Afghanistans Fernsehen soll weniger weiblich werden: Mit einem Erlass gegen Frauenrollen in TV-Sendungen zeigen die Taliban erneut, wie frauenfeindlich ihre radikalislamische Ideologie ist. Betroffene sind verzweifelt.
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Afghanische Fernsehsender dürfen künftig keine Filme oder Serien mehr zeigen, in denen "Frauen eine Rolle spielen oder die der islamischen Scharia oder afghanischen Werten widersprechen". So steht es in einer Anweisung des Ministeriums für "Gebet, Führung, die Förderung von Tugenden und Verhinderung von Lastern" vom vergangenen Sonntag. Dieses Ministerium war kurz nach der Machtübernahme der Taliban ins Leben gerufen worden; es ersetzt das frühere Frauenministerium in Kabul.
Die Fernsehsender sollen die Ausstrahlung von Filmen einstellen, die "fremde Kulturen und Traditionen in der afghanischen Gesellschaft verbreiten und Sittenlosigkeit verursachen". Weiterhin erlaubt bleibt der Auftritt von Moderatorinnen oder Reporterinnen, wenn sie Haar und Schulterbereich mit dem Hidschab bedecken.
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Film und Fernsehen als Propagandainstrument
"Das macht mich fassungslos, obwohl ich so etwas erwartet habe", sagt die afghanische Regisseurin Sahraa Karimi im Gespräch mit der DW. Bis zu ihrer Flucht aus Afghanistan am 17. August war Sahraa Karimi die Präsidentin der staatlichen afghanischen Filmorganisation. Die 36-Jährige, die ihre Jugend im Iran verbracht und in Europa studiert hat, war die erste afghanische Regisseurin, die sich traute, in ihrem Heimatland einen Film zu drehen. "Mit diesen Richtlinien wollen die Taliban Künstlern und Regisseuren, die noch in Afghanistan geblieben sind, zeigen wohin die Reise geht und worauf sie achten müssen."
Widerstand werde keiner leisten, glaubt Karimi: "Alle wissen, dass es um Leben und Tod geht. Manche werden sogar mit den Taliban arbeiten müssen. Die Taliban werden nun für ihre Propaganda neue Filme im Auftrag geben und versuchen, den ästhetischen Geschmack der Gesellschaft zu ändern und ein neues Frauenbild in der Gesellschaft zu etablieren."
Die Regisseurin, die seit ihrer Flucht aus Afghanistan, wie sie selbst sagt, "aus dem Koffer lebt" und von einem Filmfestival zum nächsten reist, fügt hinzu: "Einfach war es nie für Frauen in Afghanistan. Ich selbst zum Beispiel musste immer kämpfen, um mich als Frau durchsetzen zu können. Aber ich hatte die Freiheit, das zu produzieren, was ich produzieren wollte. Es macht mich sehr traurig zu sehen, dass in einer Zeit, wo in Ländern wie Saudi-Arabien, geprägt vom Wahhabismus und einem streng traditionalistischen sunnitischen Islam, die Filmindustrie kräftig ausgebaut wird, die Taliban in Afghanistan alles ruinieren, was wir erreicht hatten."
10 Filme über Afghanistan
Die turbulente Geschichte des Landes diente schon als Hintergrund für viele internationale Filme wie "Der Drachenläufer" oder "Kandahar". Hier eine Auswahl.
Bild: Mary Evans Picture Library/picture alliance
Hava, Maryam, Ayesha (2019)
Der jüngste Film der afghanischen Regisseurin Sahraa Karimi hatte bei den Filmfestspielen in Venedig 2019 Premiere. Er erzählt die Geschichte von drei schwangeren Frauen in Kabul. Karimi hatte erst kürzlich einen offenen Brief an die Welt geschickt, in dem sie vor den Taliban warnte - kurz bevor Kabul eingenommen wurde. Inzwischen ist sie aus Afghanistan geflohen und in Kiew untergekommen.
Bild: http://hava.nooripictures.com
Osama (2003)
Unter dem ersten Taliban-Regime (1996-2001) durften Frauen nicht arbeiten. Eine existentielle Bedrohung für alle Familien, deren Männer im Krieg getötet oder verletzt worden waren. In "Osama" verkleidet sich ein junges Mädchen als Junge, um seine Familie zu unterstützen. Es war der erste Film, der seit 1996 in Afghanistan gedreht wurde, da das Filmemachen unter den Taliban verboten war.
Bild: United Archives/picture alliance
Der Brotverdiener (2017)
Das preisgekrönte irische Studio "Cartoon Saloon" hat einen Animationsfilm mit einer ähnlichen Geschichte geschaffen: "Der Brotverdiener" nach dem Bestseller-Roman von Deborah Ellis handelt von der elfjährigen Parvana, die das Aussehen eines Jungen annimmt, um ihrer Familie zu helfen. Der Film wurde von Angelina Jolie produziert und war als bester Animationsfilm für den Oscar nominiert.
Die Verfilmung des Bestseller-Romans von Khaled Hosseini behandelt Themen wie Schuld und Erlösung. Die Geschichte ist im turbulenten letzten halben Jahrhundert Afghanistans verankert: vom Sturz der Monarchie, der sowjetischen Militärintervention, dem Massenexodus afghanischer Flüchtlinge bis zum Taliban-Regime. Regie führte der deutsch-schweizerische Filmemacher Marc Forster.
Bild: Mary Evans Picture Library/picture-alliance
Kandahar (2001)
Der Film des iranischen Regisseurs Mohsen Makhmalbaf erzählt die Geschichte einer afghanisch-kanadischen Frau, die in ihre Heimat zurückkehrt, um den Selbstmord ihrer Schwester zu verhindern. Als "Kandahar" 2001 in Cannes uraufgeführt wurde, fand er keine große Beachtung. Doch dann kamen die Anschläge vom 11. September, und die Welt wollte mehr über die Lage der Frauen in Afghanistan erfahren.
Bild: Mary Evans Arichive/imago images
Fünf Uhr am Nachmittag (2003)
Zwei Jahre später stellte Makhmalbafs Tochter Samira, ebenfalls eine führende Regisseurin der iranischen "Neuen Welle", in Cannes einen weiteren Film über afghanische Frauen vor. "Fünf Uhr am Nachmittag" erzählt die Geschichte einer jungen Frau im kriegsgebeutelten Kabul: Nachdem die Taliban besiegt sind, versucht sie, eine Ausbildung zu erhalten - und träumt sogar davon, Präsidentin zu werden.
Bild: Mary Evans Picture Library/picture alliance
In This World - Aufbruch ins Ungewisse (2002)
"In This World" zeigt zwei junge afghanische Flüchtlinge auf ihrem beschwerlichen Weg von einem Flüchtlingslager in Pakistan nach London. Regisseur Michael Winterbottom drehte das Drama im Dokumentarstil mit Laiendarstellern. Der Film gewann bei der Berlinale 2003 den Goldenen Bären und den BAFTA-Preis für den besten nicht-englischsprachigen Film.
Bild: Mary Evans Picture Library/picture-alliance
Lone Survivor (2013)
Der US-amerikanische Kriegsfilm basiert auf einem Tatsachenbericht des US-Soldaten Marcus Luttrell. Bei der "Operation Red Wings" nahm ein vierköpfiges Team 2005 in der afghanischen Provinz Kunar eine Gruppe von Taliban-Kämpfern ins Visier. Luttrell, gespielt von Mark Wahlberg, überlebte als einziger einen Hinterhalt; auch ein Hubschrauber, der zu Hilfe geschickt wurde, wurde abgeschossen.
Bild: Gregory E. Peters/SquareOne/Universum Film/dpa/picture alliance
'Rambo III' (1988)
Der dritte Teil der Rambo-Filmreihe mit Sylvester Stallone in der Titelrolle spielt während des sowjetisch-afghanischen Krieges. Rambo begibt sich nach Afghanistan, um seinen ehemaligen Kommandanten vor der Sowjetarmee zu retten. Angeblich soll der Film bei Erscheinen den "mutigen Mudschaheddin" gewidmet gewesen sein, die ebenfalls gegen die Sowjets kämpften - für Filmexperten ein reiner Mythos.
Bild: United Archives/IFTN/picture alliance
Der Krieg des Charlie Wilson (2007)
Der US-Kongressabgeordnete Charlie Wilson fädelt in den 1980er-Jahren ein geheimes Finanzierungsprogramm für die afghanischen Mudschaheddin ein. Damit sollen Waffen für die damals noch als Helden geltenden Krieger im Widerstandskampf gegen die Sowjets bezahlt werden. Die auf wahren Tatsachen beruhende Politsatire mit Tom Hanks war die letzte Regiearbeit von US-Regisseur Mike Nichols.
Bild: Mary Evans Picture Library/picture-alliance
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Frauen in der Öffentlichkeit als "Schande"
Das eigentliche Ziel der Taliban sei es, die Frauen aus der Öffentlichkeit zu verbannen, schreibt die Journalistin Saleha Soadat auf Anfrage der DW von einem geheimen Ort. Die ehemals in Kabul sehr gut vernetzte TV-Journalistin hat Angst um ihr Leben. "Viele Journalistinnen haben Afghanistan inzwischen verlassen. Diejenige, die geblieben sind, wissen dass, sie in ständiger Gefahr leben und vielleicht nie wieder in Afghanistan arbeiten können."
Für Soadat, die schon immer den Hidschab getragen hat, haben die neuen Vorschriften der Taliban nichts mit dem Islam zu tun: "Sie sind sinnlos und lächerlich. Denn schon vorher waren Frauen in den afghanischen Medien immer gemäß islamischem Brauch und islamischer Kultur präsent, eben weil Afghanistan ein islamisches Land ist." Ihre Meinung nach haben die Taliban ein grundsätzliches Problem mit der Anwesenheit von Frauen in der Öffentlichkeit.
"Sie sehen das als Schande für die Gesellschaft. In ihrer Regierung gibt es keine Frauen. Angestellte Frauen wurden nach Hause geschickt. Mädchen dürfen nicht zur Schule gehen. Jetzt sollen Frauen aus den Medien verschwinden. Wir Frauen rufen die internationale Gemeinschaft auf, diese Terrorgruppe niemals anzuerkennen. Weil sie nicht an Menschlichkeit und menschliche Werte und Menschenrechte glauben, zu denen die Meinungsfreiheit gehört."
Problem für den Westen
Die internationale Gemeinschaft ist allerdings in einer Zwickmühle. Denn um die dringend benötigte humanitäre Hilfe zu leisten, muss sie mit den Machthabern kooperieren, was auf eine faktische Anerkennung hinausläuft. Die Taliban ihrerseits versuchen ihre frauenfeindlichen Maßnahmen als Instrument gegen die Verbreitung von "Unmoral" und die Verletzung der Scharia zu verbrämen. Wie sie die Scharia interpretieren, hat sich seit Ihrer Schreckensherrschaft in den 1990er-Jahren kaum geändert.
Auch damals wollten sie in ihrer Lesart ein "sicheres Umfeld für die Frau schaffen, in der ihre Keuschheit und Würde unantastbar" sind. Frauen wurden gezwungen, sich in der Öffentlichkeit von Kopf bis Fuß zu bedecken und die Burka zu tragen. Ihnen war nicht gestattet, ohne einen männlichen Begleiter das Haus zu verlassen oder einen männlichen Arzt aufzusuchen. Arbeit war für Frauen verboten, ein Studium ebenso.