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Eigener Stil, eigener Kopf

Christoph Strack13. März 2014

Seit einem Jahr führt Jorge Mario Bergoglio die katholische Kirche. Der erste Lateinamerikaner in diesem Amt ist ebenso sehr Pfarrer wie Papst, konservativ wie reformfreudig. Reformen werden sein zweites Jahr prägen.

Papst Amtseinführung 19.03.2013
Bild: picture alliance/AP Photo

Er ist der erste Papst aus Lateinamerika, der erste Jesuit an der Spitze der katholischen Kirche, das erste Kirchenoberhaupt mit dem programmatischen und verpflichtenden Namen Franziskus. All diese Attribute zeigen die Besonderheit des Argentiniers. Seit einem Jahr, seit dem Abend des 13. März 2013, führt er als Papst Franziskus die katholische Kirche.

Franziskus hat dem Amt längst einen eigenen Stil gegeben, er hat erkennbar einen eigenen Kopf. Das zeigt schon sein Verständnis des Papstamtes. Bereits bei seiner ersten Ansprache von der Loggia des Petersdoms fiel auf, wie betont sich Bergoglio als „Bischof von Rom“ beschrieb. Das ist der erste unter ziemlich vielen offiziellen Titeln, die dem Papst traditionell zukommen. Aber selten hat ein Papst der Neuzeit diese Rolle so betont. Gegenüber anderen Kirchen (welcher Konfession auch immer) ist das ein wichtiges Zeichen der Demut.

Und kein Papst der jüngeren Kirchengeschichte wirkte zugleich so sehr wie ein Pfarrer. Franziskus sucht die Nähe zu den Menschen, die er (nicht immer zur Freude des vatikanischen Apparats und der Sicherheitskräfte) wohl braucht. Er pflegt eine schlicht wirkende, aber eben die Herzen erreichende und doch anspruchsvoll theologische Rede.

Papst als Telefonseelsorger

Er geht der Not der Menschen nach. Nicht nur mit seinen demonstrativen Besuchen auf der vor Afrika liegenden italienischen Flüchtlingsinsel Lampedusa oder in römischen Kleineleutevierteln. In einem Interview vor wenigen Tagen erzählte er von seiner Gewohnheit, einfach Leute anzurufen. Und nannte ein konkretes Beispiel: „Eine Witwe von 80 Jahren, die ihren Sohn verloren hatte. Sie schrieb mir. Und jetzt rufe ich sie einmal im Monat an. Ich mache den Pfarrer. Das gefällt mir.“

Lampedusa: Franziskus unter FlüchtlingenBild: AFP/Getty Images

Aber Franziskus will mehr: Neuerungen im Großen wie im Kleinen. Im Großen wird es gewiss länger dauern, da reicht das Telefon nicht. Und es geht ihm nicht oder weniger – das ist noch nicht abschließend erkennbar – um Änderungen in Fragen der kirchlichen Lehrdoktrin. Aber der Papst aus Argentinien erinnert – wie vor 800 Jahren jener Franziskus aus dem umbrischen Assisi, der sein Vorbild ist – die Kirche an das Evangelium. Er zog raus aus dem Apostolischen Palast in eine Gemeinschaftsunterkunft. Täglich predigt er mit einfachen Worten zur biblischen Botschaft. Er prangert die Missstände am globalen Wirtschaftssystem oder die Defizite in der Flüchtlingspolitik an, über die sich fast niemand mehr aufregt. Ausgegrenzten geht er gezielt hinterher: Flüchtlingen, Armen, sehr häufig den Behinderten, die bei seinen Audienzen auf dem Petersplatz dabei sind.

Zwei Päpste und ein "Kabinett"

Vieles davon ist immer noch revolutionär. Auch wenn die Form der katholischen Kirche im Laufe der Jahrhunderte längst nicht nur in Stein gemeißelt war, sich durchaus stetig verändert – mal gemächlich, oft unter Druck, gelegentlich in Klugheit: der 13. März 2013 war der Beginn einer revolutionären Entwicklung. Wer hätte es vor dem Rücktritt des 85-jährigen Benedikt XVI., dieser so mutigen und kirchenhistorisch bedeutenden Entscheidung, und auch noch vor einigen Monaten für möglich gehalten, dass sich zwei römisch-katholische Päpste einander bei einem Gottesdienst im Petersdom brüderlich umarmen.

Treffen sich zwei Päpste...Bild: Reuters

Manche Reform hat Franziskus angestoßen, vieles steht noch aus. Am weitesten ist die Neuordnung der vatikanischen Finanzinstitutionen vorangeschritten, die Franziskus komplett in Frage stellte. Inzwischen entsprechen sie internationalen Transparenz-Regeln und werden von erkennbarer Kontrolle begleitet.

In diesem Jahr fokussiert Franziskus den Blick auf das Thema Familie. Mittlerweile trauen sich auch kirchliche Amtsträger von verschiedenen Lebensformen, von scheiternden Beziehungen oder Homosexualität und Sexualmoral zu reden. So viele Kardinäle wie nie zuvor diskutierten diese Themen Mitte Februar im Vatikan, und Franziskus hörte allen zu. Im Oktober steht dazu eine Synode an. Vielleicht wird sie zeigen, ob und wie sich die katholische Kirche bei diesem Thema der Gegenwart annähert.

Völlig neu ist auch die Runde von acht Kardinälen aus den verschiedensten Teilen der Welt, die Franziskus alle zwei, drei Monate wie ein Regierungskabinett im Vatikan um sich schart. In diesem Kreis werden vermutlich weitere Reformschritte oder heiße Eisen erörtert. Klar ist: Franziskus ist dabei nicht einfach ein Reformer. Er kann so liberal wie konservativ wirken und sein. Er sprengt vielleicht diese Denkmuster. Und er wird gewiss darauf achten, nur Schritte zu gehen in der Kontinuität der Kirche. Zu seinen engen Mitarbeitern zählt er ganz unterschiedliche Vertreter, mutige und eher ängstliche Köpfe. Das sichert den Kurs – obwohl noch viel Veränderung nötig scheint.

Die Großen der Welt zu Gast

Die Welt kommt auf Einladung des Papstes - Weltjugendtag 2013 in Rio de JaneiroBild: AFP/Getty Images

In seinem ersten Jahr hat Franziskus eine einzige Auslandsreise absolviert. Sie führte im Juli zum Weltjugendtag nach Rio de Janeiro. Diese Reise war auch eine Hommage an seinen Vor-Vorgänger Johannes Paul II., den er in wenigen Wochen heilig sprechen wird. Die Welt war bei ihm zu Gast nicht nur in Rio. Die Zahl der Besucher bei öffentlichen Papstaudienzen im Vatikan hat sich im Vergleich zu der Zeit davor verfünffacht. Auch die Großen der Welt kommen nach Rom. Mahmud Abbas und Benjamin Netanjahu, François Hollande und Angela Merkel, Wladimir Putin und Dilma Rousseff. Barack Obama und Queen Elizabeth II. werden in wenigen Wochen dort sein. Und immer wieder wendet sich Franziskus mit Appellen an die Politik. Die vatikanische Diplomatie arbeitet wieder als vernehmbare Stimme im internationalen Konzert.

Dazu hat auch seine erste und bislang einzige eigene Enzyklika beigetragen, „Evangelii gaudium“ (Freude des Evangeliums). In dem im November veröffentlichten Lehrschreiben übt Papst Franziskus harrsche Kapitalismus-Kritik, wenn er schreibt:. „Wir haben neue Götzen geschaffen. Die Anbetung des antiken Goldenen Kalbs …hat eine neue und erbarmungslose Form gefunden im Fetischismus des Geldes und in der Diktatur einer Wirtschaft ohne Gesicht und ohne ein wirklich menschliches Ziel.“ Mit solchen Aussagen zeigt der erste Papst aus Lateinamerika die nach wie vor lebendigen Seiten der Befreiungstheologie.

Der Papst vom anderen Ende der Welt

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