Frauen dringen in Hindu-Tempel ein
2. Januar 2019Der Streit, ob Frauen zwischen der Pubertät und den Wechseljahren den Hindu-Schrein betreten dürfen, hatte sich über Monate verschärft. Nachdem bekannt wurde, dass die beiden Frauen den Sabarimala-Tempel im südindischen Bundesstaat Kerala betreten und unter Polizeischutz unbehelligt verlassen hatten, erzürnten sich religiös-konservative Demonstranten. Vor dem Parlament in Keralas Hauptstadt Thiruvananthapuram ereigneten sich gewaltsame Zusammenstöße, die Polizei setzte Tränengas, Wasserwerfer und Blendgranaten ein. Auch in anderen Städten des Bundesstaats wurden Proteste gemeldet. Der Tempel wurde einem "Reinigungsritual" unterzogen.
Videoaufnahmen zeigen die beiden Aktivistinnen Kanaka Durgu und Bindu, wie sie in schwarzen Gewändern den Schrein betreten. Sie seien nicht über die "18 heiligen Stufen" zum Tempel gelangt, sondern über einen Personaleingang, berichteten sie anschließend. "Es ist eine Tatsache, dass die Frauen den Schrein betreten haben", sagte der Regierungschef von Kerala, Pinarayi Vijayan. "Polizisten sind dem Schutz aller verpflichtet, die im Tempel beten wollen." Lokale Medien berichten, die Frauen seien über 40, aber noch keine 50 Jahre alt.
Der Streit verschärft sich
Traditionell durften Frauen im Alter zwischen zehn und 50 Jahren den Sabarimala-Tempel nicht betreten, weil sie wegen der Menstruation als unrein angesehen wurden. 1972 wurde die informelle Regelung gesetzlich verankert. Im September hob das Oberste Gericht des Landes diese Regelung mit Verweis auf die Gleichberechtigung von Männern und Frauen auf. Viele Gruppen, darunter auch die hindu-nationalistische Bharatiya Janata-Partei (BJP) von Premierminister Narendra Modi, kritisierten das Urteil scharf. Das Gericht habe nicht ausreichend gewürdigt, dass die im Tempel verehrte Gottheit Ayyappa im Zölibat lebte. Am 22. Januar sollen noch einmal die Gegner vor Gericht angehört werden.
Bereits im Oktober gerieten Aktivisten mit Polizeikräften aneinander, mehr als 2000 wurden verhaftet. Gläubige bewachten den Tempel, um Frauen den Zutritt zu verweigern. Am Neujahrstag versammelten sich Zehntausende Frauen zu einer Menschenkette, um für ihr Zugangsrecht einzustehen. Die Kommunistische Partei Indiens, die in Kerala regiert, sprach sogar von rund 5,5 Millionen Teilnehmerinnen.
Identitätspolitik zu Wahlkampfzeiten
Das BJP-Oberhaupt im Bundesstaat Kerala, P. S. Sreedharan Pillai, nannte den Tempelbesuch der beiden Frauen eine "Verschwörung der atheistischen Herrscher, um die Hindu-Tempel zu zerstören". Seine Partei unterstütze die "Kämpfe gegen die Zerstörung des Glaubens durch die Kommunisten". Die BJP rief die Demonstranten dazu auf, friedlich zu bleiben.
Indien sieht sich zunehmend einer Verhärtung zwischen religiösen und säkularen Gruppen ausgesetzt, seitdem die BJP wieder regiert. Die Partei von Regierungschef Modi hofiert vor allem konservative und fundamentalistische Hindus - einerseits, indem sie dem altindischen kulturellen und religiösen Erbe neues Gewicht verleiht, andererseits durch die Ausgrenzung anderer Religionsgemeinschaften. Insgesamt machen Hindus mit rund 80 Prozent den größten Teil der gut 1,2 Milliarden Inder aus, Muslime sind mit 14 Prozent die zweitgrößte religiöse Gruppe, gefolgt von Christen und Sikhs. In diesem Jahr stehen Parlamentswahlen in Indien an, die BJP will deshalb zunehmend ihre Stellung unter hinduistischen Wählern sichern. Deshalb ist der Konflikt um Tempel im Süden des Landes kaum von der Identitätspolitik der BJP zu trennen.
ehl/kle (afp, ap, epd, Tagesschau, Munzinger)