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PolitikEuropa

Brexit: Fischer in Frankreich sind erleichtert

30. Dezember 2020

Der erbitterte Streit um die Fischerei war der letzte Stolperstein in den Brexit-Verhandlungen. Die französischen Fischer fühlen sich eher als Sieger als die britischen. Aus Boulogne-sur-Mer berichtet Bernd Riegert.

Frankreich Boulogne sur Mer | Fischerboote im Hafen
Hafen von Boulogne: Fischerkutter dürfen auch nächstes Jahr nach Großbritannien auslaufen Bild: Bernd Riegert/DW

Seit über dreißig Jahren ist Christophe Lhomel im Geschäft. Der Fischer fährt mit seinem Sohn fast täglich von Boulogne-sur-Mer hinaus auf den Ärmelkanal. Die letzten vier Jahre, seit die Briten für den Brexit stimmten, waren für ihn nervenaufreibend. Bis letzte Woche wusste er nicht, wie es mit seinem Familiengeschäft weitergehen würde, ob sein Sohn einmal den Fischkutter übernehmen könnte und andere Familienmitglieder weiter den frischen Fang am Vormittag auf dem Fischmarkt direkt am Hafenkai verkaufen können. "Wir waren wirklich erleichtert, dass es jetzt endlich ein Abkommen gibt, denn es geht hier um 70 Prozent unseres Fangs. Bei einem harten Brexit ohne Abkommen hätten hier 70 Prozent aller Fischer dichtmachen müssen", sagt Christophe Lhomel mit einer weiten Geste über den Hafenkai, an dem rund 30 kleinere Kutter festgemacht haben.

Das Geschäft geht weiter: Lhomel an seinem KutterBild: Bernd Riegert/DW

Gefahr abgewendet

Die großen Fischtrawler werden auf der anderen Seite des Hafens entladen. Der Fang wird auf Lkw verfrachtet und zu den großen Fischmärkten in Paris oder Brüssel geschafft. "Es gab für uns kleine Fischer ja auch die Gefahr, dass die anderen Europäer einfach in französische Gewässer gekommen wären, wenn sie nicht mehr in die britischen Fischgründe gedurft hätten. Für uns wäre alles verloren gewesen", meint Fischer Lhomel.

Das Ende ist abgewendet worden. In den nächsten fünfeinhalb Jahren dürfen die Fischer von Boulogne-sur-Mer laut dem Brexit-Abkommen weiter vor den britischen Inseln ihre Netze und Reusen auswerfen. Allerdings werden die Fischfang-Rechte nach und nach um 25 Prozent gekürzt werden. "Das wird unser Geschäft natürlich einschränken. Damit müssen wir jetzt umgehen", sagt Christophe Lhomel im Gespräch mit der DW. In andere Gebiete ausweichen können er und seine Kollegen kaum. "Der Ärmelkanal ist sehr schmal. Nach 30 Minuten Fahrt ist man in britischen Gewässern." 

Auch britische Kutter-Besatzungen landen ihren Fang in Boulogne anBild: Bernd Riegert/DW

Britische Fischer zürnen

An diesem leicht bewölkten, aber klaren Wintertag kann man von der Küste bei Boulogne die weißen Kreidefelsen von Dover auf der anderen Seite des Ärmelkanals sehen. Die britischen Fischer an der gegenüberliegenden Küste sind von dem last-minute Brexit-Deal weniger überzeugt als ihre französischen Kollegen. "Wir sind von Boris Johnson verkauft worden", erregt sich John Nicols, Chef der Fischer-Vereinigung in dem kleinen Badeort Ramsgate gegenüber der französischen Nachrichtenagentur AFP. Nicols hat seit der Brexit-Entscheidung von 2016 für einen harten Ausstieg gekämpft. Er wollte Kontrolle über die Küstengewässer und alle Fischfang-Rechte wieder in den Händen der Briten. Der Premierminister hatte es versprochen. Daraus wird nichts. Die Bedeutung der Fischerei für die gesamte britische Wirtschaft war am Ende wohl zu gering, um einen umfassenden Handelsvertrag noch zu verhindern. 

Fischverkäufer am Hafenkai: "Fisch wird weiter gegessen - mit oder ohne Brexit"Bild: Bernd Riegert/DW

Franzosen sind eher entspannt

"Wir haben eigentlich keine Probleme mit den englischen Fischern. Sie sind Fischer wie wir und wir haben immer zusammengearbeitet", erzählt Christophe Lhomel auf der französischen Seite in Boulogne-sur-Mer. "Ich glaube, die haben eher Probleme mit ihrer eigenen Regierung. Wenn das mit dem Brexit schiefgeht, dann deshalb, weil europäische Politiker nicht das Richtige tun, weder für uns Franzosen noch für die britischen Fischer." An der Kaimauer in Boulogne machen nicht nur französische, sondern auch britische Kutter, die mit gemischten Besatzungen fahren, fest. Sie fangen Seezungen, Plattfische, Krabben und Muscheln in britischen und französischen Gewässern und bringen die Ausbeute gleich nach Frankreich, denn hier und im Rest der EU werden rund 70 Prozent des Fisches aus britischen Fanggründen gekauft und verzehrt.

Keine Probleme mit den Briten: Französische Flagge und englisches Telefonhäuschen in einer Bar in BoulogneBild: Bernd Riegert/DW

Ob dieses direkte Geschäft nahtlos weitergeht nach dem 1. Januar ist nicht ganz klar. Ein britischer Fischer zuckt auf eine entsprechende Frage nur mit den Schultern. Der Fisch von den Schiffen, egal ob britisch oder französisch, wird sofort in kleinen Buden am Kai verkauft. Ginette betreibt zusammen mit ihrer Familie einen dieser Fischläden. Sie meint das Geschäft werde wohl irgendwie weitergehen. "Der Fisch wird kommen, weil die Leute ihn haben wollen." Trotz des Corona-Lockdowns in Frankreich ist der Fischmarkt gut besucht. Die Kunden drängeln sich - mit Masken - an den Ständen, um die Qualität der Ware zu prüfen und ein Schwätzchen zu halten. 

Was kommt nun?

Boulogne-sur-Mer, eine Stadt mit 40.000 Einwohnern, ist der größte Fischereihafen Frankreichs. Die Stadt macht seit den 1990er Jahren einen erheblichen Strukturwandel durch. Manche Anlage im Hafen steht leer. Die Arbeitslosigkeit ist in dieser nördlichen Region Frankreichs hoch. Wenn jetzt auch noch die Fischindustrie einen Schlag durch den Brexit bekommen hätte, wäre das ein großes Problem geworden. Mit dem Abkommen ist der Bürgermeister von Boulogne-sur-Mer aber ganz zufrieden. Allerdings kritisiert Frederic Cuvillier, dass die eilig ausgehandelte Vereinbarung zum Fisch viele Fragen im Dunkeln lässt. "Für die Fischer ist das zunächst eine Erleichterung, aber was bedeutet es langfristig für die Fischbestände?" fragt der Bürgermeister. Bislang hat die Europäische Union Fangquoten für jede Fischsorte festgelegt. Wie soll das künftig nach der Übergangsphase von fünf Jahren funktionieren? "Das einzige Gewissheit, die wir haben ist, dass wir noch viele kleine Vereinbarungen aus diesem Abkommen ableiten müssen", meint der Bürgermeister von Boulogne-sur-Mer. Eigentlich hatten die Fischer vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron verlangt, den Status quo von vor dem Brexit zu verteidigen. Doch Macron musste genauso wie der britische Premier Boris Johnson am Ende einen Kompromiss machen. Am Fisch sollten die Beziehungen der Briten zum Kontinent dann doch nicht scheitern. 

Strukturwandel: Leere Hafenanlagen dienen als stattlich geschützte Brutstätten für KüstenvögelBild: Bernd Riegert/DW
Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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