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Politik

Frankreichs neue Parteienlandschaft

1. Dezember 2017

In Frankreich haben sich mehrere neue Bündnisse und Bewegungen gebildet. Politisch genießen ihre Mitglieder große Freiheiten. Ideologisch völlig unterschiedlich, eint die neuen Führer eines: der Wille zur Macht.

Frankreich Elysée-Palast | Jean-Luc Melenchon & Emmanuel Macron
Netzwerker im Dialog: Präsident Emmanuel Macron (r.) und Jean-Luc Mélenchon, Gründer von "La France insoumise" Bild: Reuters/L. Marin

Die Zeit der Parteien alten Stils ist vorüber, begonnen hat die Ära einer Formation neuen Stils: der Netzwerkparteien. So ungefähr könnte man die derzeit agilsten Bewegungen in der französischen Politszene bezeichnen: Parteien, die keine geschlossenen Fronten mehr bilden und die offen in - fast - jede Richtung sind und deren Mitglieder so viele politische Freiheiten genießen wie kaum jemals zuvor.

Die populärste dieser neuen Formationen ist die des französischen Präsidenten Emmanuel Macron: "La République en marche!", versehen eigens mit einem Ausrufezeichen, das die Dynamik des neuen Geschöpfes signalisieren soll. Wer bei "En marche!", wie die Partei sich in der populär gewordenen Kurzform nennt, dabei ist, kann ruhig auch Mitglied einer anderen Partei sein - vorausgesetzt, diese ist "republikanisch" - was im Deutschen am ehesten mit "demokratisch" zu übersetzen wäre.

"Am Ende des Vertrauens"

Allerdings: Das lockere, eher im Stil einer "Bewegung" als einer geschlossenen Partei gehaltene Credo der Vereinigung drohte gerade in den letzten Wochen unter die Räder zu geraten. Mitte November hatte Parteichef Macron seinen Regierungssprecher Christophe Castaner als Parteichef durchgesetzt. Eigentlich hatte es für diesen Posten eine Wahl unter mehreren Kandidaten geben sollen, angesetzt für den 10. Dezember. Die aber fiel aus nicht genannten Gründen unter den Tisch. Auch darum beklagten zuletzt "100 Demokraten" in einem offenen Brief die ihrer Ansicht nach immer autoritäreren Strukturen der Partei. Allerdings verzichteten sie darauf, ihren Namen preiszugeben.

Doch auch anonym scheinen sie ein in der Partei verbreitetes Unbehagen zu artikulieren. "En marche!" sei in einem "depressiven Zustand", erklärte zuletzt Laurent Saint-Martin, einer der Parlamentsabgeordneten der Partei. Und Sarah Robin, eine ihrer Abgeordneten aus dem Norden des Landes, veröffentlichte kürzlich ein  Buch mit dem Titel "Au bout de la confiance", "Am Ende des Vertrauens".

"Nein zum Putsch gegen den Sozialstaat": Demonstration gegen Macrons ArbeitsmarktreformBild: Getty Images/AFP/C. Archambault

Auch immer mehr Bürger äußern ihr Unbehagen. Rund 65 Prozent der Wähler, erklärte Philippe Martinez, Generalsekretär der einflussreichen Gewerkschaft Conféderation générale du travail (CGT), gegenüber der Wochenzeitung DIE ZEIT, seien mit der Arbeitsmarktreform des Präsidenten unzufrieden. Deren Herzstück war die Einschränkung des Kündigungsschutzes. Auf diese Weise will Macron es den Firmen leichter machen, neue Mitarbeiter einzustellen.

"Die Konstruktiven"

Ein lohnenswertes Ziel, sind "Les constructifs", "Die Konstruktiven", überzeugt. Zu diesem neuen Bündnis haben sich im Juni dieses Jahres Abgeordnete der Mitte-Rechts-Partei "Union des démocrates et indépendants" ("Union der Demokraten und Unabhängigen", UDI) sowie aus den Reihen der Republikaner (LR) zusammengeschlossen. Daraus wiederum wurde am vergangenen Wochenende die neue Partei, "Agir, la droite constructive" ("Handeln - die konstruktive Rechte").

Deren Mitglieder eint vor allem ihre Selbstverordnung im rechtsliberalen Lager. Die ehemaligen Abgeordneten der Republikaner kritisieren vor allem den zunehmend rechten Kurs ihrer Partei. Diese hatte nach einem Skandal um ihren Spitzenkandidaten François Fillon - er hatte als Abgeordneter seine Kinder in gut dotierten Positionen für sich arbeiten lassen - ihre zunächst gute Chancen bei den vergangenen Präsidentschaftswahlen aufgeben müssen.

"Die Konstruktiven". Im Bild der elsässische Abgeordnete Franck Riester Bild: picture-alliance/abaca/E. Blondet

Unter ihrem Vizepräsidenten Laurent Wauquiez driftete sie nach Auffassung der "Konstruktiven" dann unzulässig weit nach rechts. Wauquiez habe "den Damm zur extremen Rechten" brechen lassen, warf ihm der LR-Abgeordnete Thierry Solère vor. Die Partei habe sich am "äußersten nationalistischen, konservativen Rand" eingerichtet, befanden andere "Konstruktive". Nun wollen einige - allerdings längst nicht alle - die Politik von Präsident Macron unterstützen.

Wie effektiv dieses Unterfangen sein wird, ist für die Tageszeitung "Le Monde" derzeit noch offen: "Geteilt hinsichtlich der Haltung gegenüber Emmanuel Macron, zerrissen durch persönliche Ambitionen, werden der Mitte-Rechts-Block und seine aus den Reihen der Republikaner stammenden Verbündeten noch erhebliche Mühe darauf verwenden müssen, sich auf ihre politische Rolle zu einigen."

"Das unbeugsame Frankreich"

Rackern für Frankreichs Präsidenten

04:26

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Ein anderes neues Bündnis hat seine Rolle bereits gefunden: "La France insoumise" ("Das unbeugsame Frankreich", FI), im Zuge der Präsidentschaftswahlen gegründet von dem linken Abgeordneten Jean-Luc Mélenchon. Das ehemalige Mitglied der französischen Sozialisten versteht seine jüngste Polit-Schöpfung "als Bewegung, nicht als Partei". Diese Bewegung sei "nicht vertikal, nicht horizontal, sondern gasförmig", erklärte er Mitte Oktober dem Wochenblatt "Le 1" - "das heißt, ihre Punkte verbinden sich auf transversale Weise" - mit anderen Worten: ohne eindeutig geordnete Hierarchie.

Dieser Aufbau mag dem überzeugten Linksaußen aus dem Herzen sprechen - im Zentrum seiner neuen Schöpfung sieht er sich gleichwohl. Vor allem aber hat er ihr eine sehr konkrete Ideologie verpasst: "Ihr Ziel ist es nicht, demokratisch zu sein, sondern kollektiv." Die Partei sei "ein Klassenwerkzeug", eine "organisierte Form des Volkes". Äußerungen wie diese haben ihm in Frankreich den Ruf eines Linkspopulisten eingebracht.

Für die nächsten Präsidentschaftswahlen bereitet Mélenchon sein gasförmiges Konstrukt jetzt schon vor - ebenso wie die anderen Charismatiker der bewegten Bündnisse. Eindeutig und straff geformt ist bei allen Vertretern dieses neuen politischen Typs indessen eines: Sie wollen regieren.

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika