Frankreichs Prêt-à-Porter in der Krise
27. März 2023In der Modebranche kriselt es. Der Sektor leidet unter der hohen Inflation - im Februar lag sie europaweit bei acht Prozent - und der wirtschaftlichen Unsicherheit durch den Ukrainekrieg sowie den deswegen gestörten Lieferketten. Davon bleibt selbst das Modeland Frankreich nicht verschont. Zwar klingeln bei Luxusmarken wie Chanel und Louis Vuitton weiterhin die Kassen. Doch im mittleren Segment des Prêt-à-Porter-Bereichs häufen sich die Konkursverfahren. Die Modeketten leiden unter der aktuellen Krise, haben es aber auch jahrelang versäumt, sich Marktentwicklungen anzupassen. Nur manche kommen gut durch den Sturm - mit innovativen Konzepten.
Zu Frankreichs Prêt-à-Porter-Ketten im Insolvenzverfahren gehören beispielsweise der 1896 gegründete Schuhhersteller André und die Frauenmodelabel Camaïeu und Kookaï. "Unsere Marke war früher sehr erfolgreich - wir hatten über 300 Läden in rund zehn Ländern", erklärt Jennifer Cohen Solal, Kookaïs Marketingdirektorin, gegenüber DW. "Aber nachdem die französische Unternehmensgruppe Vivarte uns 1996 übernahm, ging es bergab. Während andere Marken sich dem Markt anpassten, haben wir einfach nur überlebt. Unsere Kunden haben uns nach und nach die Liebe entzogen."
Vivarte konzentrierte sich mit Kookaï nun auf drei Länder - Frankreich, Spanien und die Schweiz - und ließ die 120 Filialen nach und nach veralten. Als das australische Unternehmen Magi die Marke 2017 übernahm, hatte Kookaï schon eine Umstrukturierungsphase hinter sich. Eine zweite folgte 2021. "Wegen unserer schon sehr angeschlagenen finanziellen Gesundheit haben die Banken dann unsere zwei Anträge auf staatlich unterstützte Kredite nach Beginn der COVID-19-Pandemie abgelehnt", fügt Solal hinzu. Seit Februar ist die Kette im Insolvenzverfahren.
Konjunkturelle und strukturelle Probleme
Die hohe Inflation und sinkende Kaufkraft der Verbraucher sei für viele Prêt-à-Porter-Firmen dieses Marktsegments dabei der "Todesstoß" in einer langen Reihe von Problemen, so Philippe Moati, Wirtschaftsprofessor an der Universität Paris Cité und Gründer des Pariser Marktforschungsinstituts ObSoCo. "Frankreichs Modeläden haben schon vor der aktuellen Krise unter den monatelangen Demonstrationen der sogenannten Gelbwesten für mehr soziale Gerechtigkeit ab November 2018 gelitten, während derer Käufer keine Lust auf Shopping hatten, und auch unter den wochenlangen Lockdowns seit Anfang der Covid-Pandemie 2020", sagt er zu DW.
"Außerdem hat Frankreich zu viel Verkaufsfläche, der Markt ist also mehr als gesättigt, und seit einer Gesetzesänderung 2017 sind Schlussverkäufe immer erlaubt, was den Wettbewerb extrem verschärft hat." Weiter unter Druck seien die Label durch Verkaufsseiten für gebrauchte Kleidung wie die litauische Plattform Vinted gekommen.
Dabei sei Frankreich früher im Prêt-à-Porter-Sektor der mittleren Preisklasse sehr stark gewesen, erinnert sich Gildas Minvielle, Direktor der Wirtschafts-Beobachtungsstelle der Pariser Modeschule Institut Français de la Mode. "Diese Ketten hatten in den 1980ern kleine Boutiquen als Hauptverkaufspunkte abgelöst und bis 2010 oder gar 2015 eine Hochphase", meint er zu DW.
Gegen die Billigheimer
Doch auch die sogenannte Fast Fashion habe diese aufgerüttelt - extrem günstige Mode, die man kontinuierlich trendbezogen herstellt. "Gerade das chinesische Unternehmen Shein ist ein großer Konkurrent, als Pure Player, also nur im Internet, der alle Größen, auch die sehr kleinen und sehr großen, anbietet", sagt Minvielle. Neben teurer Ware verkauft sich nämlich auch die extrem günstige gut.
Gerade den Trend zur Billigkleidung findet der Modeexperte besorgniserregend: "Jeder Kauf hinterlässt eine Spur, und junge Leute sollten sich darüber bewusst sein, wie umweltschädlich Fast Fashion ist." Letztere kritisiert man vor allem wegen ihres hohen Verbrauchs an Ressourcen und den teilweise sehr fragwürdigen Arbeitsbedingungen.
Ein Lichtstreifen am Horizont
Michel Rességuier fügt all dem hinzu, dass mit der COVID-19-Pandemie und dem sich nun etablierten Homeoffice die Mode ihren Identitätswert noch weiter verloren habe. Der Insolvenzberater begleitet seit 1986 Unternehmen des Sektors. "Bis 2019 ging man zwar nicht mehr mit der Krawatte ins Büro, aber noch mit einem Hemd - inzwischen arbeitet man im T-Shirt von zuhause aus", sagt er zu DW. Dieser Trend habe um 2000 herum angefangen, als zum Beispiel der Gründer des amerikanischen Technologieunternehmens Apple, Steve Jobs, der 2011 an Krebs verstarb, seine Pressekonferenz in Turnschuhen und T-Shirt hielt. Für Rességuier müssten die Prêt-à-Porter-Ketten im mittleren Preissegment akzeptieren, dass das Marktvolumen sinke.
Dennoch gebe es einen Lichtstreifen am Horizont, den er auch mit dem französischen Frauenlabel Paprika, dem er gerade hilft, anstrebt. "Marken können überleben, wenn sie sich auf ihre Identität zurückbesinnen", meint er. "Wir versuchen, den Angestellten und Filialmanagern mehr Handlungsspielraum und Verantwortung zu geben. Sie wissen, was die Kunden brauchen und wie wir sie wieder mehr an die Marke binden können."
Kookaï nutzt Internet - bis zu einem gewissen Punkt
Manche Ketten hingegen punkteten mit innovativen Konzepten, so Yann Rivoallan, Präsident des Verbands des weiblichen Prêt-à-Porters. "Firmen wie Loom und Bonne Gueule, die ihre Mode nachhaltig herstellen, sind erfolgreich", meint er gegenüber DW. "Außerdem schlagen sich diejenigen gut, die Kreativität zeigen und sich ein gutes Online-Image aufgebaut haben." Dabei könne ein Netzwerk an Geschäften durchaus eine Trumpfkarte sein. "Die Ketten könnten zum Beispiel ein hybrides Modell nutzen und Kunden anbieten, Waren online zu reservieren, um sie im Laden abzuholen, oder auch Events in den Geschäften organisieren", findet Rivoallan.
Etwas Ähnliches plant auch Kookaï laut Marketingdirektorin Cohen Solal. "Wir wollen den E-Commerce stärken, aber höchstens bis zu 15 Prozent unseres Umsatzes", sagt sie. "Denn Onlinewerbung ist wegen der seit 2018 geltenden europäischen Datenschutzregeln RGPD sehr teuer geworden - schließlich kann man sich nicht mehr auf Cookies verlassen, sondern muss Annoncen kaufen, deren Preise stark steigen. Zudem werden wir unsere Präsenz in den sozialen Medien stärken, um uns wieder auf unsere Hauptklientel zu konzentrieren: Frauen zwischen 25 und 35 Jahre."