Große Familienunternehmen wie Aldi, Bosch, Würth oder Haribo stehen für die Stärke der deutschen Wirtschaft. Doch beim Thema Gleichberechtigung in den Führungsetagen sind die Dynastien eher schwach aufgestellt.
Anzeige
Sie ist die eine der großen Ausnahmen: Nicola Leibinger-Kammüller (siehe Artikelbild) ist die Geschäftsführerin des Werkzeugzeugmaschinenbauers und Laserspezialisten Trumpf. Ansonsten sind Frauen in den Führungsgremien der 100 größten deutschen Familienunternehmen, von denen viele seit mehr als einem Jahrhundert bestehen, extrem unterrepräsentiert. Sie stellen nur knapp sieben Prozent der Mitglieder in den Geschäftsführungen. "Das Führungsverständnis erscheint zuweilen so alt wie die Unternehmen selbst", schreibt dazu die Allbright-Stiftung in ihrem aktuellen Frühjahrsbericht mit dem Titel: "Die deutschen Familienunternehmen: Traditionsreich und Frauenarm".
Die gemeinnützige deutsch-schwedische Organisation mit Sitz in Stockholm und Berlin hat sich zum Ziel gesetzt, "mehr Frauen und Diversität in die Führungsetagen der Wirtschaft zu bringen". Bei den großen deutschen Familienunternehmen bleibt da noch viel zu tun, wie die Stiftung in ihrer Analyse feststellt.
Extrem homogene Führungsgremien
Die Familienunternehmen werden danach kaum noch von Mitgliedern ihrer Gründerdynastien geführt. Das operative Geschäft übernehmen meist angestellte Geschäftsführer. Oder Familienmitgliedern werden externe Manager zur Seite gestellt. Die Strukturen sind unterschiedlich, aber die Gruppe der Personen an der Spitze der Unternehmen ähnelt sich, sie ist homogen. Ihre Mitglieder sind überwiegend männlich, deutsch und älter. Mit Hilfe von persönlichen, teils exklusiven Netzwerken gelangen sie in ihre Positionen - Frauen sind traditionell kaum vertreten.
Daraus hat sich eine personelle Kontinuität im negativen Sinne entwickelt, die dazu geführt hat, dass nur knapp drei Prozent der Vorsitzenden der Geschäftsführung bei den 100 größten deutschen Familienunternehmen Frauen sind (Stand März 2020). Lediglich in zwei Fällen sind weibliche Familienmitglieder Vorsitzende der Geschäftsleitung: Anna Maria Braun beim hessischen Pharma- und Medizinbedarfshersteller B. Braun Melsungen und die schon erwähnte Nicola Leibinger-Kammüller.
Laut Allbright-Stiftung haben allerdings einige Unternehmen die Defizite erkannt, und versuchen gegenzusteuern, indem sie bei Neueinstellungen eher Frauen berücksichtigen.
Weibliche Familienmitglieder haben selten Macht
Bei Aktiengesellschaften liegt die Entscheidungsmacht bei den Mitgliedern von Vorstand und Aufsichtsrat. Die Entscheidungsstrukturen von Familienunternehmen sind meist komplexer. Meist gibt es ein zusätzliches Gesellschaftergremium. Die Familie übt darüber hinaus auf informeller Ebene Einfluss aus. Nur in 36 der Top 100 Familienunternehmen ist ein weibliches Mitglied in offizieller Funktion vertreten. Schlüsselpositionen besetzt die Familie meist mit Männern.
Dabei sind diese Wechselwirkungen zu beobachten: Wird mehr weiblichen Familienmitglieder Einfluss auf die Geschäftspolitik eines Unternehmens zugestanden, werden auch mehr Managerinnen auf der Führungsebene eingestellt. Wirken mehr Frauen aus der Familie aktiv in der Firma mit, besetzen auch andere Frauen wichtige Positionen des Unternehmens.
Höhere Innovationskraft - bessere Entscheidungen
"Zahlen und klare Fakten sagen mehr als 1000 Worte: Die Berichte der Allbright-Stiftung sprechen Bände", schreibt Reinhold von Eben-Worlée, Präsident des einflussreichen Verbandes "Die Familienunternehmer" im Anhang der Studie. "Auf den Punkt gebracht: Auf weibliche Kompetenz in der Leitung von Firmen wird in Deutschland zu wenig Wert gelegt."
Dass diese Haltung Nachteile mit sich bringt - davon sind die Verfasserinnen und Verfasser der Studie überzeugt, denn, so schreiben sie: "Vielfältig zusammengesetzte Führungsteams haben eine höhere Innovationskraft und treffen am Ende die besseren Entscheidungen."
Unternehmen mit Geschichte
Über 90 Prozent aller Unternehmen in Deutschland sind in Familienbesitz, sie erwirtschaften über die Hälfte des Umsatzes der deutschen Wirtschaft. Einige dieser Unternehmen sind bereits seit dem 16. Jahrhundert tätig.
Bild: picture-alliance/dpa/M. Reichel
The Coatinc Company Holding GmbH
Erst in diesem Frühjahr wurde bekannt: The Coatinc Company ist das älteste Familienunternehmen Deutschlands. Wirtschaftshistoriker prüften entsprechende Dokumente der Firma und bestätigten 1502 als Jahr der Gründung. Der Anfang war lediglich eine Schmiede in Siegen. Dem Stammsitz ist die Verzinkerei bis heute treu geblieben.
Bild: picture-alliance/dpa/O. Berg
William Prym Holding GmbH & Co. KG
Prym, gegründet 1530, galt bis dahin als ältestes Familienunternehmen Deutschlands. Nun muss sich das Unternehmen mit dem zweiten Platz begnügen. Während Anfangs die Produktion von Walzmaterial und Drähten priorisiert wurde, setzte sich 1903 die Produktion von Nähutensilien und Druckknöpfen durch. Das Unternehmen beschäftigt weltweit 3300 Mitarbeiter und setzte 2018 rund 382 Millionen Euro um.
Bild: picture-alliance/dpa/O. Berg
Wiegand-Glas GmbH
Wiegand-Glas entstand 1570 aus einer bescheidenen Glasproduktionsstätte in der Rhön. Obwohl die Glasherstellung seit eh und je Schwerpunkt der Firma ist, wurde 1997 beschlossen, die Produktion auf PET-Behälter auszuweiten. Heute zählt Wiegand-Glas mit seinen 1800 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz 2018 von 486 Millionen Euro zu den Top drei der Behälterglashersteller Deutschlands.
Bild: picture-alliance/dpa/M. Reichel
Berenberg, Joh. Berenberg, Gossler & Co. KG
Seit dem 16. Jahrhundert sind in Deutschland Unternehmen im Bankgeschäft tätig. So auch die Berenberg Bank, die 1590 in Hamburg gegründet wurde und somit die zweitälteste Bank der Welt ist nach der italienischen Monte dei Paschi di Siena. 1640 Mitarbeiter erwirtschafteten in der Vermögensverwaltung, dem Investment- und Corporate Banking 2018 einen Umsatz von 4,7 Milliarden Euro.
Bild: picture-alliance/dpa/D. Bockwoldt
Friedr. Schwarze GmbH & Co. KG
Schon 1664 wird Schwarze als Kornbrennerei urkundlich erwähnt. Die Brennerei, die unter dem Namen Schwarze und Schlichte ihre Ware vertreibt, verfügt über ein diverses Sortiment an Spirituosenmarken. Das verhilft der Firma, sich erfolgreich auf dem Spirituosenmarkt zu behaupten. Schwarze und Schlichte beschäftigt 100 Mitarbeiter und konnte 2018 rund 47 Millionen Euro Umsatz erzielen.
Bild: picture-alliance/dpa/F.-P. Tschauner
Merck KGaA
Die 1668 in Darmstadt als Apotheke gegründete Firma Merck ist das älteste pharmazeutisch-chemische Unternehmen der Welt. Für Verwirrung sorgt manchmal der gleichnamige US-Konzern Merck & Co., der bis 1917 noch Teil des deutschen Unternehmens war. Obwohl die US-Firma um einiges grösser ist, nahm der deutsche Arm 2018 knapp 15 Milliarden Euro ein. Weltweit hat Merck 51.700 Mitarbeiter.
Bild: picture alliance/dpa/A. Dedert
Lukas Meindl GmbH & Co. KG
Das Unternehmen Meindl entstand 1683, als Petrus Meindl eine der ersten Schuhmachereien in Kirchanschöring (Oberbayern) eröffnete. Seither führen die nachfolgenden Generationen das Geschäft erfolgreich fort. Mit 200 Mitarbeitern und einer Produktionsstätte im Heimatort bietet das Familienunternehmen seine Auswahl an Wanderschuhen und Ledermode deutschlandweit an.
Bild: picture-alliance/dpa/F. Leonhardt
Harry Brot GmbH
Eine einfache Bäckerei bei Hamburg war 1688 der Ursprung der Großbäckerei Harry, dessen Angebot an Brot flächendeckend in Ost-, West- und Norddeutschland gekauft werden kann. Über Jahre hinweg wurde fleißig in die Modernisierung des Betriebs investiert. So produziert die Bäckerei heute an neun Standorten, beschäftigt 4375 Mitarbeiter und kam 2018 auf einen Umsatz von rund einer Milliarde Euro.
Bild: picture-alliance/dpa/M. Gerten
Villeroy & Boch AG
Das Keramikunternehmen Villeroy & Boch wurde 1748 in einem lothringischen Dorf vom Eisengießer François Boch gegründet. Aus einer Firma, die Anfangs ausschließlich Porzellangeschirr produzierte, wurde im Verlauf von 270 Jahren ein führendes Unternehmen in den Bereichen Bad, Wellness und Tischkultur. Es hat heute 7500 Mitarbeiter weltweit und erzielte 2018 einen Umsatz von 835 Millionen Euro.
Bild: picture-alliance/dpa/F. Rumpenhorst
S. Siedle & Söhne OHG
Das Familienunternehmen Siedle, das heute für seine Gebäudekommunikationstechnik bekannt ist, war im Gründungsjahr 1750 noch eine Gießerei. 1887 wandte sich das Unternehmen der Telefonie zu, woraus Anfang des 20. Jahrhunderts die Spezialisierung auf Gebäudekommunikation entstand. Die ehemalige Gießerei erwirtschaftete 2018 mit 550 Mitarbeiter einen Umsatz von 88 Millionen Euro.