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PolitikEuropa

Hilfe unter Freunden

Andreas Noll
11. November 2020

Auf dem Höhepunkt der ersten Corona-Welle hat Frankreich mehr als 100 Patienten ins europäische Ausland transportiert. Jetzt werden erneut Franzosen in Deutschland behandelt. Doch die Gründe dafür haben sich geändert.

Frankreich I Verlegung von Corona-Patienten nach Deutschland
Personal des Krankenhauses Metz-Thionville bereitet einen COVID-19-Patienten auf den Flug nach Deutschland vor Bild: Jean-Christophe Verhaegen/AFP/Getty Images

Fast zwei Wochen nach dem Beginn der erneuten Ausgangssperre in Frankreich ist eine Entspannung der Corona-Lage derzeit nicht in Sicht. In Nord- und Zentralfrankreich sind die Kapazitätsgrenzen der Intensivstationen erreicht  - aus Lille wurden Anfang der Woche die ersten vier Patienten in die Uniklinik nach Münster geflogen, weil die Intensivstationen in Nordfrankreich überlastet sind. 

Eine ähnliche Lage melden auch die Krankenhäuser in Zentralfrankreich. Die Großregion "Grand Est" im Osten hat gerade mehrere Patienten aus der Auvergne aufgenommen. In der Grenzregion zu Deutschland sind die Intensivstationen aktuell zu lediglich knapp über 40 Prozent belegt.

Die Coronakrise hat die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich verbessert, glaubt der Abgeordnete Christophe ArendBild: DW/D. Pundy

Doch auch in "Grand Est" gehen die Behörden davon aus, dass der Druck auf das Gesundheitssystem in den kommenden Tagen steigen wird. Die Verlegung von COVID-19-Notfallpatienten nach Deutschland soll daher die Kliniken entlasten. Die ersten vier Patienten sind aus dem Regionalkrankenhaus Metz-Thionville bereits in der vergangenen Woche in saarländische Kliniken verlegt worden. Wiederholt sich damit der dramatische Gesundheitsnotstand der Monate März und April, als Frankreich insgesamt mehr als 120 Patienten nach Deutschland geflogen und auch andere Nachbarstaaten um Hilfe gebeten hatte?

Nothilfe für Frankreich

Die aktuelle Lage in Ostfrankreich sei mit der vom Frühjahr nicht vergleichbar, sagt Christophe Arend. Der 45-Jährige vertritt die Region Moselle in der Nationalversammlung und ist Co-Vorsitzender der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung. "Die Krankenhäuser hier arbeiten derzeit nicht an der Kapazitätsgrenze", sagt Arend. Die Verlegung der Patienten erfolge vorsorglich, um einem möglichen Peak in den kommenden Tagen zu entschärfen.

Gesundheitssystem an der Belastungsgrenze: Pflegerin auf einer Intensivstation in Colombes bei Paris Bild: Alain Jocard/AFP/Getty Images

Acht COVID-19-Notfallplätze hat das Saarland den Franzosen angeboten. Die Hälfte der Plätze ist nach DW-Anfrage bei der saarländischen Staatskanzlei bereits in Anspruch genommen worden. "Wenn Menschen in Not sind und medizinische Hilfe brauchen, dürften wir nicht auf die Nationalität schauen", beschreibt der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans die Motivation. "Wir stehen zwecks Kapazitäten permanent in Kontakt mit den saarländischen Krankenhäusern, in denen sich im Übrigen auch viele Pflegekräfte aus Frankreich tagtäglich um saarländische Patienten kümmern."

Engagement einzelner Ärzte

Die aktuelle Unterstützung für Frankreich fällt wohl auch angesichts der verschärften Corona-Entwicklung in Deutschland vom Umfang her bislang geringer aus als noch während der ersten Pandemie-Welle im Frühjahr. Damals wurden mehr Patienten aus Ostfrankreich nach Deutschland verlegt als in andere französische Landesteile.

Im März und April hatten nicht nur die an Frankreich angrenzenden Bundesländer Patienten aus dem Nachbarland aufgenommen, sondern auch weiter entfernte Regionen wie Niedersachsen oder Sachsen.

Ermöglicht wurde die unbürokratische Hilfe, für die Deutschland die Kosten übernommen hat, auch durch das Engagement Einzelner. Im Krankenhaus "Louis Pasteur" der elsässischen Stadt Colmar zum Beispiel spielte ein Arzt, der in Gießen Medizin studiert hatte, eine wichtige Rolle.

Das Südelsass war besonders schwer von der Pandemie getroffen worden, nachdem dort eine christliche Gebetswoche zum "Superspreader-Event" wurde. In Mulhouse errichtete die französische Armee sogar ein Feldlazarett, um die medizinische Versorgung der vielen Corona-Patienten zu gewährleisten.

In ganz Frankreich gelten seit zwei Wochen strenge Ausgangsbeschränkungen, um die Zahl der Infizierten zu reduzierenBild: Christian Hartmann/REUTERS

Gesundheitsversorgung ohne Grenzen

Dass nun wieder Patienten nach Deutschland gebracht werden, sieht der Politiker Arend als Beleg für die gute Zusammenarbeit in der Grenzregion. Dort wird die medizinische Versorgung nicht mehr ausschließlich in nationalen Kategorien geplant. Im Sommer 2019 haben die Regionen Saar und Mosel für die grenzübergreifende Gesundheitsversorgung das "Mosar"-Abkommen unterzeichnet. Dadurch können sich die Bewohner ohne vorherige Genehmigung auch in einem Krankenhaus des Nachbarlandes behandeln lassen. Den Start machen französische Kardiologie-Patienten, die in saarländischen Kliniken versorgt werden. Deutsche Patienten wiederum sollen sich in Frankreich nuklearmedizinisch betreuen lassen können. Abgerechnet wird über die heimischen Krankenkassen.

"Wir haben jeweils einen Ansprechpartner auf jeder Seite, der sich im Gesundheitssystem des Nachbarlandes auskennt - das funktioniert gut", fasst Arend erste Erfahrungen des Projektes zusammen. Corona hat diesen Austausch beschleunigt - und auf neue Bereiche ausgeweitet. So könnten noch in diesem Jahr saarländische COVID-Patienten einen Teil ihrer Reha in Frankreich absolvieren, weil dort die Kapazitäten größer sind.

Corona-App als Problem

Dass die grenzübergreifende Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich in der aktuellen Pandemie-Phase besser funktioniert als im Frühjahr, zeigt sich für den Abgeordneten der Präsidentenpartei La République en Marche (LREM) auch in den Lockdown-Beschränkungen auf beiden Seiten. Anders als im März hat die Bundesregierung in diesem Herbst darauf verzichtet, die Grenze nach Frankreich einseitig zu schließen. Auch bei der Verschärfung der Corona-Beschränkungen sei die bessere Zusammenarbeit der Regierungen zu spüren, so Arend. Sie erfolgten zum gleichen Zeitpunkt und mit ähnlicher Stoßrichtung.

Umstrittene Corona-App: StopCovid wurde mittlerweile in AntiCovid umbenannt - doch der Erfolg der App bleibt weiter aus. Bild: StopCovid

Große Bauchschmerzen bereiten dem Politiker allerdings die Verständigungsprobleme der Corona-App. Frankreich hat mit seinem zentralen Ansatz einen europäischen Sonderweg beschritten, der sich nun als Sackgasse erwiesen hat. Die App selbst gilt angesichts geringer Downloadzahlen als Flop – und ist inkompatibel mit sämtlichen Apps der Nachbarstaaten. "Ich habe immer wieder in Briefen an die Verantwortlichen darauf aufmerksam gemacht", so Arend. Doch eine Lösung des Problems würde wohl eine komplette Neuentwicklung der App und einen Strategiewechsel erfordern – dazu kann sich die Regierung in Paris bislang allerdings nicht durchringen.

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