Die Corona-Krise hat auch die französische Autoindustrie an den Rand des Abgrunds gebracht. Nun ergreift Präsident Emmanuel Macron die Initiative und stellt umfangreiche Hilfsmaßnahmen in Aussicht.
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Der Staat werde seine "Unterstützung massiv ausweiten", teilt der Staatspräsident auf dem Kurznachrichtendienst Twitter mit. Die Corona-Pandemie habe die Autobranche "brutal" zum Stillstand gebracht. Tausende Arbeitsplätze stünden auf dem Spiel. Im Gespräch sind unter anderem Kaufprämien für Hybrid- oder Elektrofahrzeuge. Einzelheiten will Emmanuel Macron am Nachmittag bekannt geben.
Der Präsident hat für diesen Dienstag zu einem Autogipfel in den Elysée-Palast eingeladen. Daran nehmen Vertreter der Autokonzerne Renault und PSA, von Zulieferbetrieben sowie der Gewerkschaften teil.
Autos in der Corona-Krise: Einbruch und Neustart
Eigentlich hatte die Corona-Krise das ersten Quartal des Jahres noch gar nicht ganz im Griff, und dennoch ist der Gewinneinbruch bei Daimler oder Renault gigantisch. Allerdings läuft langsam die Produktion wieder an.
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Gewinneinbruch
Ein Gewinneinbruch von 78 Prozent – das ist die Daimler-Bilanz für das erste Quartal. Noch bleiben 617 Millionen Euro übrig, aber Daimler sorgt vor: Oberste Priorität habe nun, die Liquidität zu sichern, so der Finanzvorstand Harald Wilhelm. Den ursprünglichen Jahresausblick kippte Daimler. Angesichts der Corona-Krise könne man Nachfrage, Lieferketten und Produktion nicht sicher einschätzen.
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Minus 20 Prozent
Vor allem das LKW-Geschäft ist dem Daimler-Konzern weggebrochen: Der weltweite Absatz von Lastwagen sank in den ersten drei Monaten des Jahres um 20 Prozent. In dem Zeitraum verkaufte die PKW-Tochter Mercedes-Benz weltweit 15 Prozent weniger. Dabei wurden Autohäuser und Fabriken erst im März ganz geschlossen.
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Nach dem Stillstand...
Seit Montag fährt Daimler nach vier Wochen Stillstand in großen Teilen der Produktion seine Werke wieder hoch. Seit dem 6. April gilt zudem Kurzarbeit, die nach jetzigem Stand erst Ende April auslaufen soll. Etwa 80 Prozent der rund 170 000 Beschäftigten in Deutschland sind in unterschiedlichem Maße davon betroffen.
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Erste Erholung
In China - hier Arbeiter bei der Pause in einer Auto-Fabrik von Dongfeng Honda - zeichnet sich bereits eine Erholung auf dem PKW-Markt ab. Die Verkäufe dort waren im März um 48 Prozent gesunken, nachdem sie im Februar noch um mehr als 80 Prozent eingebrochen waren. Fast alle Standorte von Daimler in China arbeiten inzwischen wieder.
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... zurück ans Band
Zurück ans Band geht's auch bei Volkswagen, jedenfalls zunächst in Zwickau: Nach mehr als fünf Wochen Corona-Stillstand läuft dort am Donnerstag die Fahrzeugproduktion langsam wieder an. In dem sächsischen VW-Werk wird seit November mit dem ID3 der vollelektronische Hoffnungsträger des Konzerns gebaut. Auch das Motorenwerk Chemnitz wird nun schrittweise wieder hochgefahren.
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Die VW-Zentrale
Die gigantischen VW-Fabriken am Stammsitz in Wolfsburg fahren erst am kommenden Montag die Bänder wieder an. Das Gleiche gilt für die Werke in Emden und Hannover. VW setzt dabei auf verschärfte Hygiene und kürzere Reinigungsintervalle. Arbeiter in Bereichen, in denen Abstände von 1,5 Metern nicht möglich sind, sollen Masken tragen. Die Taktzeiten werden deutlich verlangsamt, teilte VW mit.
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Die Reserven schmelzen
Auch dem französischen Autobauer Renault setzt die Corona-Krise massiv zu. Im ersten Quartal brach der Absatz um mehr als ein Viertel ein, der Umsatz schrumpft um fast 20 Prozent. Die Barmittelreserven von Renault im Autogeschäft schmolzen in den drei Monaten um ein Drittel auf 10,3 Milliarden Euro, teilte der Autokonzern in Paris mit.
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Fahrplan mit Gesundheitsschutz
Besser steht in Frankreich auch Konkurrent PSA mit seinen Marken Peugeot und Citroen nicht da: PSA setzte im Jahresvergleich mit rund 627.000 Fahrzeuge 29 Prozent weniger ab. Wie andere Autobauer auch bereitet PSA das Wiederanfahren seiner europäischen Werke vor. Noch verhandelt der Konzern aber über einen Fahrplan und Vorkehrungen für den Gesundheitsschutz mit Arbeitnehmervertretern.
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Im Epizentrum der Krise
In Italien, lange Zeit das Epizentrum der Corona-Krise in Europa, dürfen die Fabriken erst langsam ab dem 4. Mai starten. Das gilt auch für Fiat Chrysler. Der Autokonzern mit seinen Traditionsmarken war besonders hart getroffen worden: Fiat Chrysler verkaufte gut 76 Prozent weniger im März. Zum Vergleich: In der gesamten EU sackte der Autoabsatz im März um 55 Prozent weg.
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Macron möchte den Hilfsplan für die Autobauer nach einem Besuch bei dem Elektromotor-Hersteller Valéo in der Gemeinde Étaples in Nordfrankreich vorstellen. Damit will die Regierung den Erhalt der rund 1,3 Millionen Arbeitsplätze bei Herstellern sowie Zuliefer- und Servicebetrieben sichern. Außerdem soll Frankreich beim Ausbau der Elektromobilität eine führende Rolle spielen. Automotive-Unternehmen in Frankreich leidet wie andere in Europa unter dem massiven Einbruch der Neuwagenverkäufe.
"Renault kämpft ums Überleben"
Auch der Chef des angeschlagenen Renault-Konzerns, Jean-Dominique Sénard, ist zu dem Treffen im Elysée-Palast eingeladen. Der Staat hat Renault als 15-prozentiger Anteilseigner eine Kreditbürgschaft in Höhe von fünf Milliarden Euro in Aussicht gestellt. Renault hatte bereits vor der Coronavirus-Pandemie erstmals seit zehn Jahren rote Zahlen geschrieben. Hintergrund ist der Skandal um den in Japan festgenommenen und später geflohenen früheren Firmenchef Carlos Ghosn. Beobachter erwarten, dass der Autobauer noch in dieser Woche einen milliardenschweren Sparplan präsentiert, der Medienberichten zufolge auch Werksschließungen umfassen dürfte. Renault hat sich bisher noch nicht dazu geäußert.
Erst am Freitag hatte Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire deutlich gemacht, dass er Renault in einer schweren Krise sehe. "Renault kämpft um sein Überleben", sagte Le Maire der Zeitung "Le Figaro". Er habe den Antrag des Konzerns zu einem staatlich garantierten Darlehen von fünf Milliarden Euro "noch nicht unterzeichnet." Die Regierung fordere von Renault, "Verpflichtungen in drei Bereichen einzugehen: beim Elektrofahrzeug, beim Respekt gegenüber ihren Zulieferern und bei der Lokalisierung ihrer technologisch fortschrittlichsten Aktivitäten in Frankreich." Le Maire betonte außerdem, dass Renaults große Fabrik Flins im Pariser Großraum nicht geschlossen werden dürfe. "Dies ist die Position der Regierung und des Staates als Aktionär", sagte er dem Sender Europe 1. "Es besteht dringender Handlungsbedarf", warnte der Minister.
kle/sam (afp, rtr, dpa)
Carlos Ghosn - der tiefe Fall eines Supermanagers
Carlos Ghosn galt lange als Star der Autobranche. Dann begann ein Wirtschaftskrimi erster Klasse samt Flucht in einer Kiste. Letzten Mittwoch der erste öffentliche Auftritt in Beirut. Seine Karriere in Bildern.
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Seine Sicht auf die Dinge
Bei seinem ersten öffentlichen Auftritt nach seiner spektakulären Flucht aus Japan nach Beirut sagte Ghosn, er wolle vor allem "seine Ehre wiederherstellen". In Japan sei er "für schuldig gehalten" worden. "Entweder ich sterbe in Japan, oder ich entkomme irgendwie", sei seine Erkenntnis gewesen, sagt Ghosn. Er zeigt sich bitter enttäuscht über "das Land, dem ich 17 Jahre lang gedient habe."
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Auf dem Höhepunkt der Macht
In seinen besten Zeiten war Carlos Ghosn ein Superstar der Autoindustrie. Dank ihm wurde das Bündnis zwischen Renault, Nissan und Mitsubishi zum zwischenzeitlich zweitgrößten Autobauer der Welt. Bis Januar 2019 war Ghosn Chef von Renault-Nissan-Mitsubishi und Vorsitzender des Renault-Verwaltungsrats. Bis zu seiner Festnahme steuerte er ein Reich mit 122 Fabriken und 470.000 Mitarbeitern.
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Der Weg nach oben
Ghosn wurde in Brasilien als Sohn libanesischer Einwanderer geboren, studierte an einer französischen Elite-Uni und begann sein Arbeitsleben beim Reifenhersteller Michelin. 1996 wechselte er zum französischen Autokonzern Renault, wo er wegen seiner radikalen Umstrukturierungen den Spitznamen "Kostenkiller" bekam. Er zeigte sich gerne mit den Mächtigen - hier dem französischen Präsidenten Macron.
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Retter von Nissan
1999 hatte sich Renault bei Nissan eingekauft. Zu der Zeit befand sich die japanische Industrie-Ikone in einer tiefen Krise. Zur Rettung wurde Ghosn, damals Vizepräsident bei Renault, nach Japan geschickt. In den folgenden 16 Jahren gelang es ihm, Nissan wieder in die erste Reihe der globalen Autoindustrie zu befördern. Später kaufte Nissan 34 Prozent vom japanischen Konkurrenten Mitsubishi.
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Goldene Zeiten für Ghosn
Seit 2001 war Ghosn Vorstandschef von Nissan. Ab 2005 war er zusätzlich Vorstandschef von Renault. Ende 2016 wurde er Verwaltungsratsvorsitzender von Mitsubishi Motors. 2017 wechselte Ghosn dann in den Verwaltungsrat bei Nissan. Allein im Geschäftsjahr 2017 bis 2018 verdiente er insgesamt 17 Millionen Dollar. Sein Vermögen wird auf 120 Millionen Dollar geschätzt. (im Bild: Ghosns Villa in Beirut)
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Alles ganz legal?
Ob das Gehalt für den Lebensstil überhaupt gereicht hat, ist unklar. Vorwürfe wurden laut. Nissan habe in Beirut eine Neun-Millionen-Dollar-Villa für Ghosn gekauft, Renault habe Teile der Kosten der Hochzeit von Ghosn im Schloss Versailles getragen. Außerdem soll er private Investitionsverluste auf Nissan übertragen haben. Einige Nissan-Manager stellten ab 2018 geheime Nachforschungen an.
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Der Vorwurf
Im November 2018 wurde Ghosn in Tokio festgenommen und angeklagt. Die Anklage spricht von Verstößen gegen Börsenauflagen und die Verschleierung des wahren Salärs des Nissan-Chefs. Er soll Geschäftsberichte gefälscht haben, indem er seine Vergütung um 80 Millionen Dollar zu niedrig angab. Zudem habe er Vermögenswerte des Konzerns genutzt, um sich persönlich zu bereichern. Ghosn bestreitet all das.
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Ghosn als Opfer?
In einem Interview erklärte Ghosn Anfang 2019, die Anschuldigungen seien "Komplott und Verrat" von Nissan-Verantwortlichen. Aus Angst um ihren Job hätten sie ihn bei den Behörden angeschwärzt. Sie selber hätten in die eigenen Taschen gewirtschaftet. Im April 2019 wurde Ghosn unter strengen Auflagen auf Kaution aus der Untersuchungshaft in Japan entlassen, durfte das Land aber nicht verlassen.
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Inzwischen sind auch andere ins Zwielicht geraten
Hiroto Saikawa (Bild), Zögling von Ghosn und sein Nachfolger bei Nissan, trat im Herbst 2019 zurück und gab zu, Millionen Yen zu viel kassiert zu haben. Vizepräsident Hari Nada, einst Ghosns rechte Hand und Hauptinformant der japanischen Staatsanwälte, wurde wegen ähnlicher Vorwürfe im Oktober degradiert, aber nicht entlassen.
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Machtkämpfe zwischen Renault und Nissan
Wer bestimmt über wen? Die Japaner halten nur 15 Prozent der Renault-Aktien, die zudem ohne Stimmrecht sind. Renault hält dagegen 43 Prozent der Nissan-Anteile und möchte eine Fusion. Das schmeckt Nissan gar nicht, vor allem seit der französische Staat Ghosn vor ein paar Jahren den Auftrag gab, eine Fusion durchzuboxen. Nur Zufall? Der Sturz von Ghosn dürfte den Gegnern der Fusion gelegen kommen.
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Ein Violinenkasten war's wohl eher nicht
Wie in einem Spionagethriller soll der 65-jährige Ghosn, versteckt in einer Musikinstrumentenkiste, mit einem Privatjet aus Japan geflohen sein. Dabei hätten ihm zwei Amerikaner geholfen. Die Kisten seien am Flughafen nicht durchleuchtet und nicht vom Zoll geöffnet worden. Ihr Ziel: der Libanon. Ghosn hat die französische, die brasilianische und die libanesische Staatsangehörigkeit.
Bild: Colourbox
Kaution ist wohl futsch
Nach der spektakulären Flucht in den Libanon behält der japanische Staat die hinterlegte Millionen-Kaution ein, so der Beschluss des Bezirksgerichts in Tokio. Nach Japan zurückkehren wird Ghosn wohl trotz der internationalen Suchanfrage von Interpol nicht - der Libanon hat kein Auslieferungsabkommen mit Japan.
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Eine Autowelt nach Ghosn
Wie es mit der Autoallianz nach der Ära Ghosn weitergeht ist offen. Die Japaner sollten in den USA enorme Marktanteilsgewinne einfahren, was mit Rabatten und mitunter Qualitätsproblemen einherging. Mit diesen und anderen Problemen dürfen sich nun Ghosns Nachfolger beschäftigen: Nissans Gewinne sind eingebrochen, tausende Jobs auf der Kippe. Jahrelang war Nissan das Zugpferd - das ist nun vorbei.