Frankreichs Bürgerrechtler schlagen Alarm
11. Dezember 2015 Frankreich hat als Folge der Pariser Terroranschläge vom 13. November den Ausnahmezustand verhängt. In der Bevölkerung ist das weitestgehend akzeptiert, doch einige Bürgerrechtler sind stark beunruhigt: Der Notstand schränke politische Aktivisten ein. Denn Frankreich hat nicht nur öffentliche Versammlungen und Demonstrationen während der Weltklimakonferenz verboten. Der Staat hat auch von seinen Notstandgesetzen Gebrauch gemacht und mehr als 300 Menschen - darunter 24 Klimaaktivisten - unter Hausarrest gestellt und zwar ohne Gerichtsbeschluss. Hausarrest für Umweltaktivisten Einer davon ist Joel Domenjoud. Der 31-jährige Pariser ist ratlos, warum die Behörden seine Bewegungsfreiheit einschränken dürfen. "Ich habe mich an einer internationalen Protestbewegung beteiligt. Gemeinsam mit anderen Leuten wird mir der Einsatz von Gewalt vorgeworfen, aber eben nicht mir persönlich", sagte Domenjoud der Deutschen Welle. Noch vor Beginn der Klimakonferenz haben bewaffnete Polizisten ihm einen Erlass überreicht. Darin steht: Domenjoud muss innerhalb seiner Nachbarschaft bleiben und nach 20 Uhr sogar in seiner Wohnung. Dagegen darf er keinen Einspruch erheben. Drei Mal am Tag muss er sich nun bei der lokalen Polizeistation melden. Falls er zu spät kommt oder sein Viertel verlässt, droht ihm eine Gefängnisstrafe von sechs Monaten. Frankreichs Außenminister Laurent Fabius sagte am Rande des Klimagipfels, dass die Regierung niemanden willkürlich bestrafe. Domenjoud weiß, dass er nicht zufällig festgenommen wurde: Die Polizei habe ihn auf dem Radar, weil er gegen das Verbot von öffentlichen Demonstrationen geklagt hatte. "Ich war in vielen der Proteste rund um den Weltklimagipfel involviert. Dass ich gerichtlich gegen das staatliche Demonstrationsverbot vorgegangen bin, ist einer der Gründe", sagte er. "Aber das Gericht hat die Klage ohne Verhandlung abgewiesen." Verfassungsänderung? Es gibt Anzeichen dafür, dass die französische Regierung solche Maßnahmen weiter verschärfen möchte. Laut der französischen Presseagentur AFP liegt bereits ein Entwurf einer Verfassungsänderung vor, der die Machtbefugnisse der Polizei ausweiten soll. Demnach könnten Bürger ohne richterlichen Beschluss auch nach Ende des Ausnahmezustands unter Hausarrest gestellt werden. Terrorverurteilte mit doppelter Staatsbürgerschaft könnten ihren französischen Pass aberkannt bekommen. Bürgerrechtsorganisationen wie die Internationale Föderation für Menschenrechte (FIDH) mit Sitz in Paris warnen vor solchen Entwicklungen: "Wir wissen, dass solche Gesetze noch bedrohlicher werden, wenn sie in der Verfassung verankert sind", so FIDH-Anwalt Clemence Bectarte. "Die Gefahr besteht, dass diese Gesetze dann gegen Aktivisten und sogar gegen die Meinungsfreiheit eingesetzt werden." Inzwischen kommen die Warnungen sogar von Mitte-rechts-Politikern wie dem ehemaligen französischen Premierminister Dominque de Villepin. "Wir könnten in eine Abwärtsspirale aus Angst und Ärger geraten", sagte de Villepin kürzlich dem französischen Fernsehsender BFM-TV. All das spiele dem Front National in die Hände. Wie der Front National profitiert Es gibt Anzeichen dafür, dass die Maßnahmen die Popularität der Regierung von François Hollande sogar geschwächt hat, obwohl eigentlich davon ausgegangen worden war, dass sie von der allgemeinen Situation profitieren könnte. Laut einer Umfrage der Meinungsforschungsinstitute Ifop und Fiducial sagen 68 Prozent der Wähler des Front National, ihr Ziel sei gewesen, die sozialistische Regierung abzustrafen. 16 Prozent geben an, dass sie ihre Wahlentscheidung für die Rechte erst nach den Pariser Terroranschlägen getroffen hätten. Nach dem Triumph des Front National wird der Ruf von Bürgerrechtlern lauter: Frankreich sollte nicht in die gleiche Falle tappen wie die Vereinigten Staaten nach den Terrorattacken vom 11. September 2001 und Bürgerrechte sowie demokratischen Grundwerte verletzen. "Man kann die Situation mit Patriot Act vergleichen. Frankreich hatte das damals stark kritisiert - 14 Jahre später machen wir das gleiche. Das ist unfassbar", sagt die Menschenrechtsanwältin Clemence Bectarte. Ob der Wahlerfolg des Front National die regierenden Sozialisten noch mal zum Nachdenken bringt, bevor sie die Machtbefugnisse der Regierung ausweiten, bleibt abzuwarten. Die Regierung von François Hollande setzt offensichtlich auf eine Hardliner-Strategie, um die Präsidentschaftswahlen 2017 zu gewinnen. Aber für Frankreich steht weit mehr auf dem Spiel: Die Folgen für das Land könnten weit über die nächste Wahlperiode hinausgehen.