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Politik

Macron ohne Mehrheit im Parlament?

Barbara Wesel
17. Juni 2022

Die zweite Runde der Parlamentswahl in Frankreich wird spannend: Ohne Mehrheit könnte Präsident Macrons Partei auf Stimmen des Linksbündnisses angewiesen sein. Ihm und Frankreich könnte die politische Lähmung drohen.

Frankreich Parlamentswahl | Emmauel Macron
Bild: Ludovic Marin/AP Photo/picture alliance

Für Präsident Macron war die erste Runde der Parlamentswahl in Frankreich am letzten Sonntag ein Schock: Die Kandidaten seiner Regierungspartei fuhren herbe Verluste ein und lagen gleichauf mit ihren politischen Gegnern der vereinigten Linken. An diesem Sonntag in der Ausscheidungsrunde wird es entsprechend spannend, denn es ist ungewiss, ob der Präsident überhaupt die Regierungsmehrheit in der Nationalversammlung erreicht.

Umbruch der politischen Landschaft

Bei der Präsidentschaftswahl im April sah es noch so aus, als ob Frankreich zwischen der politischen Mitte und den Rechtsextremen entscheiden müsse. Marine Le Pen errang einen starken zweiten Platz und sagte dem Präsidenten den Kampf an. Nach der Wiederwahl von Emmanuel Macron jedoch schlug das Bild um. Die Rechtsextremen vom "Rassemblement National" liegen auf dem dritten Platz. Sie sind regional weniger verankert als andere Parteien, feiern aber schon jetzt ihren Erfolg, denn auch sie werden deutlich mehr Abgeordnete nach Paris entsenden können als zuvor.  

Das neue Linksbündnis aber, geschmiedet aus Sozialisten, Kommunisten, Grünen und der linken Protestpartei "La France Insoumise", machte der Regierung richtig Feuer unter den Füssen. Der Wahlkampf, der wochenlang wie ein leeres Schattenboxen der Opposition erschienen war, nahm unerwartet Fahrt auf. Denn Jean-Luc Mélenchon als Anführer der "Nupes" getauften vereinigten Linken schaffte es mit flammender Rhetorik, vor allem junge Wähler zu begeistern und zu mobilisieren.

Jean-Luc Mélenchons Spezialität ist seine flammende Rhetorik - er verspricht den Wählern das Blaue vom Himmel Bild: Michel Spingler/AP Photo/picture alliance

Die Macron-Unterstützer sahen plötzlich, dass sie kämpfen mussten. Zwar deuten die Umfragen darauf, dass sie erneut stärkste Fraktion in der Nationalversammlung werden, aber eine Regierungsmehrheit von mehr als 289 Stimmen ist ihnen nicht sicher. Und das Lager des Präsidenten ist durch Affären wie den desaströsen Polizeieinsatz beim Europapokalspiel im "Stade de France" oder die Missbrauchsvorwürfe gegen einen der Minister geschwächt.

Warum schnitt Macrons Partei so schlecht ab?

Im April war Emmanuel Macron mit ordentlichen 58 Prozent wiedergewählt worden. Warum errang seine Partei jetzt nur ein gutes Viertel der Wählerstimmen? "Es gab keinen Enthusiasmus bei dieser Präsidentschaftswahl", erklärt Olivier Rozenzweig, Politologe der Sciences Po in Paris, der DW. "Macron wurde mangels Alternative gewählt, weil gegen ihn die rechtsradikale Marine Le Pen stand." Viele Leute hätten eher eine rechte Präsidentin vermeiden, als Macron wählen wollen.

Außerdem machten seine Leute in den Wochen bis zur Parlamentswahl kaum Wahlkampf, die Regierung wurde spät gebildet, die Kandidaten spät aufgestellt. Die normalerweise zersplitterte Linke aber habe sich früh auf je einen Kandidaten pro Wahlbezirk konzentriert, was ihren Erfolg erklärt.

"Eine andere Welt ist möglich" heißt der Slogan des Linksbündnisses Bild: Bob Edme/AP Photo/picture alliance

Macron aber könne in jedem Fall weiterregieren, sagt Rozenzweig, auch wenn die Präsidentenpartei, die sich zuletzt in "Renaissance" umbenannt hatte, keine absolute Mehrheit erzielt. "Das Parlament setzt in Frankreich nicht die Regierung ein", deshalb seien auch Minderheitsregierungen möglich. Nur müsse er jeweils Zugeständnisse an Oppositionsparteien machen, wenn er ein Gesetz durchbringen will. "Das ist die Ironie bei der politischen Situation in Frankreich", so der Politologe, das neu gewonnene Gewicht der Linken könne Macron eher dazu treiben, Konsens mit den Rechten zu suchen und seine Reformen dadurch wieder nach rechts treiben zu lassen.

Gift und Galle im Endspurt

Emmanuel Macron appellierte in dieser Woche bei ein paar schnell eingeschobenen Auftritten noch einmal an die Wähler, das Land mit einer "soliden Mehrheit" auszustatten und warnte vor politischer "Unordnung" durch die Pläne der Linken. Seine neue Premierministerin Elisabeth Borne nannte Mélenchon einen "Super-Lügner" und  Umweltministerin Amélie de Montchalin sieht in der Linken eine "Gefahr" für Frankreich und die drohende Unterwerfung gegenüber Russland. Finanzminister Bruno Le Maire schließlich erklärte, das Linksbündnis verfolge ein ökonomisches Projekt, das "direkt in den Bankrott" führen werde.

Mélenchon holzte zurück, Macron sei "das Chaos" und mache Frankreich zu einem Land, in dem man "nicht mehr leben" könne. Er verteidigt sein Programm und beschuldigt seine Gegner, sie würden "die Karte der Angst" spielen. Dabei zweifeln manche Ökonomen, etwa vom Thinktank "Institut Montaigne", durchaus an der Finanzierbarkeit von Mélenchons Vorhaben. Seine Pläne seien viel zu teuer, allein die Rückkehr zur Rente mit 60 wird mit 85 Milliarden Euro veranschlagt. Weitere Milliardensummen wären für das Gesundheitswesen, die Erhöhung des Mindestlohns und andere soziale Wohltaten fällig. Kurzum: Jean-Luc Mélenchons Versprechen würden die Staatsverschuldung in Frankreich gefährlich in die Höhe treiben.

Was kann passieren?

Erringt das Linksbündnis der "Nupes" wider Erwarten eine Mehrheit, kann Macron sich von seinen Reformvorhaben, vor allem der umstrittenen Rentenreform, verabschieden. Der Präsident hätte nur noch in der Außen- und Verteidigungspolitik das Sagen und müsste sich ansonsten mit dem Linksbündnis arrangieren. Mélenchon droht damit, das Amt des Premierministers für sich zu beanspruchen, würde aber zumindest wichtige Ministerposten für die Linke einfordern. Eine solche Kohabitation gab es zuletzt 2002 zwischen dem konservativen Präsidenten Jaques Chirac und seinem sozialistischen Premier Lionel Jospin, und sie führt in der Regel zu politischem Stillstand.

Ohne eigene Mehrheit im Parlament wird Präsident Macron das Regieren schwer - es könnte zur politischen Lähmung führenBild: Johan Ben Azzouz/MAXPPP/dpa/picture alliance

Schafft keine der großen Gruppen, weder Macrons Mittepartei noch das Linksbündnis eine Mehrheit, wird es auch schwierig. Das politische System in Frankreich hat keine Mechanismen zur Koalitionsbildung und der Präsident müsste sich für jede Abstimmung eine Mehrheit zusammensuchen oder einzelne Abgeordnete zum Seitenwechsel überreden.

Erreicht die Präsidentenpartei dagegen erneut eine Mehrheit, kann Macron seine politischen Pläne weiterverfolgen. Mit der Ruhe in der Nationalversammlung wäre es jedoch trotzdem vorbei - ein großer Linksblock kann ihm stets mit Straßenprotesten drohen und die erstarkten Rechtsextremen würden ihn bei Migration und Kriminalität unter Druck setzen. Egal, was wie das Ergebnis am Sonntagabend aussieht - die zweite Amtszeit wird für Emmanuel Macron schwerer als die erste.