet sie wenig Gutes: "Es sieht so aus, als ob wir jetzt in eine Spirale der Gewalt, des Hasses und des Misstrauens geraten." Auch sie erwartet am wenigsten von der Politik Antworten auf das Geschehene, gefragt sei jetzt die Mehrheit der Franzosen, die für ihre Werte kämpfen müssten.

Nach Antworten hatte der Staatspräsident am Vormittag bei seinen politischen Treffen gar nicht erst gesucht. Überlegungen zur Stellung von Muslimen in der französsichen Gesellschaft sind derzeit zu heikel. Er will den symbolischen Schulterschluss mit den Vertretern aller großen Parteien. Francois Hollande beschwört eine Bewegung der nationalen Einheit von rechts bis nach links. In dieser Situation müsse Frankreich zusammenstehen, so seine zentrale Botschaft. Für Sonntagnachmittag ist eine große Trauerversammlung zum Gedächtnis der ermordeten Journalisten und Polizisten angesetzt, die das Land unter seinem Präsidenten einen soll.

Sicherheitsvorkehrungen in Frankreichs HauptstadtBild: Reuters/G. Fuentes

Das gestern in Minutenschnelle entstandene Plakat mit der Solidaritätserklärung "Je suis Charlie Hebdo" ist heute allerorten an den Schaufenstern von Läden und Lokalen in Paris zu sehen. Sogar am benachbarten Bastille Markt haben die Händler solche Blätter an ihre nassen Auslagen geklebt. Und Kollegen sowie Unterstützer der ermordeten Redaktionsmitglieder von "Charlie Hebdo" schwören heute, das Blatt werden am nächsten Mittwoch wieder erscheinen. "Charlie Hebdo ist nicht tot", so heißt ihre Devise. Man werde alles daran setzen, um die Arbeit fortzuführen und sich nicht einschüchtern zu lassen.

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