Frantz Fanon: Algeriens Befreiungsheld wäre 100 Jahre alt
19. Juli 2025
Frantz Fanon war kein langes Leben vergönnt: Mit nur 36 Jahren starb er am 6. Dezember 1961 nahe der US-Hauptstadt Washington an Leukämie, ohne die algerische Unabhängigkeit zu erleben, für die er in den letzten Jahren seines Lebens alles gegeben hatte. Am 20. Juli 2025 jährt sich seine Geburt zum 100. Mal.
Für die Algerier ist der Psychiater, Theoretiker der Entkolonisierung und aktiver FLN-Kämpfer bis heute einer der Helden der Unabhängigkeit, doch seine Rolle während des Befreiungskrieges und sein Werk bleiben der breiten Öffentlichkeit außerhalb des nordafrikanischen Landes weitgehend unbekannt.
Kampf um die afrikanische Einheit
"Viele Leute, die wussten, dass ich Fanons Tochter war, schauten mich an, ich war ein Kind", sagt Mireille Fanon Mendès France zur DW. Sie ist die älteste Tochter von Frantz Fanon. Als Co-Vorsitzende der internationalen Frantz-Fanon-Stiftung hat sie ihren Vater kaum gekannt und nur wenige Kindheitserinnerungen an ihn bewahrt.
Bereits als Jugendliche tauchte sie in das literarische Werk ihres Vaters ein und ließ sich davon prägen. "Es ist eine Reflexion über das Konzept der Solidarität, zu verstehen, was Solidarität in einem Moment des Krieges, des Widerstandes bedeutet", so die Tochter. Der Vater mache deutlich, dass der Kampf um die Unabhängigkeit Algeriens nicht nur Algerien nützt. Sondern dass es auch um die afrikanische Einheit geht. "Und diese afrikanische Einheit, sie ist immer noch nicht da."
Alice Cherki schaut sich in ihrer Pariser Wohnung alte Dokumente aus ihrer Jugend während des Algerienkrieges an: "Ich wusste damals, dass es sich um Kolonialismus handelt", erinnert sie sich. Die heute 89-Jährige kannte Frantz Fanon gut. Sie arbeitete in den 1950er Jahren als Assistenzärztin in der psychiatrischen Klinik von Blida in Algerien an seiner Seite.
In diesem Krankenhaus pflegte der Psychiater Frantz Fanon als Abteilungsleiter nicht nur die Kranken, sondern half auch algerischen Nationalisten. "Wir nahmen die Verwundeten auf, die Kämpfer, die hierher kamen", sagte Cherki. Fanon habe eine angebliche Tagesklinik innerhalb des Krankenhauses einrichtet, nur zum Schein. In Wirklichkeit habe er heimlich die Verwundeten und die Menschen aufgenommen, die genesen sollten.
Engagement für die "algerische Sache"
Seit Beginn des Algerienkriegs 1954 engagierte sich Frantz Fanon bei den algerischen Nationalisten, während er weiterhin als Psychiater arbeitete. Er knüpfte Kontakte zu einigen Offizieren der Nationalen Befreiungsarmee sowie zur politischen Führung der Nationalen Befreiungsfront (FLN), insbesondere zu ihren einflussreichen Mitgliedern Abane Ramdane und Benyoucef Benkhedda. Ab 1956 engagierte er sich voll und ganz für die "algerische Sache".
Amzat Boukari Yabara ist Historiker und Autor des 2014 erschienenen Sachbuchs "Africa Unite", das die Geschichte des Panafrikanismus nachzeichnet. Er betont, es sei wichtig zu erwähnen, dass Fanon seine Stelle als Arzt im Herbst 1956 kündigt.
"Zu diesem Zeitpunkt hat er bereits Kontakt zu einer Reihe von FLN-Mitgliedern aufgenommen und wird später nach Tunis gehen, wo eine FLN-Zweigstelle eingerichtet wurde", sagt Yabara und fügt an: "Von Tunis aus nahm er am Kampf teil, indem er für die FLN-Zeitung El Moudjahid schrieb, um unter einem Pseudonym die Revolution zu begleiten. Ende der 1950er, Anfang der 1960er Jahre wurde er Botschafter der provisorischen Regierung der Algerischen Republik in Accra, ein reisender Botschafter für Afrika südlich der Sahara."
Leben in einer rassistischen Gesellschaft
Frantz Fanon, der sich nun als „Algerier" bezeichnete, verfasste einige der einflussreichsten Texte der antikolonialistischen Bewegung, allen voran kurz vor seinem Tod 1961 "Les Damnés de la Terre" ("Die Verdammten dieser Erde") mit einem Vorwort von Jean-Paul Sartre.
Der Mann, der in der französische Kolonie Martinique zur Welt kam, wuchs in einer französischen Kolonialgesellschaft auf, war tief von seinen Erfahrungen geprägt: Er zog mit 17 Jahren freiwillig für Frankreich in den Krieg. Als Schwarzer erlebt er den täglichen Rassismus in der französischen Armee. Nach dem Krieg studiert er Medizin und Philosophie in Lyon. Später zieht Fanon mit seiner Frau Josie ins französisch-algerische Blida, wo er Chefarzt der psychiatrischen Klinik wird.
Am 5. Juli 1962 erlangte Algerien nach einem achtjährigen bewaffneten Kampf gegen die damalige Kolonialmacht Frankreich die Unabhängigkeit. Historiker schätzen die Zahl der algerischen Toten auf 500.000, laut dem französischen Armeeministerium kamen etwa 25.000 Soldaten ums Leben.
Die Erinnerung aufrecht erhalten
Anissa Boumediene ist Schriftstellerin, Anwältin und ehemalige First Lady von Algerien. Sie war die Ehefrau von Präsident Houari Boumediene, der das Land von 1965 bis 1978 regierte. "Frantz Fanon ist ebenso Teil der algerischen Geschichte. Er hat die Unabhängigkeit verteidigt. Er war wirklich eine unendlich respektable Person", sagt sie zur DW.
Doch selbst in Algerien ist 64 Jahre nach seinem Tod die Erinnerung an ihn nicht selbstverständlich, meint der Publizist Lazhari Labter, der Fanons Schriften ins algerische Arabisch übersetzt hat: "Die heutigen Generationen wissen im Laufe der Zeit nichts mehr über die Geschichte ihres Landes und insbesondere über dieses Thema. Und natürlich sagt der Name Fanon, abgesehen von sehr kleinen Kreisen, abgesehen von Universitäten und Intellektuellen, den jüngeren Generationen nicht viel. Das mag daran liegen, dass seine Werke in Schulen, Gymnasien und Universitäten nicht gelehrt werden."
Immerhin, mehrere Straßen und eine Bibliothek tragen seinen Namen. Und zwei neue Filme - "Fanon" von Jean-Claude Barny von April 2025 und "Frantz Fanon" des algerischen Regisseurs Abdenour Zahzah aus dem Jahr 2024 - sollen sein Andenken und sein antikoloniales Denken wach halten.