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Frauen im Iran wehren sich weiter gegen das Regime

Kersten Knipp | Shora Azarnoush
7. März 2024

Auch nach dem Tod von Jina Mahsa Amini vor 1,5 Jahren und den folgenden Protesten geht Teheran mit aller Härte gegen Frauen vor, die ihre Rechte einfordern. Doch Hidschabzwang und Gewalt befeuern den Kampf für Freiheit.

Eine Frau steht während einer Demonstration nach dem Tod der 22-jährigen Mahsa Amini vor einem brennenden Autoreifen und zeigt das Victory-Zeichen. Teheran, September 2022
Nach dem Tod von Jina Mahsa Amini im September 2022 gingen Menschen im ganzen Land auf die Straße, so wie hier in Teheran.Bild: dpa/AP/picture alliance

Eine Frau und ihre Freundinnen im Zentrum von Teheran, Iran, werden bedrängt von sechs bewaffneten Männern auf drei Motorrädern. "Zieht euren Hidschab an", fordern sie die Freundinnen auf. "Zieht euren Hidschab an!"

Die Szene aus dem vergangenen Jahr hat sich in das Gedächtnis einer der Frauen eingebrannt, die Erinnerung daran wird sie nicht mehr los. "Seit diesem Tag friert mein Körper jedes Mal ein, wenn ich das Geräusch eines Motorrads hinter mir höre", berichtet sie. "Deshalb gehe ich nicht mehr spazieren. Wenn doch, habe ich die ganze Zeit meine Kopfhörer auf."

Von diesem traumatisches Erlebnis habe ihr eine Frau aus Teheran erzählt, sagt die iranische, in London lebende Menschenrechtlerin Ghoncheh Ghavami im Gespräch mit der DW. Ghawami, die selbst wiederholt in den Fängen der iranischen Justiz war, steht weiterhin mit vielen Iranerinnen in Kontakt, trotz aller Schwierigkeiten und Gefahren. 

Szenen wie diese sind Alltag in Teheran. Auch die landesweiten Proteste nach dem Tod von Jina Mahsa Amini im Herbst 2022 haben daran nichts geändert. Die Kurdin war während einer Reise in die Hauptstadt festgenommen und in ein Polizeirevier gebracht worden, angeblich weil sie ihr Kopftuch nicht angemessen getragen habe. Wenige Stunden später wurde sie leblos aus dem Polizeigewahrsam ins Krankenhaus gebracht. Drei Tage später, am 16. September, wurde sie offiziell für tot erklärt.

Die darauf folgenden Proteste unter dem Slogan "Frau, Leben, Freiheit" entwickelten sich zu den am längsten andauernden seit der Gründung der Islamischen Republik im Jahr 1979. Darauf reagierte die Regierung mit massiver Repression und Gewalt. Exakte Angaben sind schwer zu erhalten, aber unabhängigen Menschenrechtsorganisationen zufolge haben die Sicherheitskräfte im Iran bei den Protesten allein in den ersten zwölf Monaten nach dem 16. September 2022 mindestens 550 Demonstranten getötet. Sieben Männer wurden im Zusammenhang mit den Protesten hingerichtet. Wie Amnesty International mitteilte, gab es mehr als 22.000 Festnahmen.

Dass die Repressalien nach wie vor weitergehen, berichtet auch die Rechtsanwältin und Aktivistin Nasrin Sotoudeh . Mitte Februar habe sie mehrere Anrufe von Mädchen und Frauen erhalten, sagt die Trägerin des alternativen Nobelpreises im Gespräch mit der DW.  Sie alle hätten kein Kopftuch getragen und seien von Zivilisten und Basidsch-Milizen, einer Freiwilligen-Abteilung, die organisatorisch den Revolutionsgarden zugeordnet ist, angegriffen und erniedrigend behandelt worden. Am folgenden Tag habe man über 60 Frauen vor Gericht gestellt. Einige habe man zu Geldstrafen verurteilt. "Es ist ein frauenfeindliches Regime", sagt Sotoudeh.

"Dieses verdammte Kopftuch"

Drohungen, Prozesse, Strafen. Gängelungen wie die Beschlagnahme von Autos, körperliche Übergriffe und Demütigungen: Die Repressionen des Regimes, von denen die beiden Frauenrechtlerinnen berichten, setzten vielen Iranerinnen zu; insbesondere jenen, die sich weigern, ein Kopftuch zu tragen. "Dieses verdammte Kopftuch zu tragen oder nicht zu tragen, ist für uns mit vielen Gedanken und Emotionen verbunden, mit Angst, Scham, Hilflosigkeit, Wut, Demütigung", klagt eine Frau in einem Text auf der Webseite "harasswatch" von Ghoncheh Ghavami. Sie schwanke zwischen Kühnheit und Mut auf der einen und Zögerlichkeit auf der anderen Seite, berichtete die Frau. 

"Viele von uns durchlaufen diese Empfindungen tagtäglich. Wir stehen in einem ständigen inneren Dialog mit uns selbst und mit unseren Leidensgenossinnen", zitiert Ghavami aus den schriftlichen Aufzeichnungen, die ihr zugesandt wurden. "Wie können wir, die wir die Revolution wegen des Todes von Jina Mahsa Amini miterlebt haben, diese Demütigung passiv ertragen? Wie können wir den Aufruhr in unseren Körpern ignorieren? Die Islamische Republik mag den Hidschab als bedeutsam ansehen. Für uns und unser Leben bedeutet es sehr viel mehr, den Schleier abzulegen."

Auch bei einer Kundgebung in Hamburg solidarisierten sich Menschen mit Jina Mahsa AminiBild: picture alliance/dpa

"Als würde ich mich in meinen eigenen Händen vergraben"

Denn die Entscheidung, ein Kopftuch zu tragen oder nicht, erschöpft sich nicht in einer bloßen Bekleidungsfrage. Sie rüttelt am Selbstverständnis der gesamten Person. "Für mich ist es Grundlage meiner Identität, kein Kopftuch zu tragen", zitiert Ghavami die Worte einer weiteren Frau, die sich ihr anvertraute. "Ich habe das Gefühl, mich selbst zu verleugnen, wenn ich dazu gezwungen werde. Es ist, als vergrabe ich mich in meinen eigenen Händen." Sie stecke in einer Zwangslage, klagt die Frau. "Ich muss entweder den Hidschab-Polizisten in der Metro fürchten, oder ich leide, weil mein Körper bedeckt ist. Ich will nicht zu diesem abstoßenden Aussehen zurückkehren, das sie für uns geschaffen haben."

Die Entscheidung entweder Kopftuch zu tragen oder mit Belästigungen, wenn nicht gar einem Prozess rechnen zu müssen, schränke die Frauen enorm ein, sagt Nasrin Sotoudeh der DW. "Die Fälle von Mahsa Amini und Armita Garawand erinnern uns daran, wie eingeschränkt die öffentliche Mobilität für Frauen ist. Im Zweifel ziehen sie es vor, zu Hause zu bleiben - und genau das wollen die Herrscher." 

Die 16-jährige Armita Garawand hatte kein Kopftuch getragen, als sie Anfang Oktober 2023 in der U-Bahn zusammenbrach. Laut iranischen Staatsmedien sei sie wegen niedrigen Blutdrucks gestürzt. Menschenrechtler sind sich aber sicher, dass sie Opfer der Sittenpolizei wurde. Sie starb nach Wochen im Koma.

"Die Behörden behandeln Frauen nach wie vor als Bürgerinnen zweiter Klasse", heiß es in einem Report zur Lage der Menschen- und Frauenrechte im Iran, den die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) im Herbst 2023 veröffentlicht hat. Das gelte auch mit Blick auf Heirat, Scheidung, Sorgerecht für Kinder, Beschäftigung, Erbschaft und politische Ämter. AI weist zudem auf das nach iranischem Recht heiratsfähige Alter von Mädchen hin. Dieses liegt derzeit bei 13 Jahren.

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"Ein Kampf um die Sexualität der Frau"

Dass das Regime in seiner Geschlechterordnung sich so auf die Bekleidungsvorschriften konzentriere, sei aus dessen Sichtweise heraus nachvollziehbar, schreibt die US-Politologin Hamideh Sedghi in ihrem bereits 2007 erschienenen Buch "Women and Politics in Iran. Veiling, Unveiling and Reveiling".

Denn das Kopftuch sei für die Machthaber das stärkste Symbol der Iranischen Revolution. "Die Islamische Revolution entwickelte sich auch zu einer sexuellen Gegenrevolution, einen Kampf um die Sexualität der Frau", schreibt Sedghi. Diese Sexualität war fortan stark politisch, das heißt, als anti-westlich konnotiert. "Trag ein Kopftuch, oder wir schlagen dir auf den Kopf", lautete eine Parole im Revolutionsjahr 1979, "Tod den Unverschleierten" eine andere.

Gegen diese bis heute fortdauernde Bevormundung wehrten sich die Iranerinnen aber, sagt Nasrin Sotoudeh der DW. Ihr Protest richte sich etwa gegen den fortgesetzten Versuch, die Frauen zur Immobilität zu zwingen: "Genau das dürfen wir iranischen Frauen nicht zulassen."

Immer mehr Frauen im Iran leisten Widerstand und gehen beispielsweise ohne Kopftuch auf die StraßeBild: Arne Bänsch/dpa/picture alliance

"Durch die Idee der Menschenrechte vereint"

Darum gehe der Widerstand gegen die Vorschriften weiter, sagt Sotoudeh im DW-Gespräch. Das geschehe oft gemeinsam mit den iranischen Männern. "Denn unabhängig von Machtkämpfen sind Männer und Frauen in diesem Land durch die Idee der Menschenrechte vereint." Dieses Konzept betreffe ihren Alltag unmittelbar. "Sie sehnen sich danach, ihr Leben zu normalisieren, wie alle anderen auf der Welt zu leben und jeden Morgen aufzuwachen, ohne zu hören, dass ein anderes junges Mädchen aufgrund der Kleidungswahl getötet wird."

Hat der Widerstand der vergangenen zweieinhalb Jahre Erfolge gebracht? Ja, sagt Nasrin Sotoudeh – wenngleich sich die Regierung nicht geändert habe. Um den Erfolg zu messen, sagt sie, müsse man die Frage anders stellen: "Wie sähe unsere Situation aus, wenn es keine Mahsa-Bewegung gäbe? Ich wage zu behaupten, dass es noch viel schlimmer wäre."

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Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika