Frauen erobern das Cockpit
23. August 2013"Eher wird eine Frau Boxweltmeister im Schwergewicht als Kapitän bei der Deutschen Lufthansa". Der Satz war Maxime. Jahrzehntelang. Doch Alfred Vermaaten, der ehemalige Leiter der Lufthansa-Verkehrsfliegerschule, täuschte sich. Die erste Boxweltmeisterin triumphierte 1994, Lufthansa-Pilotinnen gab es jedoch schon 1988.
Nicola Lisy und Evi Hetzmannseder machten den Anfang. Nach zweijähriger Berufsausbildung saßen sie mit gerade einmal 23 Jahren am Steuerknüppel einer Boeing 737 - zunächst als Kopilotinnen. "Natürlich mit ganz viel Stress, wir waren ja noch Neulinge. Zum ersten Mal mit Passagieren an Bord, ich hatte weiche Knie", erzählt Evi Hetzmannseder rückblickend. Im Jahr 2000 wurde sie Kapitänin, eine Berufsbezeichnung, die Lufthansa extra für Hetzmannseder und ihre Nachfolgerinnen einführte.
Immer noch Männersache
Was vor 25 Jahren eine Revolution war, gehört mittlerweile zum Alltag. Dennoch sind heute nur etwa sechs Prozent der Lufthansa-Piloten weiblich. Und damit liegt die deutsche Fluggesellschaft noch vor ihrer Konkurrenz Air France und British Airways. Bei Singapore Airlines gibt es bis heute keine einzige Pilotin, bei Sri Lanka Airlines zumindest eine. In den USA sind auch nur lediglich sechs Prozent der Piloten weiblich.
Dass heute nur rund 300 Pilotinnen bei der Lufthansa angestellt sind, liegt nicht etwa an einer geringeren Leistungsfähigkeit von Frauen gegenüber Männern, die diesen Berufswunsch haben. Der Anteil der Bewerberinnen, die den Auswahltest der Lufthansa besteht, ist bei beiden Geschlechtern proportional gleich hoch. "Weder beim Eignungstest noch beim fliegerischen Können sind Unterschiede zwischen den Geschlechtern zu erkennen", erklärt Lufthansa-Kapitän und Ausbilder Rolf Müller. Nur nehmen eben immer noch viel weniger Frauen überhaupt an dem Test teil.
Weder Einstein noch Top Gun
Viele Frauen trauten sich den Beruf nicht zu, meint Riccarda Tammerle, die seit 13 Jahren Kopilotin bei der Lufthansa ist. Dabei würden neben körperlicher und geistiger Fitness lediglich durchschnittliche mathematisch-naturwissenschaftliche Fähigkeiten gefordert.
"Früher habe ich gedacht, man müsse Elektroingenieur sein oder Zuhause selber Stromkreise aufgebaut haben." Aber das Gegenteil wäre der Fall, so Tammerle, die vor ihrer Pilotinnen-Laufbahn zwei Jahre als Flugbegleiterin arbeitete. Viel wichtiger sei es, dass man "multitaskingfähig ist und sich über lange Zeit konzentrieren kann." Im Cockpit zählten Eigenschaften wie Flexibilität und Teamfähigkeit. Fliegen sei heute eine Managementaufgabe. Deshalb lautet ihre Forderung: "Mehr Frauen ins Cockpit!"
Flexible Arbeitszeitmodelle
Dass es Frauen in der männerdominierten Flugbranche schwerer hätten, glaubt Evi Hetzmannseder aber nicht. "Akzeptanz kommt durch Leistung", sagt sie selbstbewusst. Vier goldene Streifen schmücken die Ärmel ihres marineblauen Jacketts, das Rangabzeichen der Kapitänin. "Frauen bevorzugen eher kreative und soziale Berufe. Deshalb braucht es Anreize, um Frauen ins Cockpit zu bringen."
Lufthansa spricht ganz gezielt junge Frauen an. Der Luftfahrtkonzern wirbt mit einer Vielzahl von Arbeitszeitmodellen, damit Pilotinnen Beruf und Familie besser vereinbaren können. Das gelte im Übrigen auch für Männer, sagt Michael Lamberty. Außerdem gelte der Grundsatz "Gleiche Bezahlung bei gleicher Arbeit", so der Unternehmenssprecher. Das Einkommen richte sich ausschließlich nach dem Dienstalter. Trotzdem: Der Ansturm von Nachwuchsfliegerinnen auf die konzerneigene Pilotenschule ist bislang ausgeblieben.
Kapitän Müller weist noch auf einen historischen Grund hin: "In den USA haben sich die großen Fluggesellschaften aus der Armee rekrutiert." In der Armee sei es ungeschriebenes Gesetz gewesen, dass Frauen nicht an der Waffe dienten. "Flugzeuge sind nicht nur Transport-, sondern auch Waffensysteme gewesen". Dadurch seien Frauen relativ spät ins Cockpit gekommen. "Heute haben wir Frauen als Kampfpiloten. Das belegt, dass Frauen genauso gut ihre Aufgaben erledigen wie Männer."
Die weltweit erste Frau im Cockpit eines Kampflugzeuges war aber keine Amerikanerin, sondern die Türkin Sabiha Gökcen. Sie war die vierte der acht Adoptivtöchter Mustafa Kemal Atatürks, des ersten Präsidenten der türkischen Republik.
Töchter des Ikarus
In Deutschland machte 1928 Marga von Etzdorf den Anfang als erste Lufthansa-Pilotin. Ein kurzes Intermezzo - danach vergingen 60 Jahre, ehe wieder eine Frau im Lufthansa-Cockpit Platz nehmen durfte. Auch bei der ehemaligen DDR-Fluggesellschaft Interflug waren keine Pilotinnen erwünscht.
Evi Hetzmannseder sieht sich keineswegs als Vorbild für andere Frauen: "Mein Ziel war es nicht, anderen etwas zu beweisen oder irgendetwas Tolles darzustellen." Sie sei keine Vorkämpferin gewesen, sagt die Kapitänin. Ihrer Anstellung bei Lufthansa sei auch kein jahrelanger Kampf vorausgegangen. Es sei einfach immer ihr Traum gewesen, im Cockpit zu sitzen.
Keine Unterschiede zwischen Männern und Frauen
Bis 1991 flogen die ersten Pilotinnen bei der Lufthansa in Männeruniformen. Inzwischen sind auch Haarspangen, Haargummis, Damenkrawatten, Nikkituch und Handtasche Bestandteile der Uniform. Evi Hetzmannseder, Mit-Initiatorin der Uniform und Accessoires für Lufthansa-Pilotinnen, legt auf Rock oder Kleid aber keinen Wert. Sie trägt gern Krawatte.