Frauen im Iran: "Staat kann Veränderung nicht aufhalten"
19. Mai 2025
Die Politik des Staates in der Frage des Hidschab sei derzeit, keinen strengen Regeln zu folgen, sagte der konservative Politiker Ali Motahari vergangene Woche am Rande der Internationalen Buchmesse in Teheran gegenüber Journalisten. Die Polizei solle momentan nur bei groben Verstößen einschreiten. "Man muss wissen: Selbst zur Zeit des Schahs – also vor der Revolution 1979 – wurden Frauen festgenommen, die sich in der Öffentlichkeit nicht anständig kleideten", sagte er weiter.
Ali Motahari gehört zu den konservativen Politikern, die noch vor den landesweiten Protesten nach dem Tod von Jina Mahsa Amini im Polizeigewahrsam im September 2022 wiederholt ein rigoroses Vorgehen gegen Frauen forderten, die es wagten, selbst geringfügig von den strengen Kleidungsvorschriften abzuweichen. "Warum dürfen Frauen unter ihrem Mantel eine enge Hose tragen?", fragte er bereits im Jahr 2014 als Parlamentsabgeordneter den damaligen Innenminister und forderte die Behörden dazu auf, konsequenter gegen betroffene Frauen vorzugehen.
"Ein verändertes Land"
"Was wir in den letzten drei Jahren erreicht haben, kann uns der Staat nicht mehr nehmen", schreibt eine Genderforscherin und Journalistin aus Teheran auf Nachfrage der DW. Sie gehört zu den Frauen, die sich nicht nur weigern, in der Öffentlichkeit ein Kopftuch zu tragen, sondern auch andere Frauen ermutigen, selbst zu entscheiden, ob sie das Kopftuch in der Öffentlichkeit tragen wollen oder nicht. Für diese Haltung wird sie regelmäßig von den Behörden verwarnt und erhält sogar Todesdrohungen von anonymen Anrufern.
"Sie können uns nicht mehr zwingen, ihren Regeln zu folgen und jedes Mal, bevor wir das Haus verlassen, automatisch ein Kopftuch zu tragen", sagt sie.
Das Land habe sich nach dem Tod von Jina Mahsa Amini verändert, betont sie weiter. Ein Beispiel für diese Veränderung konnte man bei der Beerdigung von Shiva Aristoui, einer iranischen Schriftstellerin und Dichterin (Tweet), am 12. Mai sehen.
Im Haus der iranischen Künstlerin wurde ihr Sarg von Frauen ohne den vorgeschriebenen Hidschab getragen. Traditionell war das Tragen des Sarges lange Zeit Männersache, begründet durch religiöse und gesellschaftliche Normen. Seit der Bewegung 'Frauen, Leben, Freiheit' nehmen immer mehr Frauen ohne den vorgeschriebenen Hidschab an Beerdigungen teil und tragen die Särge ihrer Angehörigen.
Viele von ihnen halten sich bewusst von ausländischen Medien fern und suchen keine öffentliche Aufmerksamkeit - um ihren Weg ohne zusätzliche Repressionen fortsetzen zu können. Jeder Austausch mit internationalen Medien könne als "Propaganda gegen das System", einer "Zusammenarbeit mit einer feindlichen Regierung" oder gar als "Auftrag aus dem Ausland" gewertet und strafrechtlich verfolgt werden.
Ein Beispiel dafür ist die mehrfach international ausgezeichnete Journalistin Niloofar Hamedi. Durch ihre Berichterstattung über den Tod von Jina Mahsa Amini wurde sie 2022 international bekannt. Sie veröffentlichte unter anderem ein Foto der trauernden Eltern Aminis, das sich schnell in sozialen Netzwerken verbreitete und zum Symbol der landesweiten Proteste wurde. Diese Proteste entwickelten sich zur größten Protestbewegung im Iran seit der Islamischen Revolution 1979.
Hamedi wurde verhaftet und unter anderem wegen angeblicher "Zusammenarbeit mit einer feindlichen Regierung" und "Propaganda gegen das System" angeklagt und zu insgesamt 13 Jahren Haft verurteilt. Nach 17 Monaten wurde sie im Januar 2024 gegen Kaution freigelassen und im Februar 2025 mit ihrer Kollegin Elaheh Mohammadi vom iranischen Obersten Führer Ayatollah Ali Khamenei begnadigt.
Am 11. Mai, 2800 Tage nach jenem Bericht, der das Land veränderte, erschien erneut ein Artikel unter ihrem Namen in den großen Tageszeitungen des Landes "Shargh". Niloofar Hamedi darf wieder als Journalistin im Iran arbeiten.
"Dem Staat fehlt die Kraft, Veränderungen aufzuhalten"
Hat der Staat vor den Frauen kapituliert? "Nein", antwortet darauf Sedigheh Vasmaghi, Frauenrechtlerin und Theologin, auf Nachfrage der DW. "Was die Frauen mit ihrem Widerstand erreicht haben, wurde vom politischen System nicht akzeptiert. Doch der Staat hat nicht die Kraft, diese Veränderung aufzuhalten oder gar rückgängig zu machen."
Vasmaghi, die sich den protestierenden Frauen gegen den Kopftuchzwang angeschlossen hat, trägt in der Öffentlichkeit kein Kopftuch mehr. Im April 2023 schrieb Vasmaghi einen offenen Brief an den Obersten Führer Ali Khamenei, in dem sie dessen Dekret zur Hidschab-Pflicht kritisierte und betonte, dass der Koran keine solche Verpflichtung vorschreibt.
Im März 2024 wurde sie wegen "Propaganda gegen das System" und "öffentlichen Auftretens ohne schariakonformen Hidschab" verhaftet. Aufgrund ihrer gesundheitlichen Probleme wurde sie in den Hafturlaub geschickt.
Sie kann aber jederzeit wieder verhaftet werden. Davor hat sie aber keine Angst. "Der Staat im Iran ist mit massiven innen- und außenpolitischen Problemen konfrontiert und ist momentan nicht in der Lage, sich landesweit mit Frauen, vor allem mit Jugendlichen und jungen Frauen, anzulegen, die kein Kopftuch mehr tragen wollen", sagt sie und fügt hinzu: "Jede Maßnahme, die als wirkungsvoll erscheint, wird aber überprüft und sogar versucht umzusetzen".
Vasmaghi weist dabei auf die andauernde Debatte um die Einsetzung eines umstrittenen Gesetzes zur Überwachung der Frauen in der Öffentlichkeit im Iran hin. Das Gesetz sieht eine Reihe von Strafmaßnahmen für Frauen vor, die sich weigern, in der Öffentlichkeit den obligatorischen Hidschab zu tragen.
"Das politische System kann die Zeit aber nicht mehr zurückdrehen", sagt die Theologin Vasmaghi.