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Kunst

Streit um Mozartdenkmal in Lwiw

3. Dezember 2021

An der modernen Skulptur scheiden sich die Geister in der westukrainischen Metropole Lwiw und im ganzen Land. Die Diskussion offenbart einiges über die ukrainische Gesellschaft.

Dirigentin Oksana Lyniv (links im Bild) bei der Eröffnung des Mozart-Denkmals in Lwiw, 26. August 2021
Dirigentin Oksana Lyniv enthüllte das Denkmal im Sommer - seitdem erhitzen sich die Gemüter Bild: Evgeny Kraws/DW

Um es gleich klarzustellen: Es geht nicht um Wolfgang Amadeus Mozart, sondern um seinen Sohn. Franz Xaver Wolfgang Mozart, der lebenslang als "Mozart figlio" unterschrieb, war das jüngste Kind des Musikgenies und dessen Frau Constanze. Franz Xaver mit dem Rufnamen Wolfgang war nur vier Monate alt, als der berühmte Vater 1791 in Wien starb. Dennoch trat er in seine Fußstapfen und wurde auch Musiker.

Über drei Jahrzehnte - und damit fast sein ganzes erwachsenes Leben - hat Franz Xaver in der ukrainischen Stadt Lemberg, heute Lwiw, verbracht. Er kam mit 17 als Privatlehrer an den damaligen Rand des Habsburgerreiches, verliebte sich in eine Aristokratin, blieb und prägte maßgeblich das Kulturleben der Stadt. Der "Lemberger Mozart" war Komponist, Dirigent, Gründer des lokalen Konzertvereins. Zum 35. Todestag seines Vaters dirigierte er erstmals dessen Requiem in Lwiws Sankt-Georgs-Kathedrale.

Eine Würdigung, die zum Streitfall wurde

Es geht also um einen hochverdienten und wichtigen Bürger des heutigen Lwiw, das sich als ukrainische Kulturmetropole und Pforte zu Westeuropa definiert. 2017 wurde das Festival LvivMozArt gegründet - mit dem Ziel, die Stadt zum Treffpunkt für ukrainische und westeuropäische Kultur zu machen. Die ukrainische Stardirigentin Oksana Lyniv war Mitinitiatorin und übernahm die künstlerische Leitung.

Großes Presseaufgebot bei der Eröffnung des Franz-Xaver-Mozart-Denkmals am 26. August 2021Bild: Evgeny Kraws/DW

Auf ihre Initiative geht auch das Projekt eines Mozartsohn-Denkmals in Lwiw zurück. Drei Jahre lang dauerten die Vorbereitungen, damit zum angepeilten Ziel - dem 230. Geburtstag des Musikers 2021 - die Einweihung stattfinden konnte. Sponsorengeld wurde für die Aktion akquiriert. Im April 2021 wurden die Entwürfe in Lwiw präsentiert. Den Zuschlag bekam der deutsch-österreichische Bildhauer Sebastian Schweikert. Schweikert, geboren 1966 in Brandenburg und in Wien und Salzburg tätig, ist ein Schüler des berühmten Wiener Malers und Bildhauers Alfred Hrdlicka.

Franz Xaver Mozart heute und vor 200 Jahren: der Kopf der Skulptur (links) von Sebastian Schweikert (der Bildhauer rechts im Bild), Mozart-Portrait von Karl Gottlieb Schweikart (Mitte)

Er hatte sich zum Ziel gesetzt, "eine Skulptur zu schaffen, die nicht der Tradition des klassischen Denkmalbegriffes entspricht, weder des sozialistischen Realismus noch des Klassizismus", so Schweikert im DW-Gespräch. Sein Franz Xaver, ebenerdig und mit knapp drei Meter nicht gerade riesig, soll den heutigen Mitbürgern unmittelbar begegnen. "Meine Skulptur besteht aus traditionellen Elementen, wie man sie bei klassischen Denkmälern findet, genauso aber auch aus modernen Proportionsverschiebungen: Sie hat eine 'große Geste', sie hat etwas Aufrechtes", verdeutlichte der Künstler im Gespräch mit dem Ukrainischen Programm der DW.

Die riesige Perücke auf dem Kopf der Statue und die gigantische, nach vorne ausgestreckte Dirigierhand symbolisieren den Schatten des übergroßen Vaters, an dem Franz Xaver sich lebenslang messen musste. Unter der Perücke ist aber auch ein menschliches Antlitz zu sehen, in dem ein aufmerksamer Beobachter Ähnlichkeit mit dem bekanntesten Franz-Mozart-Portrait erkennt. Das Bild entstand 1825 in Lwiw, der Maler trug zufällig fast den gleichen Nachnamen wie Sebastian Schweikert: Karl Gottlieb Schweikart. "Die Skulptur von Franz Xaver Mozart sagt im Grunde: 'Ich bin es, ich behaupte mich!'", so der Bildhauer im DW-Gespräch.

Eine intakte Innenstadt: Lwiw will auch eine Mozart-Stadt seinBild: Sergii Figurnyi/Zoonar/picture alliance

Lwiws Bürgermeister Andrij Sadovyj hatte dem Denkmal einen prominenten Platz zugewiesen - den Malanjuk-Platz im Herzen der Stadt, in der Nähe von Oper und Philharmonie, deren Gemäuer sich an Auftritte von Chopin, Liszt und Tschaikowsky erinnern. Einzig Jewhen Malanjuk, nach dem der Platz benannt ist, war kein Musiker, sondern Dichter und Kämpfer für die Unabhängigkeit der Ukraine in den 1920er-Jahren.

Monster oder Kunstwerk?

Im August wurde die Skulptur feierlich enthüllt. Allerdings erfreute der neue Mitbürger in Bronze nicht jedes Lwiwer Herz. Zahlreiche Einwohner der Stadt empfanden den "Gast aus dem Westen" als Fremdkörper in ihrer historisch geprägten Innenstadt, die zum UNESCO Weltkulturerbe zählt. Der Stil der anderen Denkmäler der Stadt ist eher klassisch.

Zudem fühlte sich die Künstlerszene von Lwiw übergangen. Eine "Antimozart-Bewegung" formierte sich, in den sozialen Medien kursierten Begriffe wie "Monster", "Ungeheuer" und "Chupacabra". Eine Petition forderte den Abriss des Denkmals.

Die Statue ist nicht bei allen so unbeliebt...Bild: Daniel Tiurin/DW

Aber es entfaltete sich auch eine Gegenbewegung. Die ukrainische Kulturszene machte sich mit internationaler Unterstützung gegen den Abriss stark. Oksana Lyniv bezeichnete die Absicht als "barbarische Aktion", der Dichter Serhiy Zhadan plädierte für das "Recht einer modernen Stadt auf Herausforderung und Experiment", der Schriftsteller Juri Andruchowytsch wies seine Mitbürger auf die Funktion der "zeitgenössischen Kunst für Zweifel, Dialog, Meinungsverschiedenheiten und letztendlich für Verständnis" hin. "Mozart abreißen? Das wäre, als würde man eine entgegengestreckte Hand abschneiden", schrieb Andruchowytsch auf Facebook.

Unter dem Hashtag #supportmozart beteiligten sich zahlreiche junge Lwiwer an einem Flashmob für den Erhalt der Skulptur. Auch aus dem Ausland waren Stimmen zu vernehmen: So riefen Katharina Wagner, Chefin der Bayreuther Festspiele, wie auch der Mozarteum-Präsident Johannes Honsig-Erlenburg dazu auf, dem Kunstwerk eine Chance zu geben.

Der Streit schwelt weiter

Am 30. November tagte der Stadtrat von Lwiw: 14 Abgeordnete sprachen sich für den Verbleib der Skulptur aus, 12 dagegen. 38 enthielten sich bei der Entscheidung.

Klassisch und heroisch: 2007 wurde in Lwiw dieses Denkmal für Stepan Bandera eingeweihtBild: Mykola Tys /ZUMA Wire/imago images

Damit ist der Streit aber nicht vom Tisch. Während Sebastian Schweikert im Statement gegenüber der DW die Entscheidung "für die Freiheit der Kunst und für ein gemeinsames kulturelles Europa" begrüßte, formierte sich das Gegnerlager neu. "Wäre eine solche Reaktion auf meine Skulptur eingetreten, hätte ich auf das Honorar verzichtet und die Skulptur auf eigene Kosten demontieren lassen", polterte etwa einer der entschlossensten Gegner der Skulptur, der Kiewer Bildhauer Michel Ishchenko, bekannt für seine eher realistischen Darstellungen. Es bleibt also spannend - auch an der inneren, der kulturellen Grenze der Ukraine.

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